Sowohl die Agenda Austria als auch die Arbeiterkammer fordern ein besseres Angebot für Kinderbetreuung.

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Wien – Der Arbeitsmarkt stabilisiert sich von Woche zu Woche etwas mehr. Aktuell haben rund 380.000 Menschen keinen Job, fast 20.000 Menschen weniger als vor der Krise. Es besteht dennoch Handlungsbedarf. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist hoch, zudem gibt es viele regionale und strukturelle Mismatches.

Arbeitsminister Martin Kocher will noch im ersten Halbjahr die lang angekündigte Reform der Arbeitslosenversicherung vorlegen. Eine Abschaffung der Notstandshilfe sei nicht geplant. Besonderen Fokus will der Arbeitsminister auf die Höhe des Arbeitslosengeldes und Zuschläge, Zuverdienst und Sanktionen legen.

"Zu viele Menschen suchen im Osten einen Job, den es nur im Westen gibt. Zu viele Firmen suchen qualifizierte Leute, die es unter den Arbeitssuchenden nicht gibt. Der Faktor Arbeit ist zu hoch besteuert, und die Erwerbsquote der Frauen ist zu niedrig", fasst der Chef des unternehmernahen Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn, die Situation zusammen. Die Agenda hat den Arbeitsmarkt in anderen europäischen Ländern analysiert und fünf Ideen für Österreich erarbeitet.

Arbeit besteuern

Österreich ist teuer für Arbeitnehmer und -geber. Nur in wenigen Ländern bleibt weniger Netto vom Brutto. Auch die Lohnnebenkosten auf Arbeitgeberseite sind ein lang diskutiertes Thema. Die Agenda Austria fordert deswegen eine Besteuerung wie in Schweden. Alle geplanten Tarifsenkungen einkalkuliert, blieben heimischen Durchschnittsverdienern beim schwedischen Modell monatlich 182 Euro netto mehr über. Außerdem kenne das schwedische Steuersystem keine kalte Progression, und Steuerstufen würden jährlich an die Lohnentwicklung angepasst.

Laut Agenda braucht es eine Entlastung von rund zehn Milliarden Euro. Die Arbeitskosten von Unternehmen könnten durch eine Halbierung der Abgaben an den Familienlastenausgleichsfonds (Flaf) reduziert werden. Das würde 2,5 Milliarden Euro bringen.

Dieser Ansatz stößt auch bei der Arbeiterkammer auf Zustimmung. "Der Produktionsfaktor Arbeit muss entlastet werden", sagt AK-Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter. Man müsse jedoch in Einkommensgruppen differenzieren und die staatlichen Leistungen von Österreich einrechnen. Dann werde der Unterschied deutlich geringer.

Arbeitslosengeld

In Dänemark gibt es das Modell der Flexicurity, das sich aus Flexibility (Flexibilität) und Security (Sicherheit) zusammensetzt. Das Konzept sieht starke staatliche Unterstützung jener vor, die ihre Arbeit verlieren – kombiniert mit niedrigem Kündigungsschutz. Die staatliche Unterstützung sei anfangs hoch, aber zeitlich begrenzt. Das erhöhe den Druck, sich rasch eine neue Stelle zu suchen.

Die Agenda will die auch hier bereits diskutierte degressive Arbeitslosenunterstützung. Die Ersatzrate des Arbeitslosengeldes soll von derzeit 55 Prozent auf 65 Prozent steigen und nach 18 Wochen auf das heutige Niveau von 55 Prozent sinken. Nach insgesamt 35 Wochen auf 45 Prozent. Schellhorn fürchtet eine "österreichische Lösung", nämlich eine Erhöhung zu Beginn, aber kein Abfallen mit der Zeit.

Mitter sieht das naturgemäß anders. "Wir begrüßen eine Anhebung des Arbeitslosengeldes zu Beginn, unter das aktuelle Niveau darf es aber keinesfalls sinken." Das sei Armutsförderung und treffe mit Frauen, Jungen und Älteren die Falschen. Außerdem gebe es keine Belege dafür, dass ein degressives Modell Arbeitsanreize steigere.

Arbeit im Alter

Agenda Austria sowie die Arbeiterkammer unterstützen dieselbe Idee: ein sogenanntes Experience-Rating wie in den Niederlanden. Dabei wird die gesundheitspolitische Verantwortung gleichermaßen auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt. Dieses Anreizsystem führt dazu, dass Firmen und deren Beschäftigte präventive Maßnahmen ergreifen, um Krankheit und Invalidität zu vermeiden, und so den Sozialstaat entlasten.

Das wird dadurch erreicht, dass Beiträge für Invaliditätspensionen in einen fixen und einen branchenspezifischen Anteil geteilt werden. So müssen Betriebe mit vielen Invaliditätsfällen höhere Beiträge bezahlen. Im Ergebnis investieren Arbeitnehmer und -geber mehr in die Gesundheit am Arbeitsplatz, was Grundvoraussetzung für längeres Arbeiten ist.

Bildung

Laut Agenda verfügt knapp die Hälfte der Langzeitarbeitslosen maximal über einen Pflichtschulabschluss, Unternehmen suchen jedoch qualifiziertere Menschen. Beim Lösungsansatz herrscht grosso modo ebenfalls Einigkeit zwischen Agenda und AK: Es braucht eine andere Art der Schulfinanzierung, ein Modell, das im Vereinigten Königreich reüssiere. Schulen mit Kindern aus bildungsschwächeren Schichten wurde mehr Geld zur Verfügung gestellt, Direktionen durften sich Lehrer aussuchen und wurden organisatorisch unterstützt. Geld allein reiche jedoch nicht, meint Mitter, es müsse Kontrollen über die Fortschritte geben und auch Schulen müssten sich weiterentwickeln.

Kinderbetreuung

In Österreich arbeiten immer mehr Frauen in Teilzeit, Hauptgrund ist die Betreuung von Kindern, aber auch von Pflegebedürftigen. "Hier geht viel Potenzial verloren, weil Frauen gut ausgebildet sind", bedauert man bei der Agenda. In Skandinavien und speziell in Dänemark gibt es bessere Angebote für Ganztagesbetreuung für Kinder, was Eltern mehr Zeit für einen Job gibt. Das Thema ende nicht im Kindergarten, es brauche auch in der Schule ein System, in dem Kinder nicht auf die Hilfe der Eltern angewiesen sind. (Andreas Danzer, 24.2.2022)