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Transmissionselektronenmikrographie von SARS-CoV-2-Viruspartikeln.

Foto: Reuters/Niaid

Weltweit haben Wissenschafterinnen und Wissenschafter in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um Licht ins Dunkel der Pandemie zu bringen. Auch österreichische Forschende spielten dabei an vorderster Front mit und förderten neues Wissen zutage. Daneben standen viele stärker als je zuvor im Mittelpunkt des Interesses, erklärten der Öffentlichkeit in nie dagewesener Regelmäßigkeit die Faktenlage. Wie haben sie selbst die vergangenen zwei Jahre erlebt, wie hat sich ihre Arbeit gewandelt? DER STANDARD hat nachgefragt.


Frage 1: Wie hat sich Ihre Forschung durch die Pandemie verändert?

Frage 2: Auf welchen wissenschaftlichen Beitrag sind Sie besonders stolz, welche Erkenntnis war für Sie besonders überraschend?

Frage 3: Wo haben Sie sich rückblickend in den letzten 24 Monaten am ehesten geirrt?

Frage 4: Welche positiven Entwicklungen haben Sie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft oder auch in der Gesellschaft bemerkt, bei denen Sie hoffen, dass sie auch nach Corona bleiben oder beibehalten werden?

Sylvia Knapp

Professorin für Infektionsbiologie

Foto: Med-Uni Wien

1. Wir untersuchen seit 20 Jahren die immunologischen Mechanismen von Lungeninfektionen, insofern hat sich die Wichtigkeit unserer Forschung durch die Pandemie bestätigt, ohne jedoch die Grundelemente unserer Forschung zu verändern. Was sich verändert hat, ist die enorme Geschwindigkeit, mit der neue Ergebnisse publiziert werden und wurden, was Großteiles auf enorm gute Zusammenarbeit vieler (inter)nationaler Forschungsgruppen zurückzuführen ist.

2. Mich freut, dass es uns gelungen ist, ein klinisch relevantes Covid-Modell zu entwickeln, das uns nun erlaubt, die Ursachen von Risikofaktoren im Detail zu untersuchen, und so hoffentlich zu therapeutischen Ansätzen beitragen wird, um schwere Verläufe in Zukunft zu vermeiden.

3. Das Ausmaß der Mutationen des Virus haben mich als Nichtvirologin etwas überrascht, bis zu dem Zeitpunkt, als wir selbst mit dem Virus gearbeitet haben und die schnellen Veränderungen selbst beobachten konnten.

4. Die wohl positivste Entwicklung zu Beginn der Pandemie war das große gesellschaftliche Interesse an neuen Forschungserkenntnissen, was zur Hoffnung veranlasst hat, dass eine neue, ausgeprägte Anteilnahme und Wertschätzung der Wissenschaften anhalten könnte. Ich bleibe optimistisch.

Florian Krammer

Virologe und Professor für Impfstoffkunde

Foto: Sebastian Krammer

1. Stark. Als am 10. Jänner 2020 klar wurde, welches Virus den Ausbruch in Wuhan verursacht hat, und als ich gesehen habe, dass sich das schnell ausbreitet, haben wir im Prinzip alles stehen und liegen gelassen und angefangen, zu dem neuen Virus zu arbeiten.

2. Na ja, ich bin auf meine eigenen wissenschaftlichen Beiträge nie besonders stolz. Sobald wir was erreicht haben, sehe ich eher schon das nächste Problem, das man angehen muss. Allerdings freut es mich sehr zu sehen, wie weit unser Low-Cost-Covid-19-Impfstoffprojekt, eine Kollaboration mit Peter Palese und Adolfo García-Sastre, in Vietnam, Thailand, Brasilien und Mexiko mittlerweile ist. Im Großen und Ganzen bin ich sehr stolz darauf, was die gesamte internationale Forschungsgemeinschaft in kurzer Zeit geschafft hat, inklusive Impfstoffe, antiviraler Medikamente, aber auch Grundlagenforschung zu Sars-CoV-2.

3. Ich hatte nicht erwartet, dass wir so schnell Varianten sehen. Im Gegensatz zu anderen RNA-Viren wie dem Influenzavirus haben Coronaviren einen Korrekturlesemechanismus für die Genomreplikation und mutieren daher grundsätzlich langsamer. Von Delta und vor allem Omikron bin ich überrascht worden. Aber man lernt nie aus.

