Beginn einer Weltkarriere: Die Netflix-Doku "Jeen-Yuhs" erzählt die Legende vom Aufstieg des Rappers Kanye West.

Foto: Netflix

Erinnert sich noch jemand an die Osbournes? Anno 2002 war die Familie des Altmetallers Ozzy Osbourne eine Art Erweckungserlebnis im faden Fernseheintopf. Der durch übermäßigen Konsum bewusstseinserweiternder oder anderweitig persönlichkeitsverändernder Substanzen deutlich entschleunigte Fürst der Finsternis wurde im Handumdrehen Metaller der Herzen. Die Dysfunktionen im Zusammenleben mit Göttergattin Sharon und den freakigen Kindern Jack und Kelly war Anfang und einsamer Höhepunkt von gefühlten zigtausend folgenden Promisoaps, im weitesten Sinne darf man auch "Die Lugners" dazuzählen.

Worauf ich hinaus will: Nachdem man "The Osbournes" sah, hatte man ein anderes Bild, erstens vom Leben eines Rockstars, der nach außen hin das Image des "wilden Hundes" pflegte, ein solches Leben wohl auch hinter sich hatte, nun aber, im trauten Heim andockend, immer und immer wieder den Elefanten im Porzellanladen gab. Man lernte Ozzy Osbourne lieben, egal wie man zu ihm oder seiner Musik stand.

Aha-Erlebnisse sind eher nicht zu erwarten

20 Jahre später ist nun auf Netflix die erste Folge von "Jeen-Yuhs: Eine Kanye-Trilogie" über den Rapper Kanye West abrufbar. Allein diese erste Folge hat die unfassbar zähe Länge von 1:37 Stunden. Das Bild, das man darin über West und die Rapszene erhält, eignet sich vielleicht für die Fortschreibung einer Legendenbildung, humorige Aha-Erlebnisse wie bei den Osbournes sind kaum vorhanden. Man hatte sie aber ohnehin nicht erwartet.

"Jede große Geschichte beginnt mit einer Vision", sagt der Comedian Coodie Simmons, der die Doku gemacht hat und den Film erzählt. Seit 1995 begleitet er "Ye", wie Kanye West sich heute nennt. "Kanye hatte einfach was anderes", sagt Simmons. Die Richtung stimmt.

Selbstbewusstes Idol

Alle weiteren Kapitel zeigen einen extrem talentierten Musiker, der selbstbewusst zunächst Idol der schwarzen Rapszene und daraus Weltstar wird und mit glamourösem bis exzentrischem Auftreten für zumeist jenseitige Unterhaltung sorgt. Zum Beispiel zuletzt beim Super Bowl, wo er per Instagram den Comedian Pete Davidson, den neuen Freund seiner Ex Kim Kardashian (41), beschimpfte.

"Jeen-Yuhs" bedeutet "Genie". Netflix spielt die Folgen wöchentlich aus und macht daraus ein Event. Die Geschichte ist die klassische amerikanische Erfolgsstory – vom Tellerwäscher zum Millionär. Dass darüber etliches in die Brüche ging, kann man zumindest in dieser ersten Folge nicht erahnen. Der Weg an die Spitze ist hart, das hat auch Kanye West gelernt. "Ich fühle mich, als ob ich die Barriere für alle breche", sagt er in einer Radioshow.

"Am Boden bleiben"

Dass es zu Hause bei Kanye anders zuging als bei Ozzy, zeigt eine Szene in der ersten Folge, als der aufstrebende Spross seine Mutter Donda besucht. Deren Kühlschrank ist bis auf fettarme Milch und eine Flasche Zinfandel leer. "Du musst am Boden bleiben und gleichzeitig schweben", sagt Donda, die 2007 an den Folgen einer Schönheits-OP verstarb. Das neue Album, das demnächst erscheinen soll, heißt "Donda 2".

Die Doku ergeht sich in womöglich für Fans faszinierenden Details. Allen anderen bleibt das Phänomen Kanye West wahrscheinlich entweder ein Rätsel oder egal. (Doris Priesching, 18.2.2022)