3,6 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen flossen bis Ende 2021 in den von Lockdowns gebeutelten Handel.

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Wien – "Koste es, was es wolle." Dieser Satz kam Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) bei der Ankündigung umfangreicher Wirtschaftshilfen anlässlich des ersten Lockdowns im März 2020 ziemlich locker über die Lippen. In welchen Dimensionen sich die Corona-Staatshilfen im Lauf der Pandemie bewegen sollten, darüber war wohl weder ihm noch seinem inzwischen ebenfalls aus dem Amt gefegten Intimus und Bundeskanzler Sebastian Kurz bewusst.

Bei vier Lockdowns und dazugehörigen Auf- und Zusperr-Aktionen fällt es schwer, den Überblick zu bewahren, zumal der Covid-19-Krisenbewältigungsfonds aus dutzenden, teilweise auf Branchen zugeschnittenen Einzelmaßnahmen besteht: Fixkostenzuschuss, Fixkostenzuschuss 800.000, Lockdown Umsatzersatz, Ausfallsbonus, Verlustersatz, Umsatzersatz für indirekt betroffene Betriebe, Härtefallfonds, Überbrückungsfinanzierung für selbstständige Künstler und Künstlerinnen – um nur einige zu nennen. Auf 15,1 Milliarden Euro belaufen sich allein die Auszahlungen aus dem Fonds mit dem unaussprechlichen Namen.

Inzwischen liegen erste grobe Aufschlüsselungen nach begünstigten Branchen vor. Sowohl relativ als auch absolut am stärksten von der Krise betroffen waren Beherbergung und Gastronomie. Die Bruttowertschöpfung dieser gebeutelten Branche und ihrer unselbstständig Erwerbstätigen hat sich in den beiden Corona-Jahren auf 20 Milliarden Euro halbiert. Es waren im Zeitraum durchschnittlich 43.000 Personen weniger erwerbstätig, weit mehr als 37.000 (gerechnet auf Vollzeitstellen) in Kurzarbeit – und rund 20.000 Angestellte mehr waren arbeitslos als erwartet.

Alle zur Verfügung stehenden Töpfe zusammengerechnet, wurden an die für Österreich volkswirtschaftlich so gewichtige Sparte rund sechs Milliarden Euro an Corona-Hilfen ausgeschüttet. Das entspricht, errechnete der Budgetdienst des Nationalrats, bis Ende 2021 knapp einem Drittel aller Unternehmenshilfen.

Zum Vergleich: Der krisenbedingte Rückgang der Bruttowertschöpfung in dieser Branche macht rund 40 Prozent des Gesamtrückgangs der Bruttowertschöpfung aus.

Das spricht also für eine gewisse Schieflage bei der Zuteilung der Hilfen, wie sie von den Interessenvertretern in der Wirtschaftskammer auch regelmäßig beklagt wird. Grund dafür sei die vergleichsweise geringe Inanspruchnahme von Kurzarbeit.

"Gut versorgt"

Der Makroökonom der Arbeiterkammer, Markus Marterbauer, sieht Österreichs Gastronomie und Hotellerie alles in allem gut versorgt. Allein schon die Senkung der Mehrwertsteuer von zehn auf fünf Prozent habe den Betrieben sehr geholfen, zumal diese ihre Preise für ihre Gäste auch nicht reduzierten.

Dass diese für Bewirtung neuerdings sogar mehr bezahlen, weil Gastronomen vielmehr die Preise erhöht haben, treibe die ohnehin schon hohe Inflation weiter an, mahnt der Experte. "Viele holen sich hier ein Körberlgeld."

Das will der Spartenobmann in der Wirtschaftskammer, Mario Pulker, so natürlich nicht stehen lassen – wie sich der Gastwirt aus Niederösterreich auch gegen den Vorwurf der Überförderung seiner Zunft verwehrt. 9500 Betriebe hätten bisher Überbrückungskredite im Volumen von 1,1 Milliarden Euro benötigt, rechnet er vor. Zwei Drittel der Antragssteller seien vor der Krise gesunde Betriebe mit positivem Eigenkapital gewesen.

Die Branche mit den zweitmeisten Covid-19-Hilfen war der Handel. In diesem Segment waren die Wirtschaftshilfen mit 3,6 Milliarden Euro bis zum Jahresende 2021 sogar etwas höher als der geschätzte Verlust bei der Bruttowertschöpfung, den der Budgetdienst auf rund drei Milliarden Euro oder sechs Prozent des Gesamtrückgangs taxiert.

