Milorad Dodik beim "Republikstag" in Banja Luka.

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Es ist für viele wie ein Flashback und bringt die Erinnerungen von vor 30 Jahren zurück. Die Anerkennung der Separatistenzonen Luhansk und Donezk in der Ukraine durch Wladimir Putins Russland ist verblüffend ähnlich zur Errichtung und militärischen und politischen Unterstützung der Separatistenregionen "Republika Srpska Krajina" innerhalb von Kroatien und der "Republika Srpska" innerhalb von Bosnien-Herzegowina im Jahr 1992 durch das rechtsnationale Regime von Slobodan Milošević in Serbien. Die Folgen sind bis heute weitreichend.

Die Nationalisten in der Republika Srpska wollen sich auch 30 Jahre danach noch immer abspalten und sorgen für permanente Krisen und Instabilität. Am Dienstag gab es auf dem Balkan auch Unterstützung für die russischen Separatisten in der Ostukraine, in Banja Luka wurden dementsprechende Plakate aufgestellt. Denn nicht nur in der Ostukraine, auch in Bosnien-Herzegowina werden die Separatisten, allen voran der rechtsradikale Politiker Milorad Dodik, seit vielen Jahren von Russland unterstützt.

Zweimal zündeln

In Bosnien-Herzegowina fürchten viele, Putin könnte nun auch die Republika Srpska als unabhängige Republik anerkennen. Die allermeisten Beobachter gehen davon aus, dass die Krise in der Ukraine und in Bosnien-Herzegowina jedenfalls zusammenhängen. Klar ist: Zwei Krisen sind für die Nato und andere westliche Organisationen schwieriger zu bewältigen als eine.

Trotz des überwältigenden Votums im EU-Parlament in der vergangenen Woche wird es aber wohl keine Sanktionen gegen den bosnisch-serbischen Nationalisten und Separatisten Dodik geben. Dodik, Chef der Partei SNSD, versucht seit vielen Jahren, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören, indem er den Landesteil Republika Srpska abspalten will. Seit Oktober haben er und seine Partei aber erstmals konkrete rechtliche Schritte unternommen, um aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen hinauszugehen. Bereits im Krieg (1992–1995) haben Nationalisten zehntausende Nichtserben aus dem Gebiet vertrieben und viele tausende ermordet oder in Lager gebracht, um das "ethnisch gesäuberte" Gebiet, das beim Frieden 1995 als Landesteil "Republika Srpska" anerkannt wurde, danach an Serbien anzuschließen.

Unterstützung von Várhelyi

Die beiden EU-Mitgliedsstaaten Ungarn und Kroatien wollen nun die Sanktionen gegen Dodik verhindern und beharren deshalb auf dem Einstimmigkeitsprinzip des EU-Sanktionsrahmens, das Ende März im EU-Rat wieder verabschiedet werden soll. Ansonsten könnte die EU bereits mit der Zustimmung von 17 Staaten Sanktionen erlassen. Der rechtspopulistische ungarische Premier Viktor Orbán unterstützt die völkischen Nationalisten in Südosteuropa. Allen voran Dodik, dem Ungarn im Dezember etwa einen Kredit über 100 Millionen Euro gewährt hat. Unterstützung bekommt Dodik aber auch von dem ungarischen Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi.

Diplomaten zufolge soll Várhelyi während der Sitzung des EU-Rats am Montag sogar gesagt haben, dass er persönlich nicht denke, dass Dodiks Versuche, zu der Ursprungsversion der Verfassung von Dayton zurückzukehren, "verfassungswidrig" seien. Damit übernimmt Várhelyi die politische Agenda des Separatisten. Eine "Rückkehr" zur Ursprungsverfassung von 1995 würde nämlich bedeuten, dass viele staatliche Institutionen, die auch mit europäischem Engagement aufgebaut wurden, wieder vernichtet würden. Várhelyis Politik gegenüber Bosnien-Herzegowina bedeutet damit eine Abkehr von der EU-Politik der vergangenen 20 Jahre.

600 Millionen Euro für die Republika Srpska

Várhelyi hat nun zudem publikgemacht, dass er EU-Unterstützung von 600 Millionen Euro für die Republika Srpska zur Verfügung stellen könne, die diese dann für Schienen und Straßenausbau verwenden könne. Das Gerücht, dass Várhelyi große Summen von EU-Geldern Dodik zuschanzen will, gibt es bereits seit Monaten. Im Dezember gewährte Ungarn der Republika Srpska bereits einen Kredit über 100 Millionen Euro. Dodik braucht das Geld, weil die Republika Srpska Staatsanleihen aufgenommen hat – unter anderem an der Wiener Börse. Die ungarische Politik des Appeasements gegenüber dem Separatisten steht in klarem Widerspruch zur Haltung Deutschlands.

