Markus Meyers (vorne) Performance macht Staunen – nicht nur seine Ensemblekolleginnen und -kollegen Caroline Baas, Tilman Tuppy und Arthur Klemt (v. li.).

Foto: Karolina Miernik

In knarzenden Kunstlederanzügen betritt das Kunstvolk die Bühne. Die Gewänder als auch ihre vom Soundsystem gewitzt verstärkten Schritte machen es zur Karikatur seiner selbst. Die Rektorin der städtischen Akademie (Sabine Haupt) hat eine Skulptur geschaffen, sie sind gekommen, um jene zu bestaunen. "Ah" und "Ha" schlüpfen, mit dem Kopf im Nacken, noch vor der Enthüllung aus ihren Mündern. Als der blaue Vorhang in der Bühnenmitte (toll von Sigi Colpe) aufgeht – ist aber nichts dahinter.

Ode an die alten Täter nennt die Künstlerin das unsichtbare Werk, dessen Titel die Frage provoziert, ob man Nazis, die der eigenen Mutter das Leben gerettet haben, indem sie deren gewalttätigen Vater töteten, dankbar sein darf – "egal was sie sonst gemacht haben". Hätten sie "im Rahmen des riesigsten Verbrechens" doch ein anderes "gesühnt".

In einer Debatte, die auf der Podiumsdiskussion der Kunstuni dazu geführt wird, herrscht schnell Einigkeit: Nein.

Vom Werktitel begeistert, beansprucht in Thomas Melles Stück Ode im Burgtheater-Kasino inzwischen aber die "Wehr" die unsichtbare Skulptur, über die sie sich erst noch echauffiert hat (Millionen für Luft!), für sich. "Wehr" nennen sich die Rechten, die europäische Werte verteidigen und öffentliche Plätze von "Gesindel" sauber halten wollen.

Reizthemenkonzentrat

Ein zweites Die Welt im Rücken darf man sich nicht erwarten. Die Dramatisierung von Thomas Melles Roman über seine bipolare Störung war 2017 im Akademietheater mit Joachim Meyerhoff ein Riesenerfolg. Ode mag auch über autobiografische Züge verfügen. Es geht darin immerhin um die Frage, was Kunst wie sagen darf. Autorinnen tangieren solche Fragen heute notgedrungen. Das Stück ist jetzt nicht weniger aktuell als bei der Uraufführung 2019. Denn Melle kocht Reizthemen wie politische Korrektheit, Cancel-Culture, gendergerechte Sprache oder die Frage, wer wen repräsentieren kann und darf, zu einem Konzentrat ein. Er hält sich nicht mit Begriffserklärungen auf, sondern stößt uns direkt hinein in die gespaltene Bühnengesellschaft.

Selbige dirigiert der Regisseur András Dömötör in seiner ersten Inszenierung fürs Burgtheater grandios. Arthur Klemt wird als der Älteste der Künstlerclique mit struwwelig-weißem Schopf, der ihn als altlinken Liberalen ausweist, zum Ankläger der jungen und identitätspolitisch versierten Kollegen (Caroline Baas, Tilman Tuppy). Er schreit ihnen die schönsten Schimpfworte fürs woke Zeitalter ins Gesicht: "süßlich-harmlose Zwinkerartisten" und "opferbesessene Opferdarsteller". Famos, wie sie sich beim Brüllen erst zu verfertigen scheinen.

Als "Hassrede" werden sie im Generationenkonflikt von den Adressierten zu seinen Ungunsten registriert. Gerüchte reichen ihnen für Shitstorms. Jedes Kunstwerk ist für sie zuerst politischer Debattenbeitrag. "Fragen der Ästhetik sind hier nicht mehr gefragt", stellen sie mit schmierig überlegenen Mienen fest.

Präzisionsarbeit

Mimik und Gesten sind an diesem Abend ganz fein ziseliert. Speziell im mittleren Teil der fast zwei Stunden klotzt Dömötör aber auch mit großen Effekten. Denn Markus Meyer kann nicht nur berückend singen, er zieht auch gleich einmal blank. Als Regisseur sieht er sich einer jungen Generation von Schauspielerinnen gegenüber, die mit der Idee von Nachahmung, aber auch potenziell triggernden Geschichten nichts mehr anfangen können. Mit bemerkenswertem Körpereinsatz gibt er ihnen zum Trotz eine Vergewaltigte, eine vor dem Machomann zitternde Hausfrau und eine Putzkraft. Wenn nicht Künstler die weniger privilegierten Gruppen der Gesellschaft auf den Bühnen darstellten, kämen die dort dann überhaupt vor? Die Wehr (Katharina Pichler) sieht entspannt vom Rand zu, wie die Linken einander zerfleischen.

Dömötör packt Melles kluge Beobachtungen mit viel Verspieltheit an, in ihr stecken Tiefe und Kraft. Großartig, wie Klemt sich immer wieder vertut, wenn er mit Isolierband Hakenkreuze an die Bühnenrückwand kleben will und jedes Mal verdutzt davorsteht, wenn ein Haken in die falsche Richtung zeigt und das Unterfangen beendet. Man sitzt mit Staunen in dieser bemerkenswert gelungenen Produktion. (Michael Wurmitzer, 27.2.2022)