Als Familienministerin soll Sophie Karmasin einst an vermittelten Studien aus dem Finanzministerium verdient haben.

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Es sollte das große Geständnis daraus werden und die umfassenden Verdachtsmomente der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen den damaligen ÖVP-Chef Sebastian Kurz bekräftigen – und Sabine B. sprach über: Milchprodukte. Minutenlang. Am 13. Oktober, kurz nach ihrer Festnahme, sagte die Marktforscherin stundenlang aus. Zunächst ging es um die Perforierung von Milchpackungen, um Erdbeerjoghurt und den "faszinierenden" Umgang der Menschen damit, die nämlich einmal löffeln, einmal reinstechen und einmal den Becher umdrehen, um zu sehen, ob noch Flüssigkeit darin ist.

So schilderte B. ein Praktikum, das in ihr die Liebe zur Marktforschung erweckt hatte. Die Ermittler der WKStA könnten es zu diesem Zeitpunkt geahnt haben: Es würde dauern, bis Sabine B. ihre Geschichte rund um mutmaßlich manipulierte Umfragen, Scheinrechnungen ans Finanzministerium und korruptive Deals mit der Mediengruppe Österreich zu Ende erzählt hätte.

So war es dann auch. Ihre jüngste Aussage am 9. Februar gleicht einem Geständnis der Frau, die seit ihrer vorübergehenden Festnahme den Kronzeugenstatus anpeilte. Dafür ist es nötig, dass B. den Ermittlern auch Neuigkeiten eröffnet – und das hat sie offenbar getan: So habe ihre Ex-Chefin, die Meinungsforscherin Sophie Karmasin, bereits früher "Absprachen" mit einer Partei und einer Boulevardzeitung getroffen und Umfragen manipuliert, nämlich mit der SPÖ und "Heute".

Provision für Karmasin

Zudem soll Karmasin als von der ÖVP nominierte Familienministerin an den inkriminierten Deals zwischen B., Mediengruppe Österreich und Finanzministerium verdient haben. Zwanzig Prozent Provision habe sie verlangt, behauptete B. schon in ihrer ersten Einvernahme. Karmasins Anwalt Norbert Wess bestätigt das, betont aber, dass daran nichts strafbar sei: "Alle Einnahmen wurden ordnungsgemäß versteuert." Dass Scheinrechnungen ans Finanzministerium gelegt worden seien, habe Karmasin nicht gewusst und schon gar nicht mitgetragen, sagt Wess.

Bezüglich der Scheinrechnungen belastet B. vor allem drei frühere Mitarbeiter des Finanzministeriums: den langjährigen Generalsekretär Thomas Schmid, den früheren Kurz-Sprecher Johannes Frischmann sowie den einstigen Abteilungsleiter Johannes Pasquali. Gemäß B.s Einvernahme hätten alle drei über jenes System Bescheid wissen müssen, das die WKStA untersucht. Die anderen Beschuldigten, also Sebastian Kurz und dessen Berater Stefan Steiner und Gerald Fleischmann, habe sie hingegen nur oberflächlich gekannt. Sie alle werden nicht von ihr belastet.

"Nicht in Ordnung, wenn das BMF zahlt"

Der Tatvorwurf: B. soll in ihren Umfragen für das Finanzministerium (BMF) auf Geheiß von Schmid und später Frischmann auch Themen abgefragt haben, die nur der ÖVP parteipolitisch genützt hätten. Bezahlt worden sei das Ganze trotzdem mit Steuergeld. Die Umfragedaten seien dann, wenn sie dem Team rund um Kurz genehm waren, zur Veröffentlichung an "Österreich" weitergeleitet worden. Zeitgleich hatten das Finanzressort und die Mediengruppe auch einen Inseraten- und Kooperationsdeal am Laufen.

Hatte B. zunächst noch behauptet, die parteipolitische Stoßrichtung mancher Fragen sei ihr aufgrund ihres geringen Interesses an Politik ("Ich war nicht einmal wählen") nicht aufgefallen, so hörte sich das in späteren Vernehmungen doch anders an: "Beim Durchforsten dieser Studien ist mir jetzt noch einmal sehr bewusst geworden, dass doch etliche Fragestellungen parteipolitisch waren und nichts mit dem BMF zu tun hatten." Man erkenne "eine bestimmte Linie zugunsten der Anliegen der ÖVP." Außerdem sei ihr "bewusst" gewesen, "dass das nicht in Ordnung ist, wenn das BMF zahlt" – weil der Vorteil der zusätzlich beantworteten Fragen ja für die ÖVP gewesen ist.

