Flüchtlinge passieren den ukrainisch-rumänischen Grenzübergang Siret.

Foto: EPA / Robert Ghement

Über 43.000 Menschen – meist Frauen und Kinder oder ältere Männer – haben laut rumänischer Grenzpolizei seit Ausbruch der Kriegshandlungen in der Ukraine Zuflucht in Rumänien gesucht – Stand Samstagabend. Beim nordrumänischen Grenzübergang Siret formierte sich am Sonntag auf ukrainischer Seite auf beiden Fahrspuren eine etwa 20 Kilometer lange Schlange, viele Flüchtende haben lange Fußmärsche hinter sich.

Die Behörden stellen sich auf einen längerfristigen Andrang ein. Rumänien und die Ukraine teilen sich eine 650 Kilometer lange Grenze, auch über die Republik Moldau kommen Kriegsflüchtlinge an. Viele sind nur auf der Durchreise, obwohl einige auch über einen rumänischen Pass verfügen. Etwa die Hälfte hat Rumänien bereits wieder verlassen. In Rumänien betragen die Zuwendungen nur rund drei Euro pro Tag. Einige kommen bei Verwandten unter. Laut den – veralteten – Daten der Volkszählung von 2011 zählt die ukrainische Minderheit in Rumänien etwa 50.000 Angehörige.

Viele Freiwillige

Der Leiter der Rotkreuz-Niederlassung im Landeskreis Suceava, Corneliu Dediu, ist seit Samstagfrüh in Siret im Einsatz: "Den Menschen geht es schlecht, sie haben zehn Stunden und mehr an der Grenze gewartet, sie haben ihr Zuhause verlassen, ihre Männer im Krieg zurückgelassen", berichtet Dediu dem STANDARD. "Wir verteilen auch Telefonwertkarten, damit sie mit ihren Verwandten telefonieren und ihnen mitteilen können, dass sie wohlbehalten in Rumänien angekommen sind".

Ähnlich wie auch weiter nördlich in Polen bieten zahlreiche Freiwillige und Privatpersonen ihre Hilfe an – von Unterbringung bis hin zu Mitfahrgelegenheiten, sogar Jobs. Die Erinnerungen an die Jahrzehnte der Diktatur in der "sowjetischen Einflusssphäre" ist noch wach: "Wir haben selbst Großeltern, die hier im Zweiten Weltkrieg Kriegsflüchtlinge waren", betont Dediu. "Wir tun es einfach, weil wir gute Menschen sind, weil die Ukrainer dasselbe tun würden, weil jeder Mitmensch so handeln würde."

Im knapp 50 Kilometer entfernten ukrainischen Czernowitz ist die Lage aber noch viel dramatischer, gibt Dediu zu bedenken. "Dort haben sich sehr viele Flüchtlinge angesammelt, die Versorgungslage ist äußerst prekär, es gibt keine Lebensmittel und keinen Sprit, die Kirchen sind voll mit Menschen, die auf dem Boden schlafen. Sie brauchen Decken und Nahrung, um diese Tage zu überleben. Wir versuchen gerade, die dortigen Behörden zu erreichen, um uns am Grenzübergang zu treffen und ihnen die Hilfslieferungen übergeben zu können", erklärt Dediu.

Staat zieht nach

Hieß es von offizieller Stelle vergangene Woche noch in einer nüchternen Erklärung, dass Rumänien "keinen Flüchtlingsstrom einladen möchte", zieht der Staat nun allmählich nach – erste mobile Zeltlager werden operationalisiert, ein Koordinationsstab für Hilfemaßnahmen eingerichtet, Quarantäneregelungen aufgehoben. Rumänien verfüge über Kapazitäten für eine halbe Million Flüchtende, versicherte Verteidigungsminister Vasile Dîncu bereits vor Kriegsausbruch.

Am Sonntag bot Premier Nicolae Ciucă an, Kriegsverletzte in rumänische Spitäler zu transportieren, und ging auch selbst Blut spenden. "Die Regierung hat sich eher unter dem Druck der Zivilgesellschaft mobilisiert", erklärt Armand Goșu, Experte für den Ex-Sowjetischen Raum, im STANDARD-Interview.

Online-Plattformen für Hilfsangebote

Deutlich prompter reagierten anonyme Freiwillige, die sich auf Online-Plattformen organisierten. Eine solche richtete auch der junge IT-Unternehmer Alexandru Panait ein – er ist in Rumänien als Gründer erfolgreicher digitaler Innovationsinitativen bekannt: "Ich habe den großen Wunsch gesehen, zu helfen – tausende Menschen bieten Unterkünfte, warme Mahlzeiten, medizinische Versorgung an. Diese Bemühungen drohten aber im Kommunikationschaos unterzugehen", erklärte er dem STANDARD.

Seine Webseite refugees.ro hat allein in den ersten 24 Stunden 400 konkrete, niederschwellige Hilfsangebote verfügbar gemacht, Sonntagmittag waren es schon 700. "Im Westen hat es in der jüngeren Geschichte kein Blutvergießen für die Freiheit gegeben, aber hier sind wir von den Erinnerungen an die eigene blutige Revolution von 1989 geprägt. Hier gibt es eine ganz andere Empathie", begründet Panait die Solidaritätsbekundungen. (Laura Balomiri, 27.2.2022)