Er weiß, dass Wladimir Putin zu allem bereit ist. Aber Emmanuel Macron ließ sich nicht von seinem Vermittlungsversuch abbringen und telefonierte noch am Montag mit seinem russischen Amtskollegen. Hoffnungsvoll lancierte er ein weiteres Mal die Idee eines Spitzentreffens mit US-Präsident Joe Biden.

Eiskalt ausgespielt? Wladimir Putin ließ Emmanuel Macron jedenfalls hart auflaufen.
Fotos: Mikhail Klimentyev, Gonzalo Fuentes / AFP

Umso größer waren Perplexität und Frustration nach Putins erschreckender Rede Montagabend. Macron muss außer sich gewesen sein, wenn man die Verlautbarung des Élysée-Palastes richtig deutet: Der russische Präsident sei "ideologisch abgedriftet", hieß es darin; er entwickle gar "paranoide" Ansätze. Diplomatisch ist anders.

Der Zorn des französischen Präsidenten ist verständlich. Als EU-Ratsvorsitzender hatte er keinen Aufwand gescheut, die Stimme Europas auf diffizile Weise zwischen Moskau und Washington einzubringen. Auch als ihn Putin im Kreml an einem meterlangen Tisch auf Distanz hielt und ihn so demütigte, bemühte sich Macron um ein Lächeln, obwohl ihn seine zuckenden Kinnmuskeln verrieten.

Stets verströmte er Optimismus – eine Pose, mit der er sich in Frankreich im laufenden Präsidentschaftswahlkampf auch von seinen Rivalinnen und Rivalen abzuheben versucht: Während sie ihn für Pandemie, Inflation und Ukraine verantwortlich machen, will er seinen Wählern beweisen: Wir schaffen das alles.

Wie ein Kartenhaus zusammengebrochen

Welch Sinnbild für den Kater der westlichen Demokratien: Macrons Positivstrategie ist am Montag wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Der eifrige Franzose steht plötzlich nicht mehr wie ein diplomatisch versierter Troubleshooter da. Seine Gegner erinnern daran, dass er bereits vergangene Woche eine Niederlage hatte einstecken müssen, als er in Mali die französische Barkhane-Mission mit 5.000 Soldaten abblasen musste. Ausgerechnet die russische Söldnerarmee Wagner übernimmt die Stellung.

Macrons Scheitern zeugt auch vom taktischen Versagen der westlichen Diplomatie. Das deutsch-französische Tandem lief so nicht geschmiert wie zu Angela Merkels Zeiten: Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz agierten in Moskau eher neben- statt miteinander. Versagt hat auch die implizite Arbeitsteilung zwischen den "Europäern" und den "Angelsachsen". Drohkulisse in Washington und London – Vermittlungsversuche aus Paris und Berlin: Dieses an sich geschickte Teamwork, das mithelfen sollte, Putin den Tarif zu erklären, ohne die Türen zuzuschlagen, erweist sich rückblickend als wirkungslos.

Wirkungslose Arbeitsteilung und Koordination

Vielleicht auch, weil die Arbeitsteilung und Koordination gar keine war. Dem Kreml musste sie bald einmal als reichlich aufgesetzt erscheinen. Biden verfolgt eine innenpolitische Agenda, und der britische Premier Boris Johnson bleibt auf Distanz zur EU, obwohl er wörtlich gleich reagierte wie Brüssel: Putins Angriff stellt für sie eine "flagrante Verletzung" der ukrainischen Souveränität dar.

Noch weniger Einigkeit herrscht innerhalb der einzelnen westlichen Staaten. Das zeigt sich exemplarisch im französischen Wahlkampf. Die Kandidatin der konservativen Républicains, Valérie Pécresse, ruft zu einer entschlossenen Reaktion des Westens auf. Ein schändliches Abnicken, wie es Paris und London 1938 nach Hitlers Annektierung des Sudetenlandes praktiziert hätten, dürfe es nicht mehr geben, meinte die Republikanerin am Dienstag im Brustton der Überzeugung.

Die Hälfte der französischen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten macht dagegen den Alliierten Vorhaltungen, allen voran der eigenmächtig operierenden US-Regierung. Linkenchef Jean-Luc Mélenchon und die beiden Rechtspopulisten Éric Zemmour und Marine Le Pen – die zusammen etwa 40 Prozent der Stimmen verkörpern – verorten Putin zwar zwangsläufig als Völkerrechtsverletzer–, aber nur, um die Nato für die Eskalation in die Mitverantwortung zu nehmen. Zemmour lehnt jede Form von Sanktionen gegen Moskau ausdrücklich ab. Das bleibt dem Kreml natürlich nicht verborgen. (Stefan Brändle aus Paris, 22.2.2022)