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Heuer soll das Familienrecht reformiert werden.

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Das Familienrecht war schon immer ein heikler Bereich – für Eltern und vor allem für Kinder, die unter strittigen Trennungsfällen leiden. Läuft alles gut und die Eltern können sich auch getrennt lebend über die Sorgearbeit und Kinderbetreuung gut absprechen, dann spüren Eltern und Kinder das geltende Familienrecht kaum. Doch läuft es nicht gut, kann jedes Detail zählen.

Heuer soll das Familienrecht reformiert werden. Über die Inhalte der Reform debattieren seit einem Jahr Kinderschutzvereine, Alleinerziehende, Frauenorganisationen und Fachleute aus der Wissenschaft und Praxis. Es sei ein "großangelegter, partizipativer Prozess", so das Justizministerium (BMJ). Trotzdem zeigen sich Frauenrechtsorganisationen besorgt angesichts einer geplanten Neuerung: der Verankerung einer gemeinsamen elterlichen Verantwortung. Der Schwerpunkt der Reform liegt laut BMJ auf einer "Gleichstellung der Elternteile und somit auf einer gerechteren Aufteilung der Betreuungslast". Die grüne Familiensprecherin Barbara Neßler sieht darin "eine progressive Reform, die das Kind in den Mittelpunkt stellt und in der alle Familienkonstellationen Platz finden".

Das klinge nur fortschrittlich und feministisch, kritisiert der Verein feministischer Alleinerzieherinnen (FEMA), der auch seit Beginn in die Arbeitsgruppe des BMJ involviert ist. Letztlich sei das gefährlich für die "Selbstbestimmung unverheirateter Frauen mit Kindern, die nicht mehr umziehen, Job wechseln oder Karrierechancen wahrnehmen können", sagt Andrea Czak, Obfrau von FEMA. Derzeit haben verheiratete Paare automatisch eine gemeinsame Obsorge, bei unverheirateten Paaren können Väter seit 2013 einen Antrag auf gemeinsame Obsorge stellen. Wenn das nicht geschieht oder Eltern – im Einvernehmen – keine gemeinsame Obsorge beantragen, liegt die Obsorge bei der Mutter.

Noch keine Details

Über Details der Reformpläne gibt das BMJ noch keine Auskunft, diese befänden sich derzeit in "fachlicher Abklärung". Die geteilte elterliche Verantwortung soll als wichtiger Terminus allerdings Eingang finden. Andrea Czak fürchtet "katastrophale Auswirkungen" auf das Leben der Mütter. Sie ist auch überzeugt, dass es in Wahrheit um eine automatische gemeinsame Obsorge beider Elternteile gehe. "Es geht um mehr Macht für unverheiratete Väter, die Mütter in ihrer Abhängigkeit halten können."

Die Grünen betonen hingegen: "Es gibt keine automatische gemeinsame Obsorge, es gibt eine gemeinsame elterliche Verantwortung – das ist ein großer Unterschied", sagt die grüne Frauensprecherin Meri Disoski auf Nachfrage. Bei der Obsorge gehe es nur um Ansprüche und Rechte, doch mit einer gemeinsamen elterlichen Verantwortung würden eben auch die Pflichten verankert. "Meistens bleiben im Trennungsfall die Frauen an dieser Sorgearbeit picken", sagt Disoski. Das soll sich ändern. Doch genau das bereitet Frauenorganisationen Sorgen. Denn es gebe oft den Versuch, Unterhaltszahlungen zu reduzieren, indem man mehr Betreuungszeit einfordert. Laufende Kosten für jenen Elternteil, bei dem die Kinder vorwiegend leben – meist bei den Frauen –, würden deshalb nicht weniger werden, sagt Czak. Konflikte über Zahlungen könnten sich verschärfen, finanziell ohnehin eingeschränkte Alleinerziehende könnten zusätzlich ökonomisch geschwächt werden.

Somit ist es letztlich ökonomische Ungleichheit, die Reformen des Familien- und Kindschaftsrechts besonders brisant macht, sagt Karin Neuwirth, Expertin für Legal Gender Studies und Familienrecht an der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit und der Lohnarbeit zwischen Männern und Frauen sei eine Erklärung dafür, warum Feministinnen hier besonders kritisch hinsehen. "Dass der Staat Kinderbetreuung und Pflege nicht anerkennt, das zieht sich dann in persönliche Konflikte zwischen Vater und Mutter, insbesondere bei Unterhaltsfragen", sagt Neuwirth.

Finanzielles Ungleichgewicht

Das Familienrecht bringe also auch die ökonomische Abhängigkeit von Frauen aufs Tapet. "Diese Abhängigkeit spitzt sich womöglich noch einmal zu, wenn Väter sagen, Wir betreuen die Kinder ja auch, deshalb wollen wir keine monetären Leistungen mehr erbringen." Die Grünen-Politikerinnen Neßler und Disoski sehen hingegen eine Chance, mit einer rechtlichen Verankerung der Pflichten beider Eltern genauer hinschauen zu können: Kennt der Vater die Schuhgröße des Kindes? Hat er die Kontaktadresse der Kinderärztin? Welche Pädagogin leitet die Kindergartengruppe? Im Streitfall um mehr Betreuungszeiten könnten Gutachterinnen in Erfahrung bringen, ob beide über all das Bescheid wissen – oder eben nur ein Elternteil. Familienrechtsexpertin Neuwirth sieht darin auch eine mögliche Chance, dass sich ein Elternteil nicht nur formal Betreuungszeiten zuschreibt, sondern tatsächlich auch Sorgearbeit vorweisen muss. Skeptisch ist sie allerdings, was die praktische Umsetzung einer solchen Kontrolle betrifft. Und was, wenn Gewalt passiert?

Gewaltschutzeinrichtungen kritisieren seit langem, dass bei Obsorge- oder Pflegschaftsfällen Gewalt zu wenig berücksichtigt werde. Deshalb soll der Gewaltbegriff auf psychische und sexualisierte Gewalt erweitert werden, auch soll es eine bessere Vernetzung zwischen Kinder-, Jugend- und Gewaltschutzzentren geben, sagt Disoski. "Wenn Gewalt im Spiel ist, kann es keine elterliche gemeinsame Verantwortung geben, auf Biegen und Brechen darf das nicht durchgezogen werden."

Letztlich muss bei der Reform das Wohl der Kinder im Zentrum stehen, sagt Familiensprecherin Neßler. Wie sehen also Kinderschutzorganisationen die Reformpläne? "Die Novelle ist aus Sicht der Rechte von Kindern zu begrüßen", sagt Martina Wolf, Geschäftsführerin des Bundesverbands Österreichischer Kinderschutzzentren. Die Kinderschutzzentren sind unter anderem sehr mit dem Thema Gewalt vor und während Trennungen befasst. Die Grundhaltung, dass es um eine geteilte Verantwortung und nicht nur um Kontakt-, Betreuungsrechte oder Obsorge gehe, findet Wolf gut. Klar sei auch, dass es dort, wo es um Gewalt geht, besondere Lösungen brauche. (Beate Hausbichler, 22.2.2022)