Marc-André Hamelin und...

Foto: Sim Cannety Clarke

...Leif Ove Andsnes (Mi.) spielen u. a. Strawinskis "Le sacre du printemps"...

Foto: Gregor Hohenberg

...Grigory Sokolov gab bekannt, sich Beethoven und Brahms zu widmen.

Foto: FLEGONTOVA_ANNA

Es gibt ein bekanntes Foto von Claude Debussy von 1910. Weniger bekannt ist, dass der Fotograf niemand anderer war als – Igor Strawinsky. Nicht nur der russische Komponist bewunderte den 20 Jahre älteren französischen Kollegen – auch umgekehrt war die Wertschätzung groß, wenn Debussy etwa Strawinskys "genialen Sinn für Klang und Rhythmus" rühmte. Der Musikkritiker Louis Laloy und Debussy-Biograf überliefert eine Anekdote, wie er beide Komponisten zu sich nach Hause eingeladen hatte – was für Zeiten! – und die beiden 1912, ein Jahr vor der skandalträchtigen Uraufführung der Orchesterversion, die vierhändige Fassung des Sacre du printemps spielten.

Laloy schildert diese Begebenheit und die elektrisierende Wirkung dieses Hauskonzerts: "Debussy erklärte sich bereit, den Secondo (…) zu spielen. Strawinsky hatte darum gebeten, seinen Hemdskragen zu öffnen. Mit in den Brillengläsern erstarrtem Blick, die Nase auf die Klaviatur gerichtet, summte er von Zeit zu Zeit eine ausgesparte Partie und entfachte gemeinsam mit den agilen und weichen Händen seines Duopartners, der ihm ohne Probleme folgte und alle Schwierigkeiten zu beherrschen schien, einen betäubenden Klangrausch."

Als das Spiel zu Ende ging, habe es weder Umarmung noch Komplimente gegeben. "Wir blieben stumm, wie von einem Sturm niedergeworfen, der aus den Tiefen der Zeiten kam und unser Leben an den Wurzeln packte." Auch ihre geografischen Wurzeln an weit entfernten Punkten haben zwei Pianisten unserer Zeit nicht daran gehindert, immer wieder eine musikalische Symbiose einzugehen und als Klavierduo für Furore zu sorgen: Leif Ove Andsnes aus Norwegen und Marc-André Hamelin aus Kanada.

Klaviere im Rausch

Ihr Paradestück war von Beginn an Sacre du printemps, allerdings nicht in der vierhändigen Fassung an einem, sondern an zwei Klavieren. Dabei kommen sie sich nicht nur weniger in die Quere, sondern können auch jene "ausgesparten Partien", die Strawinsky einst mitsummen musste, wieder integrieren. Sinnigerweise ergänzen die beiden ihr Programm im Konzerthaus am 28. Februar unter anderem mit Debussys Bearbeitung von Robert Schumanns Sechs Stücken in kanonischer Form sowie mit Debussys Zyklus En blanc et noir.

Der letzte Satz ist Strawinsky gewidmet und zitiert – ein bisschen versteckt, aber erkennbar – eine Stelle aus dessen L’Oiseau de feu, also dem Feuervogel.

Ein weiterer Ausnahmepianist ist wenige Wochen später im Wiener Konzerthaus zu Gast: Grigory Sokolov. Jahr für Jahr gastiert er in den großen Musikstätten, regelmäßig wiederholt sich auch bei den Ankündigungen seiner Auftritte der Satz: "Das Programm wird zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben." Diesmal hat sich der St. Petersburger bereits festgelegt: Am 13. März spielt er Beethovens Eroica-Variationen, Brahms’ drei Intermezziop. 117 sowie Robert Schumanns Kreisleriana.