Hochdiversifizierte Branche

Ungerecht? Das ist nicht so einfach auszumachen, denn innerhalb der hochdiversifizierten Branche ist die Bandbreite zwischen kleinen Einzelhändlern und weltweit agierenden Handelsketten ebenso groß wie zwischen den einzelnen Sparten. Der Lebensmittelhandel lief in der Pandemie wie geschmiert, während Bekleidung im Einzelhandel zum Ladenhüter wurde – auch weil online so gut wie alles verfügbar ist, und das auch noch bequem.

Das erklärt, warum im Schnitt 28.000 Angestellte (Vollzeitäquivalente) in Kurzarbeit waren. Entsprechend nüchtern fällt das Resümee vieler Händler zu den Hilfen der vergangenen zwei Jahre aus. "Die Gastronomie wurde überfördert, wir waren die Stiefkinder", klagt Handelsverbandschef Rainer Will. Mittel- und langfristige Förderungen seien im EU-Vergleich ausreichend geflossen, wenn auch vielfach sehr spät.

Nicht gut sei der Staat hingegen darin gewesen, kurzfristig für Liquidität zu sorgen. Im Verzug sei vor allem die versprochene Unterstützung für den vierten österreichweiten Lockdown.

Gut zwei Drittel der Händler hätten keinen Anspruch auf den Ausfallsbonus, obwohl ihre Geschäfte behördlich gesperrt waren, ärgert sich Will. "Wer anspruchsberechtigt ist, wartet zum Teil bis heute auf Geld. Das sind keine Einzelfälle."

Übel nimmt er der Regierung auch, dass sie es bisher verabsäumt habe, für Klarheit bei den Mietzahlungen während der Ausgangsbeschränkungen zu sorgen. "Das hat die Beziehung zwischen Händlern und Vermietern stark unter Druck gebracht." Das Schlimmste wären Rückzahlungen der Mietbeihilfen, warnt Will. "Hier braucht es dringend Nachbesserungen."

Kunst zu überleben

Trüb ist die Lage nach wie vor in den Bereichen Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Dienstleistungen wie Friseur- und Kosmetiksalons, Wäschereien, Solarien, Bäder und Saunas. Sie gehören zu den am zweitstärksten betroffenen Branchen. Ihr Geschäft hat im Zuge der Pandemie rund ein Fünftel an Volumen eingebüßt, wobei bei den Wäschereien mangels Stadthotellerie vorerst auch kaum Besserung in Sicht ist.

Am Geld mangelte es bei der Corona-Bekämpfung nicht, sind sich alle Experten und Ökonomen einig. Zu hinterfragen sei allerdings die Mittelallokation. Und: Lockdowns wurden zu spät verhängt, dafür dauerten sie länger. Das kostete Milliarden.

Im Ergebnis liege Österreich etwa im Mittelfeld, attestiert Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, allerdings im unteren. Ohne Pandemie wäre das österreichische Bruttoinlandsprodukt Ende 2021 um etwa 2,8 Prozent höher gewesen als Ende 2019, rechnet er anhand der prognostizierten Wachstumsprognosen der Industriestaatenorganisation OECD vor.

Wachstumslücke

Tatsächlich ist Österreichs BIP aber um zwei Prozent geringer. In Summe fehlen also fast fünf Prozentpunkte auf den ursprünglich angenommenen Wachstumspfad. Deutschland wäre nach OECD-Schätzung ohne Covid-19 um einen Prozentpunkt langsamer gewachsen als Österreich und hat das vierte Quartal 2021 ohne Lockdown überstanden. Daher beträgt die Wachstumslücke dort nur 2,1 Prozent, rechnet das Wifo vor.

Am effektivsten waren jene Corona-Hilfsmaßnahmen, die wie Arbeitslosengeld automatisch und unmittelbar flossen, attestiert Marterbauer. Der Experte für Wirtschaftswissenschaften in der Arbeiterkammer erinnert daran, dass im Zuge der Krise viele europäische Länder den Sozialstaat ausbauten. Skeptisch ob ihrer Wirkung ist er bei eigens aus dem Boden gestampften Hilfen wie dem Härtefallfonds, die er mit Almosen vergleicht.

Neue Bürokratie

Die Wirtschaftskammer habe dafür neue Bürokratie aufgebaut – bis das Geld floss, vergingen Monate. Marterbauer regt für die Zukunft Debatten über einen höheren Schutz der selbstständigen Erwerbstätigen an.

Eine Pflichtversicherung im Falle von Arbeitslosigkeit der Einzelkämpfer gehöre ebenso diskutiert wie weitere Modelle der Kurzarbeit. "Während der Pandemie wäre Ein-Personen-Unternehmen damit enorm geholfen gewesen." In Deutschland gebe es dazu bereits entsprechende Vorschläge.

