Abramowitsch zeigt sich nur noch selten in London.

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Um drohenden Sanktionen vorzubeugen, hat der Besitzer des Londoner Fußballklubs FC Chelsea, Roman Abramowitsch, die "Verwaltung und Aufsicht" über den amtierenden Champions-League-Sieger abgegeben. Juristen bezweifelten am Sonntag allerdings, ob es sich dabei um wesentlich mehr als eine PR-Geste des russischen Oligarchen handelt. Wie andere in London aktive Geschäftsleute aus dem Dunstkreis von Wladimir Putin auch muss der 55-Jährige wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine mit Sanktionen durch die britische Regierung rechnen.

Im Statement des Klubs ist ausdrücklich nicht von "Kontrolle" die Rede. Abramowitschs Manöver stellen "ein Musterbeispiel" dafür dar, wie man Veränderung suggeriere, ohne am Status quo zu rütteln, analysierte der Labour-Lord Professor Stewart Wood: "An den Besitzverhältnissen von Chelsea ändert sich nichts." In einer zweiten Kluberklärung war von einer "entsetzlichen und katastrophalen Situation" in der Ukraine die Rede, ohne aber den Aggressor klar zu benennen. Offenbar fühlte man sich bei Chelsea vor dem Ligacup-Finale gegen Liverpool im Wembley-Stadion (nach Blattschluss) unter Zugzwang.

Versionen

Es gibt unterschiedliche Versionen darüber, wie genau es dazu kam, dass sich der damals 37-jährige Oligarch 2003 den traditionsreichen, aber maroden Klub im Londoner Westen unter den Nagel riss. Der "Financial Times" berichtete er einst, er habe zunächst Tottenham im Auge gehabt, vom Kauf aber abgesehen, nachdem er den armseligen Stadtteil im Norden der Stadt in Augenschein genommen hatte. Dort habe es "schlimmer ausgesehen als in Omsk", einer wenig attraktiven sibirischen Industriestadt.

Dem Klub hat die Ära Abramowitsch zahlreiche Trophäen, darunter zweimal die Champions League, eingebracht. Seit 2003 wurde das Team einmal kurz vom Engländer Frank Lampard, sonst aber stets von Ausländern geleitet: Vier Italiener, zwei Portugiesen, je ein Brasilianer, Israeli und Spanier schwangen das Zepter, ehe vor 14 Monaten der Deutsche Thomas Tuchel übernahm. Bis 2025, haben Spaßvögel errechnet, werde man im Londoner Westen keine zehn Meter gehen können, ohne einem Ex-Trainer von Chelsea zu begegnen.

Strafmaßnahmen

Bisher hat London russische Banken sowie acht Oligarchen mit Strafmaßnahmen belegt, dabei aber die in der Hauptstadt Aktiven verschont. Es gebe eine umfangreiche Liste von Individuen, erläuterte Außenministerin Liz Truss der BBC, "die können sich nicht verstecken". Allerdings müsse die konservative Regierung mit Vorsicht vorgehen und gutes Material gegen die Betroffenen haben. Tatsächlich bedienen sich diese nicht nur der besten verfügbaren PR-Agenten und Anwälte, sondern machen sich auch regelmäßig die extrem restriktive britische Verleumdungsgesetzgebung zunutze. Truss bestätigte den Eingang entsprechender Drohbriefe durch hochkarätige Londoner Anwaltskanzleien.

Abramowitsch ist seit seinem Einstieg beim FC Chelsea der berühmteste Zuwanderer aus Russland. Sein Vermögen beläuft sich der "Sunday Times" zufolge auf etwa 14,4 Milliarden Euro. Sanktionen gegen ihn dürften die dubiosen Geschäftsleute, die der Hauptstadt den Beinamen "Londongrad" eingebracht haben, in erhebliche Unruhe versetzen. So geschah es 2018, als das Innenministerium dem russischen und israelischen Staatsbürger ein längerfristiges Visum verweigerte. Seither taucht Abramowitsch kaum noch bei Londoner Spielen des FC Chelsea auf. Inzwischen hat er sich zusätzlich noch die portugiesische Staatsbürgerschaft besorgt. Anträge auf Aufenthaltsbewilligungen in der Schweiz schlugen zweimal fehl.

Solidaritätsbekundungen

Ministerin Truss verweigerte die Auskunft zu der Frage, ob der Boss des FC Chelsea auf ihrer Verdächtigenliste stehe. Premier Boris Johnson hatte vergangene Woche im Unterhaus behauptet, Abramowitsch sei bereits mit Sanktionen belegt. Das musste der Regierungschef wenig später kleinlaut zurücknehmen.

In der englischen Premier League kam es am Wochenende zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine. Viele Stadien zeigten die Nationalfarben, vielerorts erhob sich das Publikum zu Standing Ovations. Beklatscht wurde beispielsweise die Umarmung der ukrainischen Nationalspieler Oleksandr Sintschenko von Manchester City und Witalij Mykolenko, der im Jänner von Dynamo Kiew zum FC Everton gewechselt ist. Beide kamen bei Evertons 0:1-Heimniederlage nicht zum Einsatz. (Sebastian Borger, 27.2.2022)