Kohlekraftwerke in der EU, wie dieses im deutschen Grevenbroich, müssen ihre Emissionen melden. Die Treibhausgase, die in importieren Produkten stecken, sind jedoch in den Herkunftsländern verbucht.

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Wenn sich Staatsoberhäupter und Regierungschefinnen auf Klimakonferenzen treffen, reist jeder und jede von ihnen mit einer Zahl im Gepäck zu den Verhandlungen. 73,6 Millionen lautet die relevante Zahl für Österreich – die Summe aller CO2-Emissionen im Land pro Jahr, gemessen in Tonnen. Sie ist die Ausgangsbasis für die wochenlangen Verhandlungen, in denen ausdiskutiert wird, wer wann wie viel und wo reduzieren muss.

Doch wer glaubt, dass sich die Klimaauswirkungen, die alle Österreicherinnen und Österreicher verursachen, in dieser Zahl wiederfinden, der irrt. Denn wie Unternehmen in der Vergangenheit Teile von Produktionsketten und Jobs ins Ausland ausgelagert haben, passiert das auch mit Klimabelastung.

Denn die Treibhausgasemissionen sinken in der USA und der EU zwar – wenn auch nicht so schnell, wie Fachleute es verlangen. Um rund ein Viertel weniger Klimagase produzierte die Europäische Union 2019 im Vergleich zu 1990. Bis 2030 sollen sie um noch einmal 55 Prozent sinken, was dem Fit-for-55-Paket der EU-Kommission seinen Namen verleiht.

Fußabdruck geht über die Grenzen hinaus

Gleichzeitig steigt der CO2-Ausstoß aber in den meisten Teilen der Welt weiter an, allen voran in China, das die USA inzwischen als größten Klimaverschmutzer überholt hat. Dass Smartphones, Sneaker oder Stahl dort auch für Europa produziert werden, ist kein Geheimnis – doch die dadurch entstandenen Emissionen werden stets dem Produktionsland zugerechnet.

Wie hoch diese Auslagerung von Klimagasen ist, versucht das Global Carbon Project zu berechnen. Dabei haben die Forschenden den CO2-Fußabdruck aller Güter und Dienstleistungen, die in ein Land importiert werden, zusammengerechnet. Für Österreich kommt man dabei derzeit auf rund 25 Millionen Tonnen jährlich. Die CO2-Bilanz ist mit den "importierten" Emissionen also um rund ein Drittel höher als offiziell angegeben. Die Schweiz verursacht sogar mehr als doppelt so viele Emissionen im Ausland wie im in Inland.

Neue Klimabuchhaltung schwierig

Zwar zeigt der Trend in den meisten Industrieländern auch nach unten, wenn man die ausgelagerten Emissionen miteinbezieht. Trotzdem trübt das CO2-Outsourcing die Klimaschutzbilanz vieler Staaten beträchtlich. Da dem Weltklima bekanntlich egal ist, wo eine Tonne CO2 anfällt, stellt sich deshalb die Frage: Brauchen wir eine neue Form der Klimabuchhaltung?

Diese ist jedoch auch so schon kompliziert genug. Die Frage nach der "richtigen" Berechnung von Treibhausgasemissionen ist regelmäßig eines der großen Streitthemen der Klimadiplomatie – auch beim Klimagipfel vergangenen November in Glasgow.

Doch angenommen, man würde nun auch die ausgelagerten Emissionen einbeziehen: Wo fängt man an, wo hört man auf? Ist Europa nun auch für die Regenwälder verantwortlich, die für das importierte Sojafutter abgeholzt wurden? Oder den Sumpf, der in Indonesien trockengelegt wurde, um Palmöl für unsere Schokocreme zu produzieren?

Natürlich seien im Alltagsverständnis oft mehrere Akteure für Emissionen verantwortlich, sagt Robbie Andrew vom Global Carbon Project. "Aber ein wichtiger Aspekt von internationalen Vereinbarungen ist, dass jemand nur Verantwortung für etwas übernehmen kann, das er auch kontrollieren kann." Und was in einem chinesischen Stahlwerk oder einer brasilianischen Sojafarm vor sich geht, kann Europa jedenfalls nur schwer bestimmen.

Eine Lösung der CO2-Auslagerung sollen Klimazölle sein, wie sie die EU-Kommission vergangenen Sommer vorgestellt hat. Bestimmte Güter, etwa Stahl oder Papier, die in ihrem Herkunftsland keiner CO2-Bepreisung unterliegen, sollen beim Import mit einer Gebühr belegt werden – vor allem, um die heimische Industrie zu schützen.

Nicht alles Weitgereiste ist schlecht

Doch viele sehen in den Klimazöllen nicht der Weisheit letzten Schluss: Zu bürokratisch könnte die Regelung sein, zu Betrug einladen oder gar einen internationalen Handelskrieg anzetteln – wenn nicht ohnehin die Welthandelsorganisation (WTO) das Konstrukt wegen unerlaubten Protektionismus zerschmettert.

Während die Berechnung des CO2-Fußabdrucks für Zement, Papier und Dünger vielleicht noch vergleichsweise einfach ist, wird es bei Smartphones, Autos oder Dienstleistungen erst richtig kompliziert. Allein schon beim Stahl, der in der Produktion viel CO2 verursacht, ist es nicht ganz einfach. Neuer Stahl, den man aus Eisenerz gewinnt, wird in Mexiko durchschnittlich fast um die Hälfte klimafreundlicher produziert als in Polen. Geht es wiederum um sogenannten EAF-Stahl, der aus Altmetall gewonnen wird, steht wiederum Spanien besser da.

Die Stahlherstellung gilt als CO2-intensiv.
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Ähnliches gilt für Äpfel aus Neuseeland, die im Winter auch in Österreich angeboten werden und vielen klimabewussten Kunden wohl unangenehm auffallen. Sie haben allerdings oft einen ähnlichen CO2-Rucksack auf dem Buckel wie der heimische Apfel, der seit einem halben Jahr in der aufwendig gekühlten Lagerhalle liegt. Zudem ist der Anbau in Neuseeland energiesparender – weil dort einfach mehr Äpfel pro Baum wachsen. Kurz: Was von weit herkommt, ist zwar tendenziell, aber nicht automatisch schlechter für das Klima.

Fehlende Anreize

Einzelne Unternehmen hätten zudem kaum Anreize, ihre Produktion klimafreundlicher zu machen, wenn sie bei der Einfuhr nach Europa ohnehin eine pauschale Klimaabgabe zu zahlen hätten, sagt Andrews vom Global Carbon Project. Hier müsste man weiter differenzieren – was die Sache nicht gerade einfacher macht. Umwelt-NGOs wollen die Einnahmen aus dem neuen Zoll wiederum für Klimaschutzmaßnahmen außerhalb Europas zweckwidmen.

Einen anderen Weg gegen ausgelagerte Treibhausgase ging hingegen Kalifornien bereits 2017: Dort müssen Stahl, Glas und Dämmstoffe, die in öffentlichen Gebäuden verbaut werden, nachweislich nachhaltig produziert werden. Das schütze die oft technologisch ausgefeiltere und damit umweltfreundlichere Produktion vor Ort. Noch einen Schritt weiter geht Zürich: Dort müssen seit 2005 alle Gebäude im Kanton mit recyceltem Beton gebaut werden. Der ist nämlich überhaupt der klimafreundlichste. (Philip Pramer, 22.2.2022)