Sie wollen von den Straßen in die Gemeindestuben marschieren. Die Impfgegner und Corona-Maßnahmen-Kritiker der neuen Partei MFG treten mit 51 Listen bei den Tiroler GR-Wahlen an.

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Ein Gespenst geht um in Österreich. Es ist vor einem Jahr aufgetaucht und bereitet den etablierten Parteien erhebliches Kopfzerbrechen. Die neue Partei MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) ist drauf und dran, das politische Gefüge in Österreich zumindest kurzfristig, jetzt in der Zeit der Pandemie, durcheinanderzuwirbeln. MFG hat sich vorerst einer einzigen Agenda verschrieben: der Abschaffung aller Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Keine Masken mehr, keine Impfpflicht, keine Einschränkungen — ein "Leben wie früher".

In Oberösterreich zogen die Politiker der MFG im Herbst vorigen Jahres mit sechs Prozent in den Landtag ein, bei der Gemeinderatswahl in Waidhofen an der Ybbs kamen sie jetzt aus dem Stand auf 17 Prozent und bekamen zwei Stadtratsposten. Die ÖVP verlor ihre absolute Mehrheit. Ähnliches könnte laut Umfragen nach derzeitigem Stand der Landes-ÖVP in Niederösterreich bei den Landtagswahlen 2023 drohen. Aktuell visiert die Impfgegnerpartei MFG Tirol an.

Zweistelliges Ergebnis angepeilt

Am 27. Februar wird in den Tiroler Gemeinden neu gewählt. "Wir schauen natürlich gespannt nach Tirol, und ich gehe auch dort von einem sehr positiven Ergebnis aus. Meine Erwartungen liegen, auf das ganze Bundesland umgelegt, bei jenen 17 Prozent aus Waidhofen. Wir werden auf alle Fälle zweistellig werden", sagt MFG-Bundesobmann Michael Brunner im Gespräch mit dem STANDARD. Es mangelt der MFG derzeit nicht an Selbstbewusstsein.

Von wem will MFG in Tirol Stimmen lukrieren? "Es gibt sehr viele ehemalige ÖVP-Wählerinnen und -Wähler, die zu uns kommen, aber auch von anderen Parteien", sagt Brunner. Auch die FPÖ werde in Tirol das Nachsehen haben.

"Frühere FPÖ-Wähler wollen eine Alternative, und das sind wir, weil wir eine offene sozialliberale Partei sind", sagt der MFG-Chef. FPÖ-Chef Herbert Kickl habe mit seinem aggressiven Auftreten den gemäßigteren Teil in der FPÖ verstört. In Tirol selbst berichtet MFG-Sprecher Bernhard Schmidt von Wählerströmen aus den Lagern der Grünen und der ÖVP.

Demonstrative Gelassenheit

Und wie finanziert die neue Partei ihre Wahlkämpfe? MFG-Bundesobmann Brunner beteuert, dass das Parteibudget aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden – darunter eine Salzburger Firma mit 10.000 Euro – gespeist werde. Bei der Oberösterreich-Wahl im September 2021 habe die Partei noch 4000 Mitglieder gezählt, nunmehr seien es 25.000.

Am 27. Februar wird jedenfalls in 273 Tiroler Gemeinden gewählt. Ausgenommen sind die Landeshauptstadt Innsbruck sowie fünf kleinere Ortschaften. Neben den Gemeinderäten werden auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister per Direktwahl neu bestimmt – die Stichwahlen finden, wo nötig, am 13. März statt.

Angesichts des neuen Gegners MFG gibt man sich bei der ÖVP demonstrativ gelassen. Man kommentiere politische Gegner nicht, heißt es seitens der Parteiführung. Die Volkspartei behauptet von sich, aktuell in 232 Ortschaften den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin zu stellen. Wobei diese Behauptung nur schwer zu verifizieren ist, denn unter dem Namen ÖVP oder zumindest VP tritt kaum noch jemand an.

Namenslisten

Das MFG-Logo ist aktuell in 51 Tiroler Gemeinden präsent.
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Von den laut Landesparteiführung 475 Listen "im Umkreis der VP", die heuer um Stimmen buhlen, führen lediglich 19 die Parteibezeichnung im Namen. Offiziell heißt es dazu im Parteisprech der ÖVP, das sei "historisch gewachsen", denn es handle sich um eine reine Persönlichkeitswahl. Dem pflichten auch andere bei.