4. Einerseits ist die Bevölkerung mittlerweile extrem gut informiert, was Viren, Forschung, Impfstoffe et cetera betrifft, das sehe ich sehr positiv. Andererseits ist es zu einer starken Spaltung der Bevölkerung gekommen, was ich hochproblematisch finde. Ich glaube, es ist auch klar geworden, dass wir uns besser auf kommende Pandemien vorbereiten müssen. Man soll sich da keine Illusionen machen, die nächste Pandemie wird kommen. Es ist nur nicht klar, wann. Ob das in fünf, zehn oder 30 Jahren sein wird, und welches Virus sie verursachen wird, ist halt unklar. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die nötigen Schritte zur Vorbereitung wirklich getroffen werden. Das müsste die Politik umsetzen, und ich sehe momentan weltweit wenige Politiker, die langfristig – über die nächste Wiederwahl hinaus – planen. Und wenn die Pandemie einmal vorbei ist, interessiert das wahrscheinlich niemanden mehr. Ich sehe da eher schwarz.

Dorothee von Laer

Medizinerin und Virologin

Foto: APA/Helmut Fohringer

1. Es haben sich viele Aspekte der Forschung verändert. Die Forschung ist schon vor der Pandemie immer schnelllebiger geworden, aber die Geschwindigkeit, mit der in den Forschungsgebieten rund um Sars-CoV-2 neue Erkenntnisse gewonnen und publiziert werden, übersteigt alle bisherige Entwicklungen. Außerdem stehen Wissenschafter viel mehr in der Öffentlichkeit als vor der Pandemie. Wissenschafter mussten lernen, wissenschaftliche Erkenntnisse allgemein verständlich zu erklären, sie erhielten viel Aufmerksamkeit, aber auch Anfeindungen.

2. Wir waren mit die Ersten, die gezeigt haben, dass Omikron eine immunologische Fluchtvariante ist.

3. Ich hatte bei der Südafrikavariante vor einem Jahr gefürchtet, sie würde sich damals wie in Südafrika auch bei uns durchsetzen. Stattdessen ließ sie sich, wenn auch mit sehr stringenten Maßnahmen, gut eindämmen, im Gegensatz zu Omikron heute.

4. Das Publizieren als Preprint war vor Sars-CoV-2 eher verpönt. Heute ist es durchaus üblich, Ergebnisse schon vor der offiziellen Publikation als Preprint zur Diskussion zu stellen. Das beschleunigt die wissenschaftliche Entwicklung und verbreitert die Diskussionsbasis. Auch Twitter ist zu einem Medium geworden, auf dem Wissenschafter sich in Echtzeit auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufmerksam machen. Dies alles führt zu einer deutlich besseren Vernetzung und Beschleunigung der Wissenschaft. Auch wenn nicht alle mitgenommen werden konnten, so ist, glaube ich, das Interesse in der Gesellschaft an den Naturwissenschaften gestiegen. Viele Menschen haben auch verstanden, dass Solidarität und Zusammenhalt wichtig für die Bewältigung von Krisen sind. Diese Entwicklungen könnten helfen, etwa die Klimakrise besser zu bewältigen. Wir müssen nur lernen, wie wir mit Minderheiten, die gemeinschaftlich gesetzte Ziel nicht mittragen oder gar torpedieren, umgehen. Das wird in Zukunft bei der Bewältigung der Klimakrise weltweit wohl die größte Herausforderung sein.

Tanja Stamm

Professorin für Outcomes Research

Foto: Felicitas Matern

1. Vor allem zu Beginn der Pandemie war eine verstärkte positive nationale Kollaboration unter Wissenschafter:innen in Österreich spürbar. Dies war eine Bereicherung zusätzlich zu unseren überwiegend internationalen Forschungspartner:innen vor der Pandemie. Außerdem merkten wir ein weitaus größeres Interesse an Forschungsergebnissen. Es kam zu einer verstärkten Nutzung von Umfrageforschungen und zu mehr Interesse an den Sichtweisen von Menschen auch aus unterschiedlichen, etwa vulnerablen, Bevölkerungsgruppen.

