Nicht erst seit der Energiewende gehen die Jobs in der Kohleproduktion in vielen Ländern massiv zurück.

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Die Warnungen sind eindringlich: Ein Ausstieg aus der Kohle werde zu "signifikanten" Jobverlusten führen, sagte Rolf Martin, damaliger Geschäftsführer des Kohlegiganten RWE, vor einigen Jahren zur geplanten Energiewende der deutschen Bundesregierung. In Großbritannien spricht die Öl- und Gasindustrie wiederum von "hunderttausenden Jobs", die gefährdet sein könnten und fordert gleichzeitig Steuererleichterungen für die Industrie. Und in den USA behauptete eine Öl- und Gasindustriegruppe kürzlich, dass der Klimaplan von US-Präsident Joe Biden in nur zwei Jahren bis zu eine Million Jobs kosten könnte.

Mitten in der Energiewende sehen die Öl-, Gas- und Kohlegiganten nicht nur ihre eigene Existenz, sondern plötzlich auch die von Millionen Jobs bedroht. Jobs, die die Industrie gerne anhand von Schicksalen erzählt: Von Kohlearbeitern, die seit Jahrzehnten von ihrem Gehalt in der Mine leben, von ganzen Gemeinden, deren Wohlstand und schiere Existenz vom Geschäft mit fossilen Energien abhängt. Gerade in Regionen, in denen die Produktion von Kohle, Öl oder Gas nach wie vor eine große Rolle spielt, stoßen die alarmierenden Zahlen und Erzählungen der Industrie immer wieder auf offene Ohren. Die Energiewende sei ein großer Jobkiller, so das Argument. Aber stimmt das überhaupt?

Verluste an manchen Orten

Fakt ist: Die Energiewende wird unweigerlich zum Verlust bestimmter Jobs in bestimmten Regionen führen. Gleichzeitig übersteigt die Anzahl an weltweiten Jobs im Sektor der Erneuerbaren Energien jene fossilen Energiejobs, die wegfallen, aber um ein Vielfaches.

Die Ursache liegt nicht nur in der Energiewende. Jobs in fossilen Energien, allen voran Kohle, gingen schon zurück, lange bevor Staaten mit der Energiewende Ernst machten. Allein in den USA brach die Zahl der Jobs in der Kohleindustrie zwischen 1980 bis 2017 um 70 Prozent ein, während die Produktion allerdings nur um sechs Prozent zurückging. Experten machen dafür die wachsende Automatisierung und effizientere Produktion verantwortlich. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in der Ölindustrie beobachten.

Wachsender Energiehunger

Gleichzeitig wird der Energiehunger auch in einer klimapolitisch aktiven Welt immens steigen. Allein die Elektrifizierung zahlreicher Branchen und die weiterhin wachsende und zusehends vollständig industrialisierte Weltbevölkerung braucht Strom, Wärme und Speicherkapazitäten in rauen Mengen, die zudem noch transportiert werden müssen.

Das führt zum prognostizierten Mehr an Jobs, wie ein Forscherteam aus Finnland, Chile und Spanien in ihrem kürzlich erschienenen Bericht über globale Trends im Energiejobsektor berechnete. Die Zahl der Menschen, die insgesamt im Energiesektor arbeiten, dürfte sich demnach bis Mitte des Jahrhunderts von 57 Millionen auf 134 Millionen mehr als verdoppeln.

Mehr grüne Jobs

Während heute noch rund die Hälfte aller Jobs im Energiesektor den fossilen Brennstoffen zuzurechnen sind, könnte sich dieser Anteil bis 2050 infolge abgeschalteter Kohlekraftwerke und niedrigeren Ölfördermengen auf mickrige drei Prozent verringern. Mit 75 Prozent Anteil und rund 100 Millionen Jobs dürfte die Erneuerbaren-Branche bis 2050 laut Forschungsteam klar dominieren.

Etwas konservativer mit ihrer Einschätzung wirken auf den ersten Blick die Zahlen der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (Irena). Auch sie rechnet im Jahresbericht 2021 zwar damit, dass es insgesamt bis zu 122 Millionen Jobs im Energiesektor bis 2050 geben wird, dass davon mit 43 Millionen aber deutlich weniger auf den Bereich der Erneuerbaren entfallen. Rechnet man auch hier wieder die Jobs im Energieeffizienzsektor und jene im Stromtransportbereich hinzu, landet man bei knapp 100 Millionen Jobs im nachhaltigen Bereich.