So tritt der Tiroler SPÖ-Chef und amtierende Sellrainer Bürgermeister Georg Dornauer ebenfalls mit einer Namensliste an, in der die SPÖ als Bezeichnung nicht vorkommt. Wie auch der VP-Landtagsklubobmann und Umhausener Ortschef Jakob Wolf und Tirols einziger Neos-Bürgermeister Markus Moser in Mils bei Imst. Im krassen Gegensatz dazu steht nun die neue Partei MFG.

Die im Vorjahr gegründete Impfgegnerpartei, deren Politiker alle unter dem Parteinamen antreten, ist beim Tiroler Urnengang die große Unbekannte. MFG hat sich binnen kurzer Zeit erstaunlich breit positioniert, die Partei tritt in 51 Gemeinden mit eigenen Listen an – dies immer unter dem Parteinamen. Keine andere Fraktion hat annähernd so viele Namenslisten am Start. Die FPÖ kommt auf 33, die SPÖ auf 32, die Grünen auf 29, und die Neos schicken acht namentlich erkennbare Listen ins Rennen.

Auf kommunaler Ebene

Die Innsbrucker Politologin Lore Hayek bezeichnet MFG als "politikwissenschaftliches Lehrbuchbeispiel" einer Partei, die entlang einer gesellschaftlichen Bruchlinie entsteht. Im konkreten Fall sei das eben die Corona-Pandemie mit den dazugehörenden Schutzmaßnahmen.

Dieses Momentum nutze die noch junge Bewegung, indem sie organisatorisch und kommunikativ gut aufgestellt sei, erklärt Hayek: "Die Plakate sind leicht wiedererkennbar, und in jeder Gemeinde, in der sie kandidieren, sind sie sofort als MFG zu erkennen." Im Fall der ÖVP täten sich die Wählerinnen und Wähler deutlich schwerer, da es mittlerweile etliche Ortschaften gibt, in denen mehrere Listen antreten, die der ÖVP zuzuordnen, aber nicht als solche erkennbar sind.

Auch inhaltlich schaffte es die neue Partei, ein Thema in den Gemeinderatswahlkampf zu bringen, das hier eigentlich nicht hingehört. Denn über die Pandemiebekämpfung wird nicht auf kommunaler Ebene entschieden. Dass man es trotzdem fertigbrachte, in so kurzer Zeit – der Tirol-Ableger der MFG entstand erst im Sommer 2021 – 51 Listen zusammenzustellen, bezeichnet Politologin Hayek als "bemerkenswert".

Auf der kommunalen Ebene sei mit Geld und Einfluss wenig zu gewinnen, wie etwa das schnell wieder verglühte Parteisternchen des Team Stronach bewiesen habe. Wer in Gemeinden bestehen will, müsse die Menschen mobilisieren können.

Wahlverschiebung diskutiert

Das gelingt MFG offensichtlich mit dem Thema Corona. Die Volkspartei dürfte diesen neuen Gegner unterschätzt haben. Denn mit einer Verschiebung der Wahl hätte wohl auch die Brisanz des Themas Pandemie deutlich abgenommen.

Ende November 2021, als dies noch möglich gewesen wäre, entschied man sich aber dagegen, wie Ernst Schöpf, seit 1986 ÖVP-Bürgermeister der Ötztaler Tourismusmetropole Sölden und Präsident des Tiroler Gemeindeverbandes, erzählt: "Damals, um die Zeit des Achensee-Gipfels, war die Impfpflicht bereits Thema. Es war klar, dass im Frühjahr das Momentum Corona abflachen würde. Eine Verschiebung der Wahl wurde angesprochen, aber wieder verworfen." Nun sieht sich Langzeitbürgermeister Schöpf in Sölden selbst mit einer MFG-Herausforderin konfrontiert.

Insgesamt 22 Kandidaten der Maßnahmengegnerpartei werden versuchen, ein Tiroler Bürgermeisteramt zu übernehmen. Gelingt dies in nur einem Ort, würde das MFG zusätzlich Auftrieb verleihen. Die Gelassenheit der Tiroler ÖVP wäre wohl auch dahin, denn im Februar 2023 stehen Landtagswahlen an. (Steffen Arora, Walter Müller, 19.2.2022)