2. Beeindruckend war für mich die gestiegene Bereitschaft eines Teils der Bevölkerung, Gesundheitsdaten vermehrt zu nutzen, um Menschen noch zielgerichteter helfen zu können. Ebenso verwunderlich war andererseits die verstärkte Wissenschaftsskepsis bestimmter Personengruppen. Gewundert hat mich außerdem, wie schnell in der Wissenschaft methodische Standards vernachlässigt worden sind, um möglichst rasch Publikationen akzeptiert zu bekommen.

3. Die unerwartet hohe Impfskepsis, vor allem nach den Impfstoffengpässen zu Beginn, und die plötzlich so negative Haltung gegenüber Gesundheitsberufen seitens bestimmter Personengruppen hätte ich keinesfalls erwartet.

4. Die gestiegene Bereitschaft eines Teils der Bevölkerung, Gesundheitsdaten vermehrt zu nutzen, und die starke nationale interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Andreas Bergthaler

Molekularbiologe

Foto: APA/Helmut Fohringer

1. Unsere Forschung hat sich durch die Pandemie doch stark verändert. In laufende Infektionsforschungsprojekte wurden Covid-relevante Fragen integriert. Dazu haben wir eine ganze Reihe von neuen Projekten gestartet und teilweise schon erfolgreich beendet.

2. Unser Team am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zusammen mit der Ages, der Med-Uni Wien und vielen wichtigen Kollaborationspartnern aus ganz Österreich, sequenziert Sars-CoV-2-Genome seit Februar 2020 bis heute. Damit wurden wir unerwartet zu Chronisten der Virusevolution für Österreich und konnten hautnah verfolgen, wie sich die 30.000 Buchstaben des Virus über die Zeit verändert haben. Unsere neuen Erkenntnisse zu Superspreading- Events und der Virusübertragung oder zu Virus-Escape-Mechanismen haben wir in internationalen Studien publiziert. Darüber hinaus haben wir ein neues Virusvarianten-Monitoring etabliert, mit dem Abwässer analysiert werden.

3. In den ersten zwölf Monaten war kaum absehbar, dass uns das Virus immer wieder neue Varianten rund um die Welt schicken würde. Dadurch bekam unsere Grundlagenforschung auf einmal einen neuen Stellenwert und wurde zusehends für das aktuelle Pandemiemanagement herangezogen. Persönlich am stolzesten bin ich darauf, dass es uns unter fordernden Bedingungen gelungen ist, viele tolle Kollaborationen mit Wissenschafter:innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen nachhaltig aufzubauen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse und der kontinuierliche Gedankenaustausch waren und sind ein Lichtblick und Motivation für uns.

4. Die letzten zwei Jahre haben bei vielen von uns zu Erschöpfungszuständen geführt. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Pandemie den immensen Wert von Wissenschaft und auch von Wissenschaftsjournalismus tagtäglich verdeutlicht. Ich bin daher (zweck)optimistisch, dass dies zu einem besseren Verständnis und einer größeren Wertschätzung von Forschung allgemein und auch von evidenzbasierten Entscheidungen führt. Dies wäre wichtig für zukünftige Krisen als auch für den Innovationsstandort Österreich und unser gesellschaftliches Miteinander.

Peter Klimek

Physiker und Komplexitätsforscher

Foto: APA/Hans Punz

1. In erster Linie habe ich in den letzten zwei Jahren weniger Zeit dafür gehabt. Zu vielen Aspekten einer Pandemie hat es erstmals qualitativ hochwertige Daten gegeben. Etwa zur weltweiten Ausbreitung eines hochansteckenden Virus in einer immunologisch komplett naiven Bevölkerung und dazu, wie diese Ausbreitung durch unterschiedliche Verhaltensmaßnahmen gebremst werden kann. Dadurch sind Studien möglich geworden, die man davor nur theoretisch – ohne Daten – durchführen konnte.

2. Unsere Auswertungen zur Wirksamkeit von Maßnahmen wie Lockdowns und Schulschließungen haben international viel Beachtung gefunden. Überrascht hat mich dabei insbesondere, wie sich die Rolle der Schulen im Infektionsgeschehen während der Pandemie mehrmals verändert hat. Unsere Wahrnehmung dieser Rolle hat sich ebenfalls verändert, aber oftmals komplett gegensätzlich dazu, wie der tatsächliche Beitrag war.

