Wien – Ein eisiger Wind aus Nordosten wirbelt Seifenblasen und Regentropfen wild durcheinander, als Lea und Alexander aus dem Standesamt in Wien-Ottakring treten. Es ist kurz vor zehn Uhr. Verwandte und engste Freunden stehen den Frischvermählten auf den Stufen Spalier. Einige zappeln, andere haben ihre Mäntel schon vor dem Gruppenfoto wieder übergestreift. Das Wetter für einen Hochzeitstag könnte deutlich besser sein, das Datum kaum: Am 22.2.2022 gaben einander besonders viele Brautpaare das Jawort.

Allein in Wien waren am Dienstag 74 Trauungen angemeldet. Mehr als doppelt so viele wie an einem "normalen" Dienstag im Februar. Dass solche "Schnapszahlen" bei Heiratswilligen besonders beliebt sind, weiß man längst: Daher hatte die Stadt für dieses Datum Sondertermine eingeschoben. Was nicht einfach war, wie Ulrike Kuzaj-Sefelin von der MA 63 sagt, denn: "Das Personal ist pandemiebedingt sehr knapp."

Lea und Alexander gaben einander um 9.30 Uhr in Wien-Ottakring das Ja-Wort.
Foto: Regine Hendrich

In Bezug auf Hochzeiten hat die Corona-Pandemie vielen Firmen gehörig die vergangenen zwei Saisonen verpatzt. Mit ihrer Spezialisierung aufs Heiraten hatten diese zuvor auf ein wachsendes Segment gesetzt. Zumindest deutet einiges darauf hin, denn genaue Zahlen darüber, wie viel welche Branche mit Hochzeitsfeiern verdient, sind beispielsweise bei der Wirtschaftskammer nicht zu bekommen. Dabei ist das Heiraten für eine Vielzahl an Unternehmen eine Geldquelle, darunter Juweliere und Locationvermieterinnen, DJs, Fotografinnen und Musiker, Hochzeitsplaner und Brautmodengeschäfte, Friseure und Visagistinnen, Caterer und Konditorinnen, die Gastronomie und die Reisebranche.

2021 gab es 40.000 Hochzeiten

Was man von der Statistik Austria weiß: Vor der Pandemie stieg die Zahl der Hochzeiten über die Jahre kontinuierlich an. 2019 wurden 46.043 Ehen geschlossen, acht Jahre vorher waren es noch um fast 10.000 weniger. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 gingen jeweils rund 40.000 Paare eine Ehe ein.

Wie der Tag begangen wird, wie bombastisch oder minimalistisch gefeiert wird, ist dabei höchst unterschiedlich. Unterm Strich sind aber die Ansprüche über die Jahre gestiegen, berichtet Elisabeth Brandl, eine von zehn TÜV-zertifizierten Hochzeitsplanerinnen und -planern und zugleich Branchensprecherin der Wiener Wirtschaftskammer.

Oft komme es vor, dass ein Brautpaar überrascht sei, wie schnell 15.000 Euro für eine Hochzeit verbraucht seien. "Viele sagen, dann haben sie einfach aufgehört, zu zählen", sagt Brandl. Sie plane sehr unterschiedlich große Hochzeiten. Im Schnitt würden bei ihr rund 30.000 bis 40.000 Euro ausgegeben. Viele Paare ohne Hochzeitsplaner hätten 15.000 bis 20.000 Euro Budget veranschlagt.

Brandl ist überzeugt: "Hochzeiten sind ein sehr starkes Abbild der Gesellschaft." Es gebe nicht mehr viel, wo Werte so stark zum Tragen kämen. "Und es gibt nicht mehr viele Feste, die so groß gefeiert werden, dass die ganze Familie und alle Freundinnen und Freunde zusammenkommen."

Mehrtägiges Feiern im Kommen

Also entstehe ein enormer großer Druck auf diesen einen Tag. Auch Wünsche nach mehrtägigen Feiern, "etwas, das vorher nie nachgefragt wurde", seien vor der Pandemie zunehmend an sie herangetragen worden. Nach dem Motto: wenn schon so viel Aufwand, dann nicht nur für ein paar wenige Stunden.

Die Veranstaltungen würden also individueller und "immer bunter", wie Brandl es beschreibt. "Es mischen sich Kulturen und Herkünfte. Und eine Gay-Hochzeit ist sowohl in der Stadt als auch auf dem Land kein Aufreger mehr", fasst Brandl zusammen.

"Zu Showevents geworden"

Ein Brautausstatter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, aber kein Blatt vor den Mund nehmen will, drückt die Entwicklungen beim Heiraten weniger romantisch aus: "Hochzeiten sind Showevents geworden. Jeder will eine Riesenparty, jeder will alles haben."