Frisierte Umfragen

Geht es nach B.s Aussagen, so war an den Umfragen fast alles frisiert: die Samplegrößen – also die Anzahl der Befragten –, die Ergebnisse innerhalb der Schwankungsbreite, aber auch ihre eigenen Interpretationen der Umfrageresultate. "Ich habe die Ergebnisse dieser Umfrage an Frischmann weitergeleitet und diese mit ihm besprochen. Er hat mir inhaltliche Vorgaben für den oben abgedruckten Kommentar gemacht", beschreibt sie die Art und Weise, wie eine Aussendung ihres Unternehmens Research Affairs zustande gekommen sei. Die Presseaussendung eines vermeintlich unabhängigen Meinungsforschungsinstituts sei also von einem Kurz-Vertrauten mehr oder weniger diktiert worden.

Wegen des Zeitdrucks, unter den sie gesetzt worden sei, seien oft weniger Interviews gemacht worden, als später ausgewiesen wurde. Bei der Zeitung "Österreich" habe man das gewusst. Im Finanzressort habe man es sogar gefordert, um die Kosten zu verringern und so parteipolitische Zusatzfragen zu ermöglichen.

Im Jahr 2019 habe sie eine "Eigenstudie" veröffentlicht und an die Nachrichtenagentur APA gespielt, die in Wahrheit ein Auftrag von Kurz-Sprecher Frischmann gewesen sei. Durch den Ausdruck "Eigenstudie" sollte "der wahre Auftraggeber verschleiert werden", sagte B., abgerechnet werden sollte später über das Finanzministerium.

Von konkreten Absprachen zwischen dem Team Kurz und der Mediengruppe Österreich in Form der Fellner-Brüder wisse sie zwar nichts, aber: "Ich erkenne und habe es auch damals schon erkannt, dass die gleichzeitige Beauftragung von Studien durch das BMF und von Umfragen für die Mediengruppe Österreich mehrere Vorteile für die Auftraggeber vonseiten der ÖVP (Schmid/Frischmann) mit sich brachte." Diese seien so einerseits in kurzer Zeit an Umfrageergebnisse gekommen und hätten andererseits die Möglichkeit bekommen, "nach ihren Vorgaben angepasste Ergebnisse" zeitnah zu veröffentlichen. Der frühere Kurz-Sprecher Frischmann, der jetzt im ÖVP-Parlamentsklub arbeitet, bestreitet die Vorwürfe über seinen Anwalt: Er sei "zu keiner Zeit in ein illegales Konstrukt aus Umfragen und Inseraten involviert" gewesen, vielmehr zähle es "zur Kernaufgabe des Pressesprechers (…), auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken". Außerdem entlastet er Kurz, Steiner und Fleischmann, von denen er "nie Aufträge im Zusammenhang mit Studien und Umfragen" erhalten habe.

Modell bei der SPÖ und "Heute" gelernt

Und wie ist B. in diese Angelegenheit überhaupt hineingerutscht? Sophie Karmasin, damals noch bei Gallup, hatte an B.s Fachhochschule einen Vortrag gehalten. B. fragte sie nach einem Job, bekam einen und wurde langsam zu Karmasins rechter Hand. Da will sie schon beobachtet haben, wie Karmasin mit der SPÖ und "Heute" zusammengearbeitet habe.

Mehrere Seiten lang schildert B. im Einvernahmeprotokoll, dass Absprachen zwischen einer Partei, einem Medium und der Marktforschung zu Zeiten ihrer Zusammenarbeit mit ÖVP-Leuten für sie "nichts Neues" gewesen seien. Denn in "den Jahren 2011 bis 2013" habe es ein ähnliches "System" gegeben, wie sie behauptet. Damals laut B. involviert: die SPÖ-Bundespartei, die Karmasin Motivforschung und die Gratiszeitung "Heute". Konkret nachvollziehen lässt sich dieses "System" jedoch anhand ihrer Schilderungen nicht. B. gibt auch an, nicht zu wissen, ob zu damals schon "öffentliche Dienststellen beteiligt waren". Heißt: Sie könne nicht sagen, wer für die Umfragen und Studien damals bezahlt hatte – die SPÖ selbst oder etwa ein Ministerium, was rechtlich betrachtet einen erheblichen Unterschied macht.

B. erläutert, dass "laufend Studien für die Tageszeitung 'Heute'" durchgeführt worden seien. Im Hintergrund habe es Absprachen mit der SPÖ gegeben: Es seien "sehr deutlich Wünsche der SPÖ kommuniziert" worden, "in welche Richtung die Ergebnisse zugunsten der SPÖ – beispielsweise ein paar Prozentpunkte beim Ergebnis der Sonntagsumfrage – verändert werden sollen". So sei es laut B. dann auch gemacht worden.

Viele offene Fragen

Passiert sei all das "unter der Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas", wie B. erklärt. Darüber hinaus nennt sie eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter, mit denen sie in Kontakt gestanden sei. Auf Anfrage des STANDARD erklärt Rudas, dass sie seit zehn Jahren nicht mehr in der österreichischen Innenpolitik tätig ist und für Stellungnahmen nicht zur Verfügung stehe. "Ich halte lediglich fest, dass im Rahmen meiner politischen Tätigkeit niemals staatliche Mittel missbräuchlich von mir für SPÖ-Zwecke verwendet wurden."

