Demonstrierende fordern die Auslieferung Wladimir Putins an den Internationalen Strafgerichtshof.

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Russland und dessen Präsident Wladimir Putin haben internationales Recht gebrochen – wieder einmal. Die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine sowie der Einmarsch russischer Truppen in Russlands westlichen Nachbarstaat sind eine klare Verletzung geltender Rechtsnormen – und dennoch bestehen einige völkerrechtliche Fragen. Wir haben die wichtigsten Antworten gesammelt.

Frage: Darf Putin das?

Antwort: Natürlich nicht. Die internationale Staatengemeinschaft einigte sich schon mit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 darauf, Krieg nicht länger als Mittel der internationalen Streitschlichtung anzuerkennen. Bis dahin waren Kriege unter bestimmten Bedingungen zumindest nicht verboten. Durch den Abschluss des Litwinow-Protokolls ein Jahr später und den Beitritt zum Briand-Kellog-Pakt verschrieb sich auch die Sowjetunion jener kompletten Ächtung von Angriffskriegen. Später sollte der Pakt die Rechtsgrundlage für die Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 bilden. In der Charta der Vereinten Nationen wurde der Kriegsächtungsbegriff nach Weltkriegsende zudem um ein generelles Gewaltverbot ergänzt, das die Souveränität und territoriale Integrität gleichberechtigter Staaten wahrt. Des Weiteren bricht Putin mit der Invasion mit dem "Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994, in dem die Achtung der ukrainischen Souveränität und ihrer Grenzen vereinbart wurde", erklärt Ralph Janik, Völkerrechtsexperte an der Uni Wien.

Frage: Was konkret definiert die Uno als Aggression?

Antwort: Die von der Uno-Generalversammlung konsensual angenommene Resolution 3.314 ist recht klar, was den Begriff der Aggression betrifft. Unter anderem heißt es dort in Artikel 2, dass "die Invasion oder der Angriff der Streitkräfte eines Staates auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates" sowie "jede, wenn auch vorübergehende, militärische Besetzung" oder Annexion, die daraus resultiert, unrechtens ist. Das inkludiert freilich auch die "Beschießung oder Bombardierung des Hoheitsgebietes eines Staates". Artikel 5 macht darüber hinaus unmissverständlich klar, dass keinerlei Überlegungen "politischer, wirtschaftlicher, militärischer oder sonstiger Natur" eine solche Aggression jemals rechtfertigen. Ein Angriffskrieg sei ein Verbrechen gegen den Weltfrieden und führe automatisch zu völkerrechtlicher Verantwortlichkeit.

Frage: Ist damit jede Form der Kriegsführung verboten?

Antwort: Nein. Das Recht auf Selbstverteidigung sowie vom Uno-Sicherheitsrat mandatierte friedensschaffende Missionen sind von diesem Verbot ausgenommen. Rein völkerrechtlich umstritten ist dabei die sogenannte humanitäre Intervention, wenn etwa ein Staat nicht dem Schutz seiner eigenen Bevölkerung nachkommen kann. Die sogenannte Responsibility to Protect ist zwar nicht in der UN-Charta verankert, wurde in den vergangenen Jahren aber immer wieder eingesetzt. Im konkreten Fall darf sich die Ukraine rein rechtlich militärisch freilich wehren.

Frage: Halten Putins Argumente?

Antwort: Die von Wladimir Putin ins Spiel gebrachten Argumente, wonach die Invasion einerseits eine Reaktion auf eine mutmaßliche Nato-Expansion in Richtung Osten und damit ein Akt der Selbstverteidigung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk ist und andererseits ein Mittel, um den Genozid in der Ostukraine zu stoppen, halten für Ralph Janik in keinem Fall. Vielmehr pervertiere es die Konzepte der humanitären Intervention oder der Schutzverantwortung, wenn beides offensichtlich nicht der Fall sei, so Janik. Das Selbstverteidigungsrecht greife nicht, weil die Volksrepubliken keine Staaten seien und sie außerdem von Russland massiv unterstützt wurden und werden. "Ebenso gibt es keinen Völkermord", sagt der Jurist. Zudem könne Putin einen Krieg nicht mit vergangenen Rechtsverletzungen rechtfertigen. Eine UN-Mission zur Friedenssicherung in der Ukraine kann schon allein deshalb ausgeschlossen werden, weil Russland als fixer Vertreter im Sicherheitsrat über eine Vetomacht verfügt und nicht gegen sich selbst in den Krieg ziehen wird.

Frage: Aber macht der Angriffskrieg Putin automatisch zum Kriegsverbrecher?

Antwort: Nein. Russland bricht mit seinem Einmarsch zwar klar internationales Recht. "Die Invasion selbst ist kein Kriegsverbrechen, aber ein Verbrechen im Sinne des Römischen Statuts", stellt Janik klar. Wären Russland und die Ukraine Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, könnte man Russland für die Aggression an und die Invasion in der Ukraine verurteilen. Beide sind aber keine Mitglieder – ebenso wie beispielsweise die USA –, was die Sache verkompliziert. Putin als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte und weitere militärische Verantwortliche könnten indes sehr wohl für etwaige Kriegsverbrechen auf ukrainischem Boden verantwortlich gemacht werden, sofern diese stattfinden sollten – was wir aktuell noch nicht beurteilen können. Das gilt auch, wenn sie nicht direkt, sondern nur indirekt in diese Verbrechen involviert waren. Die Ukraine hat auch schon Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes in Bezug auf die frühere Invasion in der von Russland annektierten Halbinsel akzeptiert.

