Im Gastblog erörtert die Politikwissenschafterin Kyra Schmied, dass es im christlichen Fundamentalismus nicht um Sorge der Individuen geht, sondern um ein politisches Projekt.

Am 8. März ist wieder Internationaler Feministischer Kampftag. Dabei rücken jährlich nicht nur Themen wie Gewalt an Frauen, Lesben, inter, nichtbinären, trans oder agender Personen, strukturell ungleiche Löhne und Bezahlung oder reproduktive Selbstbestimmung in den Vordergrund. Es wird auch Kritik an einem System geübt, das weiblich konnotierte Reproduktionsarbeit und Sorgetätigkeiten wie Altenpflege, Kindererziehung und Haushaltsarbeit systematisch nicht beziehungsweise niedrig bezahlt.

Exklusive Sorge als rechtes Thema

Jenseits dieser feministischen Kritik sind Bezugnahmen auf das Konzept der Sorge auch in rechten und rechtsextremen Gruppen geläufig. Die Wissenschafterinnen Diana Mulinari und Anders Neergaard haben anhand von Interviews mit weiblichen Mitgliedern der Sverigedemokraterna (SD, Schwedendemokraten), der rechtspopulistischen Partei Schwedens, den Begriff des „care racism“ geprägt. Eva Grigori, Dozentin für Soziale Arbeit, schrieb aufgrund ihrer Analysen des Social-Media-Auftritts des Rings Freiheitlicher Jugendlichen (RFJ) von „nationalistischer Kümmerer-Mentalität“. Beide Begriffe zielen auf den exklusiven und exkludierenden Charakter dieser Sorge ab. Sorge wird nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen übernommen oder befürwortet und von bestimmten Gruppen ausgeführt. Diese Gruppen werden entlang rassistischer, nationalistischer, sozialdarwinistischer und geschlechtlicher Kriterien definiert.

Diese Analysen von Sorgekonzepten berücksichtigen jedoch christlich-fundamentalistische Organisationen meistens nicht. In Anbetracht ihrer Netzwerke in Österreich und international sind sie aber nicht zu vernachlässigen. Die Vernetzungen reichen von christlich-fundamentalistischen Gruppen zu konservativen und rechten Parteien und rechtsextremen außerparlamentarischen Gruppen. Die Allianzen bilden sich unter anderem um das Thema Schwangerschaftsabbrüche herum, die inhaltlich aufgeladen wird, um antifeministische Politiken voranzutreiben.

Im christlichen Fundamentalismus wird die Bibel als Legitimationsgrundlage herangezogen und als eindeutige Vorgabe, nach der nicht nur das private, sondern das gesamte gesellschaftliche Leben zu richten sei, interpretiert. Damit geht ein dualistisches Weltbild einher, demzufolge eindeutig zwischen gut und böse beziehungsweise fromm und sündhaft unterschieden werden kann. Die Annahme eines absoluten Wahrheitsanspruchs führt zu einem autoritären Verhältnis, in dem den christlichen Lehren nicht widersprochen werden kann und darf, so sie ja unhinterfragbar wahr sind. Damit wird absoluter Gehorsam vor Gott zur Tugend, Widerstand gegen die Zumutungen der Moderne zur religiösen Pflicht.

Feindbild Schwangerschaftsabbruch

Am Beispiel des Umgangs mit Schwangerschaftsabbrüchen durch organisierte christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner und -gegnerinnen zeigt sich, wie Individuen, Familien und Gesellschaft gedacht werden und was unter Sorge verstanden wird. Sowohl die Analyse von Zeitungen wie der katholischen „Vision 2000“-Zeitschrift oder aber der „YOU!“, die auf ein junges Publikum zielt, als auch die Untersuchung der Akteure und Akteurinnen sowie Inhalte des „Marsch für die Familie“ und „Marsch für das Leben“ liefern erste Erkenntnisse.

Sorge bezieht sich auf eine Aufgabe und Rolle, die Frauen zugesprochen wird. Das wird einerseits biblisch begründet, andererseits wird der weibliche Körper gemäß der ihm zugeschriebenen Reproduktionsfähigkeit sowie einer angeblich weiblichen Natur als Inbegriff von Sorge verstanden und mit Liebe, Mütterlichkeit oder Fürsorge für die Familie gleichgesetzt. Das Familienbild ist dabei ein heteronormatives; es fußt auf der Vorstellung, dass eine Ehe ausschließlich aus einer Frau, die Kinder zu gebären hat, und einem Mann bestehen soll. Andere Geschlechter sowie Formen von Sexualitäten oder Beziehungen werden als unnatürlich, sündhaft oder inexistent gesetzt. Indem Frauen sowohl aus einer angeblich göttlichen als auch natürlichen oder biologischen Ordnung heraus eine bestimmte Rolle in der Familie und der Gemeinschaft zugewiesen wird, wird auch die Arbeit hinter der Sorge verkannt und verkommt zu einem vermeintlichen Liebesakt. Schwangerschaften sind dementsprechend sowohl natürlich als auch göttlich begründet und unhintergehbar.

