2009 war es, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit einer bizarren Fotoserie die Welt von sich reden machte. Oben ohne ließ er seinen gestählten Körper beim Reiten in der südsibirischen Taiga ablichten, auch beim Tauchgang in einem U-Boot im Baikalsee wich das Kamerateam nicht von seiner Seite des Präsidenten. Beim zünftigen Angeln war es ebenfalls dabei.

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2009 gab sich Putin noch als männliches Rollenmodell.
Foto: REUTERS/RIA Novosti/Pool/Alexei Druzhinin/File Photo

Zweck der Übung: Putin, ein starker Mann, der kraft seines virilen Körpers und dank seines wachen Geists sein Volk in eine glorreiche Zukunft führt. Russland, so sollte die körperliche Kraftmeierei seines Präsidenten allen beweisen, ist zurück auf der Weltbühne. 2018 legte Putin schließlich auf der Hochzeit der damaligen FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl im südsteirischen Gamlitz noch ein flottes Tänzchen hin.

Heute, mehr als zwölf Jahre nach den ikonischen Reiter-Bildern und mehrere Kriegseinsätze seiner Truppen später, gibt sich Putin weit weniger volksnah – umso bizarrer seine Inszenierung. In den vergangenen Wochen gaben sich Europas Mächtige die Klinke im Kreml in die Hand, erst kam Emmanuel Macron aus Frankreich zum Vermittlungsversuch nach Moskau, danach der neue deutsche Kanzler Olaf Scholz – beide durften nicht etwa Auge in Auge mit Putin sprechen, sondern mussten an einem gigantischen Tisch Platz nehmen, ein italienisches Fabrikat, Breite 2,60 Meter, Länge sechs Meter. Offizielle Begründung: Sowohl der Franzose als auch der Deutsche hatten sich geweigert, sich bei der Einreise am Moskauer Flughafen einem russischen PCR-Corona-Test zu unterziehen, und mussten deshalb, Gesundheit geht vor, auf Abstand bleiben.

Ein riesiger Tisch trennte die beiden Präsidenten.
Foto: SPUTNIK / AFP

"Genozid" im Donbass

Bei der anschließenden Pressekonferenz mit Scholz bediente sich Putin schließlich auch des Narrativs, das nun als Prätext für den Einmarsch regulärer russischer Verbände in die Ostukraine gesehen wird: In den Separatistengebieten Donezk und Luhansk trage sich nichts weniger als ein "Genozid" an ethnischen Russinnen und Russen zu, sagte Putin. Weder die Ukraine noch westliche Beobachter halten diese Einschätzung für plausibel.

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Am Montag wiederholte der russische Präsident während seiner Brandrede seine Warnung vor der Gefahr, in der die russische Bevölkerung in der Ostukraine schwebe. Analog zu einem länglichen Aufsatz, den Putin schon im Sommer veröffentlichte, sprach er der Ukraine jegliche Existenzgrundlage als eigener Staat ab, denunzierte die gewählte Regierung in Kiew als Regime, das nicht viel mehr als ein Kolonialsystem darstelle, das als Büttel der Oligarchie und des Westens und mithilfe US-amerikanischer Aufrüstung sein Volk drangsaliere. Wie besessen bezeichnete Putin die unabhängige Ukraine als "Fehler" Michail Gorbatschows und warf der "radikalen" Regierung in Kiew die hohen Gaspreise ebenso vor wie das teure Wasser.

"Live" oder auch nicht

Gänzlich bizarr war es kurz zuvor – mehr oder weniger kurz zuvor: Die mit Spannung erwartete Sitzung des nationalen Sicherheitsrates über die Anerkennung der beiden Separatisten-Republiken durch Moskau wurde im russischen Fernsehen "live" gesendet, allerdings entlarvte die Uhr von Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Inszenierung als "fake": Den Zeigern seiner Uhr zufolge musste die Sitzung schon fünf Stunden früher stattgefunden haben. Die Mitglieder des Gremiums, allesamt gestandene Apparatschiks, traten reihum zum Rapport beim Präsidenten an und baten diesen teilweise flehentlich um dessen Zustimmung, die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anzuerkennen – nachdem Putin sie zuvor deutlich spüren ließ, dass sie dies tun sollten.

Der Nationale Sicherheitsrat in Moskau spricht zu Putin.
Foto: Sputnik, Kremlin Pool Photo via A

Nur einer tanze aus der Reihe: Sergej Naryschkin, einst Duma-Vorsitzender und heute Chef des Auslandsgeheimdiensts SWR. Angesichts Putins stockte dem erfahrenen Politiker die Stimme, nervös begann er zu haspeln und sprach schließlich aus, was sogar in Moskau – auf dem heutigen Stand – noch tabu ist: Er wünsche sich einen Anschluss der beiden Gebiete an die Russische Föderation. Putin kanzelte den Geheimdienstler oberlehrerhaft ab: "Darum geht es nicht. Setzen Sie sich!" (flon, 22.2.2022)