Bruch der Finsternis

Dabei wird auch jenes immer gleiche Ritual geboten, das die Atmosphäre von Sokolovs Konzerten stets auszeichnet – dunkler Saal, mattes Licht auf der Bühne. Und dann "durchbricht" der Pianist, wie es in die Zeitschrift Classica schilderte, "die Finsternis, ohne das Publikum eines Blickes zu würdigen, systematisch und detailgenau die gleichen Gesten wiederholend".

Grigory Sokolov nehme Platz, lege die Schultern zurück, beuge sich über seine Tasten: "Der Mann scheint unbeholfen, sein Körper schwer. Nur seine Arme, seine Handgelenke und seine Hände bilden mit ihrer einzigartigen Geschmeidigkeit eine Ausnahme." Seine höchste Konzentration verschmilzt dabei mit jener des Publikums. Wenigstens einmal sollte man das miterlebt haben.

Das Janoska-Ensemble trifft den Pianisten Michel Camilo: Die kreative Energie der Musiker entfaltet sich bei Stücken von Bach, Gershwin und Chick Corea, die mitunter in ungewöhnlichen Arrangements erstrahlen.
Foto: Wesely

Ein Melting Pot ist nicht genug

Das Janoska Ensemble trifft auf Michel Camilo – Grenzenlosigkeit als musikalisches Programm

Wien – Wien war als Hauptstadt der Donaumonarchie auch musikalisch über viele Jahrzehnte ein überaus fruchtbarer kultureller Schmelztiegel. Der Begriff Melting Pot kommt allerdings ursprünglich aus den Vereinigten Staaten, wo in der Metropole New York mehrere Hundert (!) Sprachen aufeinandertrafen und -treffen. Ein Projekt im Wiener Konzerthaus bringt beide Städte nun musikalisch zusammen.

Die Mitglieder des Janoska Ensembles – das sind die Brüder Ondrej, František und Roman Janoska sowie deren Schwager Julius Darvas – haben allesamt eine klassische Ausbildung hinter sich. Sie fanden sich dann aber auf Anregung von Sopranstar Anna Netrebko und Tenor Michael Schade als Familientruppe wieder.

Als diese fusionieren die vier Elemente aus Klassik und Jazz, Bossa Nova, lateinamerikanischer sowie traditioneller Musik vom Balkan und aus Ungarn. Doch sie selbst haben das Gefühl, "dass sich in unserer Musik die Musikmetropole Wien widerspiegelt – eben auch diese Melange der vielen Kulturen", die hier existieren.

Michel Camilo, 1954 in Santo Domingo geboren (Dominikanische Republik), ist ein vielseitiger Pianist, der im Jazz und auch im Klassikgenre zu Hause ist.
Foto: Frankie Celenza

Spezieller Stil

Nachdem es der Vielfalt jedoch nie genug sein kann, trifft das Ensemble aus zwei Geigen, Kontrabass und Klavier, dem ein eigener "Janoska-Style" zugeschrieben wurde, mit einem Musiker zusammen, der seinerseits die in New York erwachsene Kultur geradezu zu verkörpern scheint. Schon in seiner Geburtsstadt Santo Domingo absolvierte Michel Camilo eine klassische Ausbildung, die er als Studierender an der New Yorker Juilliard School of Music fortsetzen wollte.

Doch dann kam der Jazz in sein Leben, und alles wurde anders: Seine musikalische Welt ist nach allen Seiten hin offen und voller überraschender Wendungen. Und so geht man nun unter dem Motto "New York – Vienna: A virtuoso conclave" gemeinsam unter anderem der Frage nach, "ob Mozart nicht doch in Wahrheit ein Latin-Musiker war, Fritz Kreisler heimlich nachts in Jazzkneipen spielte oder die Beatles für ihre Top-Hits mit spätromantischen Streichersätzen liebäugelten". Hohe Qualität, Spontaneität und weitere Grenzgänge sind an diesem Abend zu erwarten – und Stücke von Bach, Gershwin und Chick Corea. (Daniel Ender, 18.2.2022)