Des Weiteren ist Sorge um Schwangere nicht nur eine familiäre, sondern auch eine kirchliche Angelegenheit, sofern sie das Seelenheil betrifft. Abtreibungsgegner und -gegnerinnen stellen Schwangerschaftsabbrüche als sündhafte Praktiken dar. Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt haben, werden als verwirrte Seelen begriffen. Sie seien durch eine vermeintliche Lobby, Ideologie oder Propaganda in die Irre geführt worden, könnten keine selbstbestimmte Entscheidung treffen oder seien wortwörtlich von allen guten Geistern verlassen und dementsprechend böse. Sie treffe Schuld, welche sich nur durch eine verstärkte Hinwendung zur Kirche und zu Gott wieder gut machen lasse. In misogyner Manier werden Frauen damit pathologisiert und ihnen die Fähigkeit, informierte Entscheidungen zu treffen, abgesprochen.

Abtreibungsgegner und -gegnerinnen bei einem Marsch in München 2021.
Foto: imago images/aal.photo/Aaron Karasek

Diese Art von Sorge ist auch paternalistisch. In einem vermeintlich beschützenden Gestus wird für eine noch stärkere Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine Beschneidung reproduktiver Rechte plädiert – tatsächlich sind bis heute Abbrüche bis zur 12. Woche in Österreich noch immer nicht legal, sondern nur straffrei. Es geht also nicht wirklich um das Wohl der Betroffenen, das heißt von schwangeren Personen, denn sichere Wege für Abbrüche werden weiterhin begrenzt. Dass es nicht um Sorge geht, zeigt sich konkret auch im übergriffigen Verhalten gegenüber Personen, die vor Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, abgepasst und bedrängt werden.

Christlich-fundamentalistischer Antimodernismus und Antifeminismus

Diese Kriminalisierung wird damit begründet, dass dadurch der Moderne Einhalt geboten werden könne. Die Abkehr von der „Moderne“ gründet im christlichen Fundamentalismus in der Berufung auf eine romantisierte Vergangenheit, auf ein biblisches Fundament und auf eine christliche Tradition. Tatsächlich sorgen sich christliche-fundamentalistische Organisationen nicht tatsächlich um die jeweiligen Personen, sondern um eine christliche Kultur, die ein heteronormatives Familienbild pflegt. Diese Kultur würde allerdings, so die Imagination, durch eine diffuse internationale hedonistische Verschwörung bedroht, die „Genderideologie“, feministische Propaganda oder die sogenannte „Abtreibungsindustrie“ befördern würde.

Dabei sind auch Holocaust-verharmlosende Vergleiche keine Seltenheit. Der christlich-fundamentalistische Antimodernismus ist auch an Verschwörungstheorien anschlussfähig, die aktuell besonders viele Allianzen schaffen und Verknüpfungen zu rechten Weltbildern stärken. Feministische Errungenschaften werden als Teil einer vermeintlichen antichristlichen Verschwörung diskreditiert.

Eine exkludierende Vorstellung von Sorge

Nach dem christlich-fundamentalistischen Verständnis von Sorge ist diese somit eine Aufgabe, die Frauen natürlicherweise und gottgewollt zu übernehmen haben. Dabei ist sie auch in einem bestimmten gesellschaftlichen, staatlichen und nationalen Kontext zu verstehen. Mit der Sorge für die heteronormative bürgerliche Familie argumentieren christlich-fundamentalistische Gruppen wie die Organisatoren und Organisatorinnen vom „Marsch für das Leben“ und dem „Marsch für die Familie“ auch für die Sorge um die Nation und das „eigene“ christliche Volk. Die systematische Hervorhebung der Verfolgung von Christen soll auf die Notwendigkeit verweisen, ebendiese im „eigenen“ Land zu schützen, am besten durch generative Reproduktion sowie geschlossene Grenzen. Sorge zu erhalten, ist hier also durchaus eine exklusive Angelegenheit und nicht mehr so weit von der „nationalistischen Kümmerer-Mentalität“ oder von „care racism“ entfernt.

Sorge geht mit Rollenzuschreibungen, dem Verweis auf eine göttliche Ordnung sowie Schuldzuweisungen bei Nichteinhaltung einher. Des Weiteren hat die Rede von Sorge aber auch einen strategischen Nutzen, in dem Nationalismus und patriarchale Vorstellungen von Familie den christlichen Fundamentalismus stützen sollen. Die Nähe zwischen Rechtsextremismus und christlichem Fundamentalismus ist dementsprechend nicht nur personell, sondern auch inhaltlich. In Bezug auf das Framing von Sorge zeigt sich das in seiner Einbettung in eine heteronormative und nationalistische Ideologie. Auch das Feindbild einer vermeintlichen internationalen feministischen Lobby, einer Elite, von der es sich abzugrenzen beziehungsweise die es zu bekämpfen gilt, ist ein verbindendes Moment.

Am 8. März protestieren feministische Gruppen weltweit gegen diese antifeministischen Allianzen. Sie rücken inklusive Konzepte von Sorge, die mit der Covid-19-Pandemie noch relevanter geworden sind, sowie den Kampf um reproduktive Selbstbestimmung, die international wieder zunehmend beschnitten wird, in den Mittelpunkt. Dafür sind aber nicht nur Analysen rechtsextremer Argumentationen zentral, sondern auch christlich-fundamentalistischer Positionen, die im katholischen Österreich Tradition haben. (Kyra Schmied, 28.2.2022)

Kyra Schmied ist Politikwissenschafterin und beschäftigt sich mit Allianzen zwischen Rechtsextremismus und christlichem Fundamentalismus in Österreich sowie mit unterschiedlichen Konzepten von Sorge.

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