Erstaunlich üppig waren in den vergangenen zwei Jahren aus Marterbauers Sicht die Subventionen für Unternehmen. Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung hätten sich diese geradezu verdreifacht. Der Finanzierungsüberschuss der Kapitalgesellschaften sei noch nie höher gewesen. Auffällig sei im Gegensatz zur "großzügigen Behandlung" der Unternehmer jedoch die zurückhaltende Unterstützung von Österreichern, die am stärksten gefährdet seien, in die Armutsspirale abzurutschen.

Almosen für Arbeitslose

"Für Langzeitarbeitslose etwa wurde lange nichts getan", kritisiert Marterbauer. Nicht einmal temporär das Arbeitslosengeld zu erhöhen sei hierzulande politisch möglich gewesen. Immerhin Einmalzahlungen für Arbeitslose und Notstandshilfenbezieher und -bezieherinnen setzten die Grünen durch.

Starke Kritik übt er an doppelten und dreifachen Förderungen aus Umsatzersatz, Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss. Zu sehr sei dabei mit der Gießkanne agiert worden, zu groß sei die Gefahr der Ineffizienz.

Was der Ökonom aber vor allem vermisst, ist Transparenz. Abgesehen von Datenbanken der EU, die finanziell allerdings weit oben ansetzten, gebe es kaum Einblick in das Gebaren der Cofag. Dies mache es schwer, die Effekte der Hilfen faktenbasiert zu evaluieren.

Hier setzt die Kritik der Oppositionsparteien an. SPÖ und Neos sehen vor allem kritisch, dass ein Großteil der Hilfen über die Covid-19-Finanzierungsagentur Cofag abgewickelt wird. Diese hat lediglich einen Beirat (in den die Opposition trotz Einladung der Regierungsparteien nicht eingezogen ist), ist der Kontrolle durch die Öffentlichkeit oder wenigstens das Parlament aber völlig entzogen.

Blackbox Cofag

Diese – gemessen an den Milliardenhilfen, die sie auszahlt – personell sehr, sehr dünn besetzte Tochter der Banken-Abbaugesellschaft Abbag muss keine Rechenschaft ablegen. Sie bedient sich bei der Zuerkennung von Staatshilfen einer Fülle von externen Beratern und Wirtschaftsprüfern, was nicht nur den Nationalratsabgeordneten ein Dorn im Auge ist. "Blackbox" nennen sie das Vehikel, das unter der Regie des im Zuge der Chat-Affäre abgetretenen Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, erschaffen wurde.

Bleibt die Frage, wie die Unternehmen der Nadel der Corona-Infusionen wieder entwöhnt werden. Denn nur 3000 Unternehmen schlitterten im Vorjahr in die Pleite – das sind um 2000 bis 2500 weniger als in Zeiten vor der Krise. Die massiven staatlichen Eingriffe bremsten die natürliche Auslese. Selbst die Kurzarbeitsbeihilfe wurde an wirtschaftlich wackelige Unternehmen ausbezahlt – ohne zu prüfen, ob die wirtschaftliche Schieflage tatsächlich nur vorübergehend war, wie der Rechnungshof in seinem am Freitag vorgelegten Bericht bemängelte.

Pleiten kommen wieder

Von Jänner bis Mitte Februar stieg die Zahl der Firmeninsolvenzen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder um 69 Prozent. Die Privatpleiten zogen im Jänner um 23 Prozent an, zieht Gerhard Weinhofer, Chef des Gläubigerschützer Creditreform, Bilanz. Worte wie Tsunami und Welle nimmt er nicht in den Mund. Dass die Zahl der Konkurse noch heuer das Niveau der Jahre vor der Pandemie erreichen könnte, sei jedoch nicht ausgeschlossen.

Weinhofer nennt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die Stundungsvereinbarungen als die wesentlichen Eckpfeiler, um Österreichs Unternehmer finanziell über Wasser zu halten. Bescheidener machten sich mit insgesamt 30 Milliarden Euro im Vergleich dazu die Überbrückungskredite aus.

Das Prinzip der umstrittenen Gießkanne will Weinhofer nicht allzu schlechtreden. Im Frühjahr 2020 habe schlicht die Zeit gefehlt, um ausgefeiltere Fördersysteme auf die Beine zu stellen. "Die Angst war groß, dass die ganze Wirtschaft zusammenkracht." (Verena Kainrath, Luise Ungerboeck, 27.2.2022)