Das werde sich aber wieder relativieren, meint er. "Die Zeiten werden nicht besser. Es gibt immer mehr Angebot, du kannst den Kasperl an jeder Ecke haben. Aber die Leute haben nicht mehr Geld." Wenn der Strom zehn Prozent mehr koste, fehle diese Summe dann fürs Hochzeitsbudget. So einfach sei die Rechnung.

In den vergangenen zwei Jahren war freilich alles anders: Das Brautmodengeschäft seiner Familie habe in diesen zwei verpatzten Saisonen fast um die Hälfte weniger Umsatz gemacht als vor der Corona-Pandemie. Er kenne Kollegen, bei denen es 60 Prozent Ausfälle gewesen seien. Teilweise wurden sie durch Wirtschaftshilfen kompensiert. Ende März sollen diese für die meisten Branchen auslaufen.

Noch ruhiger als früher

Wie aber sieht die nahe Zukunft aus? Wird 2022 wieder mehr gefeiert? "Es ist noch Zurückhaltung zu bemerken", sagt der Brautausstatter. Er ist überzeugt, dass heuer vor allem der Herbst für Hochzeiten gefragt sein wird.

Die Hochzeitsplanerin Brandl sieht hingegen einem verhältnismäßig gut gebuchten Juni entgegen. Für andere Monate merkt sie auch noch starke Zurückhaltung. "Aber das Hochzeitsjahr 2022 ist ja noch sehr jung." Bisher gebe es pandemiebedingt auch noch kaum Vorbereitungen für aufwendige Events. "In der Regel sind die Feiern noch nicht allzu groß", sagt Brandl.

Eines ihrer Fachgebiete ist Brandl in den vergangenen zwei Jahren komplett weggebrochen: Anfragen aus dem Ausland, die bei ihr etwa zwei Drittel der Aufträge ausgemacht hätten. In den vergangenen zwei Jahren habe sie vor allem bei kleineren, aber bürokratisch aufwendigeren Hochzeiten geholfen oder wenn es sehr schnell gehen musste. 80 Prozent Verdienstentgang habe sie gehabt, teilweise durch Hilfen kompensiert.

Mit Maske und Abstand

Die Corona-Pandemie bestimmt auch noch die Bedingungen, unter denen die Trauungen derzeit stattfinden: In Wiener Standesämtern mussten am Dienstag noch alle Teilnehmenden FFP2-Maske tragen, Trauungsgäste mussten 2G-Nachweise vorlegen. In den Zeremoniensälen sind deutlich weniger Gäste erlaubt, als es vor Corona der Fall war. Und: Selbst das Brautpaar darf nur kurz die FFP2-Maske abnehmen. Für den Hochzeitskuss.

Judy und Matthias haben sich trotzdem getraut. Fröhlich verlassen sie kurz vor elf Uhr das Standesamt am Richard-Wagner-Platz 19. "Sie sind heute das schönste Brautpaar", ist die Mutter des 36-jährigen Bräutigams überzeugt. Warum die Wahl des Paares auf das Datum mit den vielen Zweiern fiel? "Damit er sich’s merkt", sagt Judy lachend. Groß feiern wollen sie im Sommer, am Dienstag blieb alles im kleinen Rahmen.

Ein Zahlenpalindrom

So ein schönes Datum komme jetzt lange nicht mehr, ist die Bräutigammutter überzeugt. Schon gar kein Palindrom, fügt einer der rund zehn Hochzeitsgäste an. Ein Palindrom bezeichnet Zeichenketten, die von hinten den gleichen (oder zumindest einen) Sinn ergeben: Das können Wörter sein (wie etwa "Reliefpfeiler", mit 13 Buchstaben angeblich Rekord in der deutschen Sprache), oder eben Zahlenreihen: 22.02.2022 liest sich von hinten wie von vorn. Das galt zum Beispiel auch für den 20.02.2002.

Einige Meter hinter der scherzenden Feiergruppe findet sich bereits die nächste Hochzeitsgesellschaft ein, etwas weiter weg vom Amtsgebäude, das einen großen Schatten wirft. Als Matthias und Judy weitere Fotos vor dem Haus machen lassen, sagt die Mutter des Bräutigams angesichts des Windes und der Kälte: "Wenn sie schon nicht Corona bekommen, dann die Grippe."

Judy und Matthias sagten am 22.2. "Ja" – bei guter Stimmung trotz trüben Wetters.
Foto: Regine Hendrich

(Gudrun Springer, 22.2.2022)