Der von B. genannte SPÖ-Mitarbeiter erklärt auf Nachfrage, dass er erst 2013 Mitarbeiter der SPÖ-Bundespartei wurde – zu dieser Zeit habe es bereits "ein bestehendes Vertragsverhältnis" zwischen der SPÖ und der Karmasin Motivforschung gegeben. Er erklärt jedoch, dass die Studien seinem Wissen nach "nur für den SPÖ-internen Gebrauch" waren, weshalb sie auch "ausschließlich von der SPÖ bezahlt" worden seien. Der heutige SPÖ-Kommunikationschef Stefan Hirsch sagt auf Nachfrage: "Uns liegen keine Informationen oder Hinweise zu den Behauptungen der Beschuldigten vor. Offenbar handelt es sich um ein bewusstes Ablenkungsmanöver." Bei dem von B. geschilderten roten "System" bleiben derzeit also viele Fragen offen; soweit bekannt, laufen diesbezüglich auch keine Ermittlungen.

Auch "Heute"-Geschäftsführer Wolfang Jansky streitet jegliche Vorwürfe ab. Die Zeitung habe zwar mit dem Umfrageinstitut von Karmasin zusammengearbeitet, allerdings nur zwischen April 2012 und November 2013. Die Leistungen seien "immer von 'Heute' beauftragt und auch bezahlt" worden. Die damals veröffentlichten Umfragen würden außerdem "in keiner Weise" von Umfragen anderer Meinungsforschungsinstitute zu dieser Zeit abweichen. Es gebe aus seiner Sicht deshalb auch keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sie nicht "mit der nötigen wissenschaftlichen Sorgfalt erbracht" worden seien, stellt Jansky klar.

Gespräche über Hausdurchsuchungen

Als Karmasin dann plötzlich Familienministerin wurde, verkaufte sie ihre Anteile am Unternehmen. Mit dem neuen Eigentümer wurde B. nicht warm, er warf sie letztlich raus. Daraufhin gründete sie ein eigenes Unternehmen und bekam Hilfe von Karmasin: Die Familienministerin vermittelte ihr einerseits Aufträge aus dem Finanzministerium, andererseits eroberte man die Aufträge von "Österreich" zurück, die man schon bei Gallup durchgeführt hatte. Die gemeinsame Motivation sei es gewesen, "so, jetzt können wir dem Michi (neuer Gallup-Mehrheitseigentümer, Anm.) die Umfragen wegnehmen."

All das hat sich offenbar eingespielt, jedenfalls habe sie bis kurz vor Bekanntwerden der Ermittlungen in dieser Causa im Herbst 2021 mit Kurz-Sprecher Frischmann kommuniziert. Zuletzt dürften das auch heikle Gespräche gewesen sein, die indirekt auch zu B.s Festnahme führten. So soll ihr Frischmann mitgeteilt haben, dass es im Umfeld der ÖVP "zum Thomas Schmid" Hausdurchsuchungen geben werde. "Brauchst dir jetzt überhaupt keine Gedanken machen", habe er sie zwar beruhigt. Aber andererseits durch den Hinweis, dass Schmids Kommunikation über die Speicherung in einer iCloud aufgekommen sei, nervös gemacht. Nachdem sie in Radio Kärnten von einer Razzia bei Thomas Schmids früheren Mitarbeitern gehört hatte, begann sie deshalb zu löschen: Chats, Einträge in ihrem Telefonbuch und E-Mails. Außerdem suchte sie online nach Möglichkeiten, ihr iPhone ganz zu leeren.

Am nächsten Tag war es dann so weit: Die Ermittler führten auch bei B. eine Hausdurchsuchung durch – und entdeckten einige Tage später ihre Löschversuche. Wegen Verdunkelungsgefahr wurde B. deshalb am 14. Oktober kurzzeitig festgenommen, in diese Zeit fallen auch die ersten Einvernahmen. Und warum gelangten sie jetzt erst in den Akt? Das erschließt sich aus einem Antrag von B.s Anwältin Katrin Blecha-Ehrbar vom 27. Oktober: "Meine Mandantin befürchtet starken medialen Druck und auch Druck anderer Beschuldigter (oder deren Angehörigen) auf sie, wenn das Protokoll ihrer noch nicht vollständigen Beschuldigteneinvernahme jetzt schon zum Akt genommen wird." Sie beantragte daher, das Protokoll bis zum Abschluss der Aussage ihrer Mandantin auszunehmen. Und das war eben erst am 9. Februar der Fall. (Renate Graber, Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 25.2.2022)