In den vergangenen Tagen fühlte sich ein Blick in die Nachrichten oft an, als würde man einen Hollywood-Thriller einschalten. Das tägliche Bedrohungsszenario eines unmittelbar bevorstehenden Einmarsches Russlands in die Ukraine beherrschte die Schlagzeilen. Doch es ist nackte Realität, dass ein Nachbarland der Slowakei und Polens von einer militärischen Eskalation bedroht ist und Russland das größte Manöver seit dem Ende der Sowjetunion auf ehemaligem UdSSR-Gebiet durchführt. Der russische Präsident Wladimir Putin spielt in diesen Wochen ein gewagtes, erpresserisches Spiel und hält damit ganz Europa in Geiselhaft.

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In der Ukraine gehen viele Menschen, darunter auch Polizisten, für ihr Land auf die Straße.
Foto: AP/Emilio Morenatti

Statt der erhofften Entspannung in der Ukraine-Krise intensivierten sich die Drohgebärden Russlands auch über das Wochenende weiter: Übungen mit atomwaffenfähigen Raketen, die nicht wie angekündigt beendet wurden, Truppenbewegungen entlang der ukrainischen Grenze. Putin brillierte als Meister der dosierten Eskalation und der Intrige, während die westlichen Player versuchten, die Reihen zu schließen und auf den Abschreckungseffekt wirtschaftlicher Sanktionen zu hoffen. Dass die USA durch Veröffentlichung von Geheimdienstmaterial Putin in seinen Handlungsoptionen einschränken, ist dabei nicht ungefährlich. Er dürfte sich weiter in die Enge getrieben sehen, was ihn dazu verleiten könnte, mehr als bisher auf seine Unberechenbarkeit zu setzen.

Aufgezwungenes Blockdenken

Dennoch hat Russlands Alleinherrscher mit seiner Offensive schon viel erreicht. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und auch Georgiens, die der Westen 2008 in Aussicht stellte, ist mittlerweile vollkommen unrealistisch geworden. Auch wenn das noch niemand offen ausgesprochen hat. Putin hat dem Westen wieder ein längst überwunden geglaubtes Blockdenken aufgezwungen. Das wurde umgekehrt auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende deutlich, wo der Westen wie noch nie geschlossen gegen Russland zusammenstand.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde schon vor Beginn seiner Rede beklatscht, wie ein Rockstar. Alle Anwesenden wollten ihre uneingeschränkte Unterstützung kundtun. Doch Selenskyj ließ sich nicht einlullen. Ihm ist anscheinend längst klar, dass er vom Westen nicht viel mehr erwarten kann als die Androhung von "nie dagewesenen" Sanktionen gegen Russland. Er verlangte zu Recht klare Worte, was die Nato-Beitrittsperspektive für sein Land betrifft. Der Vorwurf ist gerechtfertigt, dass der Westen nach wie vor noch keine Strategie gegen die Provokationen gefunden hat.

Sollte Putin darauf abzielen, sein außenpolitisches Ziel weiterzuverfolgen, Russland wieder zu einer Weltmacht wie zu sowjetischen Zeiten zu machen, wird er sein Eskalationsdrehbuch weiter abspielen. Ein konventioneller Krieg muss aber nicht unbedingt Teil dieses Drehbuches sein. Bekanntlich würde das Russlands Ressourcen im gegenwärtigen Zustand massiv überfordern.

Möglicherweise reicht dem Kreml-Chef vorerst eine deutliche Absage der Nato an die Ukraine als erste Trophäe. Danach könnte man dazu übergehen, Putins Mitspracherecht auf internationaler Ebene ein größeres Gewicht einzuräumen. Sollte in Münchner Hinterzimmern auch in diese Richtung verhandelt worden sein, muss man aber auch der Ukraine reinen Wein einschenken, statt ihr nur symbolischen Beifall zu spenden. (Manuela Honsig-Erlenburg, 21.2.2022)