Dodik und Co haben bereits durch ihre Aktionen ein institutionelles Chaos angerichtet, das schwer zu bewältigen sein wird. Deshalb ist insbesondere die deutsche Regierung für schnelle und klare Sanktionen gegen ihn. Die USA haben Dodik bereits seit 2017 unter Sanktionen gestellt.

Wiedererrichtung der Herceg-Bosna

Im Schatten der Ukraine-Krise wird Bosnien-Herzegowina zurzeit von allen möglichen Seiten attackiert. Die mit Dodik seit vielen Jahren verbündete kroatisch-nationalistische Partei HDZ droht nun etwa damit, das alte Kriegskonstrukt in der Herzegowina, die sogenannte "Kroatische Republik Herceg-Bosna", wieder zu errichten, also einen dritten Landesteil innerhalb von Bosnien-Herzegowina.

"Herceg-Bosna" wurde 1993 von extremen kroatischen Nationalisten ausgerufen, mit der Möglichkeit einer späteren Angliederung an die Republik Kroatien. Das Gebiet der war Schauplatz von Massakern an der Zivilbevölkerung, "ethnischen Säuberungen" und Plünderungen. Militärs der Herceg-Bosna und ihre politischen Vertreter wurden später wegen Kriegsverbrechen angeklagt und verurteilt. Die Herceg-Bosna wurde nach dem Krieg wieder in den Staat Bosnien-Herzegowina eingegliedert.

Nur mehr HDZ-Kroaten

Die Drohung der Wiedererrichtung der Herceg-Bosna und die Drohung des Wahlboykotts im Herbst durch die HDZ werden auch aus Kroatien unterstützt, obwohl sich Kroatien im Friedensvertrag von Dayton vertraglich dazu verpflichtet hat, sich nicht mehr in Bosnien-Herzegowina einzumischen und die Souveränität des Staates zu respektieren. Die Schwesterpartei der HDZ in Kroatien versucht aber bereits seit Jahren, innerhalb der EU-Institutionen dafür zu lobbyieren, dass das Wahlgesetz und die Verfassung in Bosnien-Herzegowina so geändert werden, dass künftig nur mehr ein Vertreter der HDZ als Kroate im dreiköpfigen Staatspräsidium sitzen kann – und nicht wie jetzt etwa der nichtnationalistische Mitte-links-Politiker Željko Komšić.

Viele bosnische und herzegowinische Kroaten empfinden es vor allem als ungerecht, dass auch Nichtkroaten das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums wählen können. Allerdings vertreten die drei Mitglieder des Staatspräsidiums (ein Bosniake, ein Serbe, ein Kroate) nicht die drei konstitutiven Völker (Bosniaken, Serben, Kroaten) in Bosnien-Herzegowina, sondern alle Bürger, sie haben lediglich nationale Attribute. Die HDZ hätte sicherlich gute Chancen, dass ihr Kandidat als Präsidiumsmitglied gewählt wird – was auch schon öfters der Fall war –, wenn sie nicht eine derart ausgeprägt nationalistische Politik machen würde. Denn in Bosnien-Herzegowina gibt es auch viele Bürger, die eben keine Nationalisten wählen wollen.

EU machte Hoffnungen

In Bosnien-Herzegowina gibt es aber keine Mehrheiten zur Änderung der Verfassung im Sinne der Wünsche der HDZ. Die EU und die USA haben sich in den vergangenen Monaten vermehrt für so eine Verfassungsänderung eingesetzt und damit auch die Agenda der Nationalisten zu ihrer eigenen gemacht. Die derzeitigen Reaktionen spiegeln demnach die Enttäuschung wider, die auf Erwartungen basiert, die auch die EU mitzuverantworten hat.

Der Druck auf bosnische Parteien, den Wünschen der HDZ nachzugeben, ist noch immer groß. Diese Woche wurde in bosnischen Medien sogar publik, dass der Auswärtige Dienst der EU in einem Dokument vorgeschlagen hatte, dass im Landesteil Föderation die Mitglieder des Staatspräsidiums in einer "geografischen Verteilung" gewählt werden sollen – das bedeutet im Klartext, dass Wahlkreise nach ethnischen Kriterien geschaffen werden könnten, was den europäischen Standards allerdings entgegensteht. In der letzten Version des Dokuments wurde dann der Begriff "geografische Verteilung" wieder herausgestrichen.

Im Geiste der Loyalität

Alleingänge von EU-Staaten im Sinne ihrer nationalpolitischen Interessen – wie dies Kroatien gerade tut – sind laut den Verträgen eigentlich nicht vorgesehen. Im EU-Vertrag, Artikel 24, Absatz 3, heißt es: "Die Mitgliedsstaaten unterstützen die Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität und achten das Handeln der Union in diesem Bereich. Die Mitgliedsstaaten arbeiten zusammen, um ihre gegenseitige politische Solidarität zu stärken und weiterzuentwickeln. Sie enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internationalen Beziehungen schaden könnte." (Adelheid Wölfl, 23.2.2022)