3. Das war nach der ersten Welle in 2020. Man hätte auf europäischer Ebene sofort eine gemeinsame und verbindliche Vorgehensweise für zukünftige Infektionswellen vereinbaren müssen: dass wir in Europa nicht gewillt sind, hohe Infektionszahlen zu akzeptieren. Es wäre notwendig gewesen, konzertiert frühzeitig mit Maßnahmenverschärfungen aufkeimende Infektionswellen im Keim zu ersticken. Und nicht erst warten, bis die Spitäler überlaufen, es eine Übersterblichkeit gibt – und man dann erst recht viel länger zu Lockdowns greifen muss, um immer größere Infektionswellen wegzudrücken und Nachbarländern rüberzuschieben. Dafür hätte ich mich von Anfang an stärker einsetzen müssen.

4. Neben einer größeren Sichtbarkeit der Wissenschaft und ihrer Erfolge wie der schnellen Entwicklung eines Impfstoffes sehe ich auch ein gestiegenes Bewusstsein dafür, dass man mit sinnvoller Datennutzung das Gemeinwohl deutlich erhöhen kann.

Barbara Prainsack

Politikwissenschafterin

Foto: Heribert Corn

1. Thematisch nicht so sehr, aber in der Außenwahrnehmung doch stark. Mein Forschungsschwerpunkt war ja schon vor der Pandemie die Gesundheits- und Medizinpolitik, zudem leite ich seit 2017 eine Forschungsgruppe zum Thema Solidarität. Beides wurde vor der Pandemie von vielen für nicht so relevant befunden, oder sogar als anachronistisch. Mit der Pandemie hat sich das schlagartig geändert.

2. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir an der Universität Wien gleich mehrere sozialwissenschaftliche Studien zu Covid-19 haben, die zu Beginn der Pandemie ganz schnell gestartet wurden. So ist Österreich auch eines der wenigen Länder weltweit, in denen es sowohl qualitative Daten als auch repräsentative quantitative Daten zum Befinden der Bevölkerung in der Corona-Zeit gibt. Zwei dieser Studien, die europaweite SolPan-Studie (Solidarität in Zeiten einer Pandemie) und das Corona-Panel-Projekt, habe ich gestartet beziehungsweise mitbegründet.

3. Als wir unsere beiden Corona-Projekte im März 2020 starteten, ging ich davon aus, dass die Pandemie in wenigen Monaten vorüber sein würde.

4. In der Wissenschaft gibt es mehr Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen. Ich hoffe, dass das bleibt.

Christiane Druml

Bioethikerin und Juristin

Foto: APA/Georg Hochmuth

1. Wie hat sich die Forschung generell durch die Pandemie verändert? Besonders beeindruckend war, dass es hier trotz immerwährender Konkurrenz zu einem weltweiten Miteinander der Forscher gekommen ist, die Kräfte wurden gebündelt, die Ziele, so schnell wie möglich das Virus zu entschlüsseln und Maßnahmen dagegen zu entwickeln, gemeinsam verfolgt. Erfolgreich war dies auch, weil Finanzierung so schnell vorhanden war und man sehen konnte, dass viel größere Erfolge möglich sind, wenn alle miteinander agieren und das Geld auch schnell in die besten Projekte fließen kann.

2. Welcher wissenschaftliche Beitrag war besonders überraschend? Überrascht war ich von der schnellen Entwicklung von Impfstoffen, besonders auch deshalb, weil es gegen ein anderes Virus, nämlich gegen HIV, trotz intensiver Forschung bisher nicht gelungen ist, eine wirksame Impfung zu entwickeln.

3. Ich hätte nicht gedacht, dass der Anteil der Bevölkerung, der fern der wissenschaftlichen Erkenntnisse lebt, der nicht nur an Fake News glaubt, sondern daraus folgend auch an lauten Protesten mit teilweise infamen Vergleichen gegen die gesundheitlichen Maßnahmen teilnimmt, doch relativ groß ist. Hier ist der Staat gefordert, diese Menschen schnell wieder aus ihren Echokammern zu holen.

4. Die aktive Involvierung der Wissenschafter in die Politikberatung ist eine wichtige Entwicklung, die die Bedeutung der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit unterstreicht. Ich hoffe, dass sich dies auch in einer besseren Finanzierung der Forschungstätigkeit in Österreich niederschlagen wird und auch bei den Menschen, die in Österreich traditionell eher weniger an Wissenschaft und Forschung interessiert sind, Neugier weckt. (Marlene Erhart, 9.3.2022)