Manchmal kann Glücklichsein als Zwang empfunden werden. Wer da nicht mithalten kann, fühlt sich an den Rand gedrängt.

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Seit mittlerweile zehn Jahren präsentieren die Vereinten Nationen einmal im Jahr den World Happiness Report. Der Bericht erfasst in gewisser Hinsicht die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung eines Landes und die Ursachen für die jeweiligen Werte. Grundlage der Berichte sind vor allem Daten des Gallup World Poll. Auch wenn der Titel einen das glauben machen könnte, in Wahrheit basiert der vom Sustainable Development Solutions Network der UN herausgegebene Report keineswegs ausschließlich auf dem subjektiven individuellen Glücklichsein der Menschen.

Zu den insgesamt recht komplizierten Bewertungskriterien zählen vor allem auch der soziale Zusammenhalt, die Lebenserwartung, das Bruttoinlandsprodukt und der Korruptionswahrnehmungsindex. Dagegen werden das politische System und geografische oder klimatische Einflüsse in deutlich geringerem Ausmaß berücksichtigt. In dem alljährlichen Ranking begegnen einem auf den vorderen Plätzen fast immer dieselben Länder.

Die üblichen Gewinner

So behauptete Finnland in den letzten vier World Happiness Reports stets den ersten Platz. Ansonsten dominierten in der Regel unter anderem Island, Dänemark, die Schweiz, die Niederlande und Schweden die Top Ten. Österreich konnte sich im Report von 2021 trotz Corona mit Platz zehn ebenfalls ganz gut positionieren.

Die Finnen haben mit "onni" sogar ein eigenes Wort für Lebenszufriedenheit, und der dänische "Hygge"-Lebensstil hat nicht zuletzt wegen der hervorragenden Performance des Landes auf der alljährlichen Glücksrangliste auch anderswo an Popularität gewonnen. Was auf den ersten Blick durchaus erstrebenswert erscheint und da und dort vielleicht sogar Neid erzeugt, birgt für einige freilich auch Schattenseiten: In einer der glücklichsten Nationen der Welt zu leben hat durchaus seinen Preis.

Druck zum Glück

Wie ein Team um Egon Dejonckheere von der Katholischen Universität Löwen in Belgien nun im Fachjournal "Scientific Reports" berichtet, erzeugt das Leben in Ländern mit dem höchsten nationalen Glücksempfinden einen gesellschaftlichen Druck, dem nicht alle gewachsen sind. In einem sozialen Umfeld, in dem Fröhlichkeit und Glück einen so hohen Stellenwert haben, werden negative Gefühle, Niedergeschlagenheit und üble Laune häufiger als persönliches Versagen empfunden.

Für ihre Studie haben die Forschenden 7.443 Menschen aus 40 Ländern bezüglich ihres emotionalen Wohlbefindens, ihrer Lebenszufriedenheit und allfälliger psychischer Beschwerden befragt. Dem stellten sie den von den Probandinnen und Probanden wahrgenommenen sozialen Druck, sich glücklich zu fühlen, gegenüber. Das Ergebnis bestätigte bisherige Untersuchungen: Menschen, die subjektiv unter dem Druck stehen, möglichst glücklich zu wirken, neigen signifikant häufiger zu Defiziten in ihrer psychischen Gesundheit. Mit anderen Worten: In den "glücklichsten Ländern" der Welt erleben viele Menschen, die beim allgemeinen "Happy-Sein" nicht mitmachen, eine deutlich geringere Zufriedenheit mit ihrem Leben.

Wie man mit Glück und Unglück umgeht

Das Ergebnis sagt nicht, dass Menschen in Ländern, die im Glücksranking ganz weit oben stehen, im Durchschnitt nicht glücklicher sind als in anderen Ländern – möglicherweise sind sie das tatsächlich. Es bedeutet jedoch, dass diejenigen Menschen in den entsprechenden Ländern, die ohnehin schon Mühe haben, ihren Kopf im Alltag hochzuhalten, sich wegen der allgemeinen "Happiness" im Schnitt noch schlechter fühlen.

Was also tun? Dejonckheere und sein Team plädieren dafür zu überdenken, wie nationales Befinden gemessen wird. Immerhin, so die Forschenden, gehe es im Leben nicht allein um positive Emotionen, sondern auch darum, gut mit negativen Gefühlen umgehen zu können. Vielleicht sei es an der Zeit, Länder nicht nur nach dem allgemeinen Glück einzustufen, sondern vielmehr danach, wie offen die Bevölkerung für die gesamte Bandbreite menschlicher Erfahrungen ist. (tberg, 21.2.2022)