Innerhalb der EU gab es eine Einigung auf Sanktionen gegen Russland. Beim Ausschluss aus dem Bankenkommunikationsnetzwerk Swift gab es jedoch Differenzen.

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Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten haben bei einem Krisengipfel nach dem Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine einem umfangreichen Sanktionspaket gegen Russland zugestimmt. Die Strafmaßnahmen betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visavergabe geben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschwor in der Nacht auf Freitag nach den rund sechsstündigen Beratungen, zu denen auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet wurde, die Einheit der EU. "Unsere Einigkeit ist unsere Stärke", sagte sie. Der russische Präsident Wladimir Putin versuche die Landkarte Europas neu zu zeichnen. "Er muss und er wird scheitern."

Uneinigkeit bei Swift

So einig, wie von der Leyen es beschrieb, waren sich die Staats- und Regierungschefs aber nicht. Mehrere forderten schon vor Beginn des Sondergipfels weitreichendere Maßnahmen. Dabei steht das Bankenkommunikationsnetzwerk Swift im Zentrum. Ein Swift-Ausschluss hätte zur Folge, dass russische Finanzinstitute quasi vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen würden.

Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus wies US-Präsident Joe Biden darauf hin, dass die EU das Haupthindernis für ein Verbot sei. "Es ist immer eine Option, aber im Moment ist das nicht die Position, die der Rest Europas einnehmen möchte", sagte Biden.

Zu den Ländern, die dieses Sanktionsinstrument derzeit ablehnen, gehört Deutschland. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz begründete diese Haltung in Brüssel mit strategischen Erwägungen. Man solle zunächst bei dem über die vergangenen Wochen vorbereiteten Sanktionspaket bleiben, sagte er. Alles andere müsse man sich "aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun". Was das für eine Situation sein könnte, sagte Scholz allerdings nicht.

Auch Österreich dagegen

Ebenso sprach sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) dagegen aus, Swift in das aktuelle Paket aufzunehmen. "Swift ist derzeit auch in den Vorschlägen kein Thema", sagte er. "Hintergrund des Ganzen ist, dass die Aussetzung von Swift weniger die Russische Föderation treffen würde als die Europäische Union." Denn erstens habe Russland ein eigenes Zahlungssystem, und zweitens würde Russland sofort auf das chinesische Zahlungssystem umsteigen.

Einem EU-Diplomaten zufolge stimmten auch Italien, Zypern und Ungarn mit Deutschland und Österreich darin überein, dass für den Swift-Ausschluss nicht der richtige Zeitpunkt sei.

Im Gegensatz dazu sprachen sich mehrere Staats- und Regierungschefs für möglichst scharfe Maßnahmen aus und nannten zum Teil auch Swift. So betonte der slowenische Ministerpräsident Janez Janša, es müsse das schärfstmögliche Sanktionspaket beschlossen werden – inklusive Swift-Ausschluss. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte: "Wir müssen uns für massive Sanktionen einsetzen, für strenge Sanktionen gegen Putin, gegen Russland. Wir können nicht zulassen, dass ein weiterer Rubikon von Putin überschritten wird."

Auch der Vorschlag Sloweniens für einen EU-Beitritt der Ukraine sei nicht diskutiert worden, sagte Nehammer. "Ein verfrühter EU-Beitritt würde der Ukraine nichts bringen und auch der Europäischen Union nichts, weil die Systeme so unterschiedlich sind."

Nehammer erwartet drittes Paket

Nehammer erwartet weitere Strafmaßnahmen gegen Russland. "Man geht davon aus, dass ein drittes Paket kommt, und es wird sich sehr zielgerichtet und intensiver an diejenigen richten, die im Kreml tatsächlich Macht und Einfluss haben", sagte Nehammer Freitagfrüh. Es sei ein weiteres Sanktionspaket besprochen worden, "weil die Wucht der Aggression der Russischen Föderation weit über das hinausgeht, was damals schon erwartet worden ist, als die Sanktionen vorbereitet worden sind". Laut EU-Kreisen soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, die Vermögen von russischen Oligarchen in der EU einzufrieren. "Es wird natürlich auch damit zu Systemveränderungen für russische Oligarchen in Österreich kommen", bekräftigte Nehammer.

Die Situation in der Ukraine sei dramatisch. "Putin hat jetzt mit Gewalt Fakten geschaffen", so Nehammer. Putins "Gewaltrhetorik" sei Teil der Legende des Angriffs und seines Narrativs. Die EU sei so geschlossen wie noch nie, "aus unserer Sicht hat sich die Russische Föderation und Präsident Putin klar verkalkuliert". Man müsse ausloten, wie man wieder eine Gesprächsbasis herstellen könne.

Bei den Sanktionen gegen den Finanzsektor geht es vor allem darum, Banken von den EU-Finanzmärkten abzuschneiden. Sie sollen sich in der EU künftig kein Geld mehr ausleihen und auch kein Geld mehr verleihen können. Zudem soll die Refinanzierung von russischen Staatsunternehmen in der EU verhindert werden. Ihre Aktien sollen nicht mehr in der EU gehandelt werden. Ähnliches ist für den Energiesektor geplant.

Bei den Sanktionen gegen den Transportsektor geht es vor allem darum, die russische Luftverkehrsbranche von der Versorgung mit Ersatzteilen und anderer Technik abzuschneiden. Damit könne man mit relativ kleinem Aufwand riesige Wirkung erzielen und sogar ganze Flotten stilllegen, hieß es am Donnerstag in Brüssel. Die Exportkontrollen für Hightech-Produkte und Software sollen es auch anderen russischen Schlüsselindustrien schwer machen, sich weiterzuentwickeln. Dabei könne das Land mittel- und langfristig schwer getroffen werden, hieß es in Brüssel.

Die Einschränkungen bei der Visapolitik sollen sich gegen Russen richten, die bisher privilegierte Einreisemöglichkeiten in die EU hatten. Dazu zählen neben Diplomaten beispielsweise auch Geschäftsleute. (APA, dpa, red, 25.2.2022)