Frage: Was gilt als Kriegsverbrechen?

Antwort: Als Kriegsverbrechen gelten vor allem schwerwiegende Verletzungen internationalen Rechts in böser Absicht. Das umfasst etwa die bewusste oder auch achtlos und unverhältnismäßig herbeigeführte Tötung von Zivilistinnen und Zivilisten, die Geiselnahme von Unbeteiligten oder wenn Menschen als Schutzschilde für militärische Einrichtungen missbraucht werden. Etliche Massaker, Genozide und Bombardements wurden in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten bereits als Kriegsverbrechen dokumentiert.

Frage: Gibt es internationale Präzedenzfälle für die Verurteilung von Kriegsverbrechern?

Antwort: Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurden hochrangige NS-Männer für die Erarbeitung und Ausführung eines gemeinsamen Planes (einer Verschwörung) zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, das Kriegsrecht und die Humanität angeklagt. Die Teilnahme an der Planung, Vorbereitung, Entfesselung und Führung von Angriffskriegen war damals ausschlaggebend, um etwa Reichswirtschaftsminister Hermann Göring und weitere hohe Generäle zum Tod durch den Strang zu verurteilen, dem sich Göring durch Suizid am Vorabend der Vollstreckung entzog. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wurde hingegen 1993 in Den Haag eingerichtet und sollte über Kriegsverbrechen im Zuge der Sezessionskriege in Jugoslawien ab 1991 richten. Der Gerichtshof war befugt, vier Kategorien von Straftaten zu verfolgen: schwere Verletzungen der Genfer Konventionen, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor dem Tribunal landete unter anderen der ehemalige serbische und jugoslawische Ministerpräsident Slobodan Milošević, der jedoch nicht wegen Angriffskriegs, sondern wegen Gräueltaten und Vertreibung angeklagt war. Er starb vor Prozessende. Der ehemalige serbisch-bosnische Politiker Radovan Karadžić wurde wegen Völkermords, nicht aber wegen Angriffskriegs zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch der frühere sudanesische Staatschef Omar al-Bashir wurde 2021 an den Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert.

Frage: Welche Gesetze gelten im russisch-ukrainischen Krieg?

Antwort: Das Völkerrecht sieht eine Reihe an Rechten und Pflichten bei kriegerischen Auseinandersetzungen vor. Beinahe immer geht es dabei um die sogenannte Proportionalität. Es darf also zu keinerlei Gewaltexzessen kommen und immer nur dem Wesen des Krieges entsprechend verhältnismäßig gehandelt werden, wobei dies natürlich schwer zu beurteilen ist. Jedenfalls dürfen nur Kombattantinnen, Soldaten und militärische Einrichtungen und solche, die strategischen Zielen dienen, angegriffen werden. Ein Flächenbombardement auf eine ganze Siedlung oder eine Stadt wäre in jedem Fall verboten. Die Zivilbevölkerung muss nämlich permanent und größtmöglich geschützt werden. "Werden zivile Objekte und Zivilisten direkt angegriffen, verstößt die russische Armee gegen das Recht bewaffneter Konflikte", stellt auch Völkerrechtler Janik klar. Das regeln sowohl die Haager als auch die Genfer Konvention.

Frage: Wie beeinflussen Ausnahmeregeln die Situation?

Antwort: Jegliche Missachtung des Schutzes von Unbeteiligten kann den Kriegsparteien später als Kriegsverbrechen angehaftet werden – ebenso wie die ungerechte Behandlung von Kriegsgefangenen oder Journalistinnen. Wenngleich einige Rechte in Kriegszeiten kurzzeitig ausgesetzt werden können, gibt es eine Reihe von Menschenrechten – wie das Recht auf Leben, ein Folterverbot oder ein Recht auf ein faires Verfahren –, die unverrückbar sind und immerwährend gelten. Kein Kriegsrecht der Welt kann diese aushebeln.

Frage: Inwiefern spielt Österreichs Neutralität beim Konflikt eine Rolle?

Antwort: Österreich hat 1955 aus freien Stücken – darauf legten alle Verhandler damals großen Wert – seine immerwährende Neutralität erklärt. Oftmals wird dies damit verwechselt, dass Österreich in allen internationalen Konflikten keinerlei Stellung beziehen darf. Viel eher aber war es stets so gedacht, dass es sich um eine rein militärische Neutralität handelt, sprich: Österreich werde keinem Militärbündnis beitreten und sich in bewaffneten Konflikten weder an Kriegshandlungen beteiligen noch solche mit Waffenlieferungen unterstützen. Spätestens seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 und mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU nach den Verträgen von Amsterdam ist die Frage einer politischen Neutralität, die so nirgendwo explizit festgehalten ist, zunehmend einer politischen Solidarität unter EU-Partnern gewichen. Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen betonte dies auch bei seiner Rede am Donnerstag im österreichischen Parlament, als er meinte: " Eine aktive Neutralität muss eine engagierte Neutralität sein" und dürfe nicht zum Zusehen verdonnern, wenn europäische Nachbarstaaten angegriffen werden. Das sieht übrigens auch die für ihre Neutralität bekannte Schweiz so. Die irische Klausel in den EU-Verträgen sichert militärisch-neutralen Staaten wie Österreich dennoch zu, dass man zu keinerlei militärischem Eingreifen gezwungen werden kann. (Hans Rauscher, Fabian Sommavilla, 25.2.2022)