China, die grüne Nummer eins?

Wie man es auch berechnet: Am Ende steht immer, dass "grüne" Jobs in rasantem Tempo zulegen, während "schmutzige" zunehmend auslaufen. China versinnbildlicht den Trend. Erst kürzlich hat man die USA zwar als größten Luftverschmutzer abgelöst, zugleich ist das bevölkerungsreichste Land der Welt mit fast fünf Millionen Beschäftigten in grünen Jobs – knapp die Hälfte davon in der Photovoltaik-Industrie – ein Treiber der Energiewende. Aktuell arbeiten zwei Fünftel der globalen nachhaltigen Workforce in China, und man ist politisch willens, diese Spitzenposition zu verteidigen.

Die eingangs beschriebene Existenzbedrohung der Kohlearbeiter hält nach einem Blick auf die Prognosen auch nicht wirklich. Bis 2030 sollen laut Irena-Berechnungen die Beschäftigten mit niedriger Ausbildung zwar rund eine Million Jobs verlieren, aber bis zu 4,8 Millionen dazugewinnen. Auch in mittel- und hochqualifizierten Jobs wird es um ein Vielfaches mehr neue Stellen als verlorengegangene geben. Frauen halten bereits fast ein Drittel aller Jobs in grünen Energiebranchen, im Vergleich zu 22 Prozent im Öl- und Gassektor – und werden trotz zahlreicher Eintrittsbarrieren und ungleicher Bezahlung anteilsmäßig noch zulegen.

Gehalt oft noch geringer

Aber woran liegt es, dass grüne Jobs aktuell so boomen? Die bessere Bezahlung kann es – noch – nicht wirklich sein. Aufgrund fehlender Gewerkschaftsstrukturen hinken die Gehälter für Wind- oder Solarkraftbeschäftigte in manchen Weltregionen – etwa den USA – jenen in den fossilen Jobs oft noch deutlich hinterher. Der Job-Boom ist einerseits aber freilich mit zahlreichen politischen Entscheidungen zugunsten der Energiewende zu begründen.

Andererseits spielen auch ökonomische Überlegungen eine Rolle: Die Stromgehstehungskosten einer Megawattstunde nachhaltiger Energie brachen in den vergangenen zehn Jahren regelrecht ein. Photovoltaikstrom kostet heute nur mehr ein Zehntel, jener aus Wind nur noch ein Drittel. Beide sind jetzt schon deutlich günstiger als alle anderen Energieformen, nicht erst in ein paar Jahren. Und die Kurve zeigt nach unten. Fallen in Zukunft zusätzlich die Milliarden Dollar an Subventionen weg, mit denen fossile Energien derzeit in vielen Teilen der Welt jedes Jahr unterstützt werden, werden erneuerbare Energien laut Experten noch weitaus kompetitiver werden.

Umschulungen gut möglich

Letzten Endes könnten auch jene Regionen die Umstellung schaffen, die derzeit noch stark vom Geschäft mit fossiler Energie abhängig sind. Laut Wissenschaftern liegen mehr als ein Drittel aller neuen Jobs bei erneuerbaren Energien in der Herstellung und Installation von Solar- und Windkraftanlagen. Diese Jobs seien – anders als etwa Kohle – nicht an einen bestimmten Ort gebunden, weshalb eine Vielzahl an Ländern und Regionen künftig neue Jobs in diesen Bereichen schaffen könnten. Zudem eignen sich viele der derzeit noch aktiven fossilen Energieproduktionsstätten als neue Standorte für erneuerbare Energien, schreiben Forscher.

Dass auch Beschäftigte auf Bohrinseln und in Kohleminen bei entsprechenden Angeboten zu Umschulungen bereit sind, zeigen Umfragen aus Großbritannien. Darin gaben mehr als 80 Prozent der Personen aus der Offshore-Öl- und Gas-Industrie an, einen Industriewechsel grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Rund die Hälfte will aber auf dem Meer bleiben und am liebsten auf Offshore-Windpraks umsatteln. In Schottland wurde ein solches Projekt schon erfolgreich umgesetzt. Mit 14 Millionen Euro konnte man knapp 4200 Personen aus dem Öl- und Gassektor in dringend benötigte Bahn-, Schweißer- und Windenergiejobs umschulen. 89 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter fanden binnen dreier Jahre neue Jobs. (Fabian Sommavilla, Jakob Pallinger, 25.2.2022)