Die EU-Kommission erwägt ein Verbot des russischen Propagandasenders RT.

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Wien – Der Krieg wird als "Militäraktion" und "Reaktion auf die Angriffe von ukrainischer Seite auf die Volksrepubliken im Donbass" gesehen, und ein Kommentar trägt den Titel "Ein demokratisches Europa müsste helfen, die Ukraine von Nazis zu befreien": Während Russlands Medienmaschinerie auf Hochtouren läuft, überlegt der Westen, wie er sie stoppen kann. Eine Schlüsselrolle in Wladimir Putins Propagandamedien spielt der russische Auslandssender RT, der bis 2009 Russia Today hieß und in rund 100 Ländern verfügbar ist.

RT nicht mehr auf Magenta, aber noch bei A1

RT ist eine "Waffe im Informationskrieg", sagt der britische Medienexperte Stephen Hutchings, Professor für Russischstudien an der Universität in Manchester, und damit eine Bedrohung für die Sicherheit. RT betreibt mehrere fremdsprachige Kanäle und sendet auf Russisch, Arabisch, Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. In Österreich ist RT etwa über Kabel und Satellit verfügbar. A1 hat die englischsprachige Version noch im Portfolio und will daran vorerst nichts ändern, wie der Konzern auf STANDARD-Anfrage mitteilte. Magenta hingegen hat den Sender am Sonntag aus seinem Programm genommen – DER STANDARD berichtete.

Hutchings forscht zu den Auslandsaktivitäten des russischen Medienimperiums, das neben RT noch den mehrsprachigen Radiosender Sputnik und die international tätige Nachrichtenagentur Ruptly umfasst. Seine Ergebnisse sind kürzlich in eine Studie geflossen, am Montag präsentiert er sie bei einer Veranstaltung des Presseclubs Concordia.

Presseclub Concordia

Hutchings: Verbot wäre "symbolische Geste"

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag angekündigt, Russlands "Medienmaschinerie" das Wasser abgraben zu wollen. Man arbeite an Instrumenten, die "giftigen und schädlichen Desinformationen in Europa" zu verbieten. Von der Leyen schlägt in dieselbe Kerbe wie der europäische Journalistinnenverband AEJ, der sich für ein EU-weites Verbot der Ausstrahlung des Programms von RT einsetzt. Medienexperte Hutchings ist hingegen skeptisch, ob ein Abdrehen des Kreml-treuen Senders den erwünschten Effekt bringen werde: "Das Verbot scheint mir eher eine symbolische Geste zu sein."

Ein Verbot von RT würde dem russischen Narrativ in die Hände spielen, wonach westliche Medien Dinge ausblenden, die sie nicht hören wollten. Russland würde die Zensurkeule schwingen, was wiederum neue Leserinnen und Leser in die Hände von RT treiben könnte. Denn ein Aus als Fernsehprogramm würde ja nichts daran ändern, dass RT mit seinen diversen regionalen Ablegern ja online und via Social Media nach wie vor konsumiert werden könne.

Der BBC könnte es an den Kragen gehen

Hutchings befürchtet, dass ein Verbot sogar kontraproduktiv sein könnte. Wie berichtet, prüft die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom derzeit, ob RT die Lizenzauflagen noch erfülle. Sollte RT tatsächlich abgedreht werden, erwartet sich Hutchings Gegenmaßnahmen des Kreml: "Es würde mich sehr überraschen, wenn ein Verbot von RT in Europa und vielleicht auch in Großbritannien nicht zu einem entsprechenden Verbot der BBC" und anderer Medien in Russland führen würde. Das sei schon bei der Deutschen Welle so gewesen, als Deutschland RT die Ausstrahlung verweigerte.

Der Schaden wäre enorm, so Hutchings, denn es sei wichtig, Leute in Russland "mit anderen Nachrichten zu erreichen", als sie im Staatsfernsehen und über RT transportiert werden. Und da hätten Auslandssender wie die BBC eine eminent wichtige Rolle. Neben der Ausstrahlung des Programms gehe es aber auch um die Möglichkeit, dass ausländische Reporter wie jene der BBC weiter vor Ort berichten können: "Was passiert außerhalb der russischen Propaganda?"

"Wir sollten keine Angst vor RT haben"

RT betreibe Desinformation, klar, aber es sei wichtig, darüber etwas zu erfahren, um kontern zu können, so Hutchings: "Es ist besser, die Propaganda oder Desinformation zu hören, als sie zu verstecken und zu verbannen." Und: "Wir sollten keine Angst vor RT haben."

Laut Hutchings pumpt die russische Regierung jährlich rund 350 Millionen Euro in das RT-Netzwerk. Das Thinktank Institute for Strategic Dialogue (ISD) kam zuletzt sogar auf eine Summe von über einer Milliarden Euro. RT betreibt 22 Büros weltweit und beschäftigt rund 1.000 Journalisten.

Einfluss der TV-Programme überschaubar

Und dennoch sei der Einfluss des TV-Programms auf den Westen überschaubar, erklärt Hutchings. RT wirbt damit, mit seinen Programmen über 700 Millionen Zuseherinnen und Zuseher erreichen zu können, tatsächlich sind es aber viel weniger. "In Großbritannien sind es 300.000 bis 500.000, in den USA etwas mehr", so Hutchings. Am erfolgreichsten sei RT mit seinem arabischen und spanischen Programm, was zu guten Reichweiten im Nahen Osten und in Lateinamerika führe.

Youtube reagiert

Der Erfolg von RT dürfe aber nicht nur in Fernsehzuseherinnen und -zusehern gemessen werden, sagt Hutchings, denn erfolgreicher als die Sender agiere RT in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter etwa habe RT zwei Millionen Follower, und der internationale RT-Kanal auf Youtube komme auf 4,6 Millionen Abonnenten. Youtube hatte allerdings am Sonntag mitgeteilt, RT auf der Videoplattform, einschließlich mehrerer russischer Kanäle, spürbar einzuschränken. Das betrifft etwa die Monetarisierung über Werbung.

Über allen Inhalten von RT steht das russische Narrativ, das direkt vom Kreml komme. In den diversen regionalen Ablegern gebe es aber unterschiedliche Akzentuierungen. Manchmal sei man rechts wie etwa in Deutschland, manchmal links: "Die Idee ist, bestimmte Sachen in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen." Opportunismus ist Trumpf.

Karin Kneissl und Gerald Grosz

Wer arbeitet für RT? "Die Bezahlung ist sehr gut", sagt Hutchings und nennt gleich ein wichtiges Motiv. RT wolle junge, unerfahrene Journalisten beschäftigen. Derzeit wird – wie berichtet – auch in Österreich rekrutiert. RT streckt seine Fühler gerne nach ehemaligen Politikerinnen und Politikern aus, die entweder als Expertinnen und Experten zu Wort kommen oder selbst Gastbeiträge verfassen. Eine davon ist Karin Kneissl, Österreichs ehemalige Außenministerin (FPÖ) und Putin-Freundin. Sie tritt regelmäßig bei RT Deutschland auf.

"Sie wollen glaubwürdige, renommierte Expertinnen und Experten einladen, die meisten wollen aber mit denen nichts zu tun haben", sagt Hutchings über den Versuch von RT, sich einen seriösen Anstrich zu geben und Reputation aufzubauen. Weil das selten gelingt, treten dann Leute wie der ehemalige BZÖ-Politiker Gerald Grosz als "Experten" auf. (Oliver Mark, 28.2.2022)