Torsten Hermentin spielt mit großer Ernsthaftigkeit Thomas Gratt, der 1977 als 21-Jähriger zu den Entführern des Textilindustriellen Walter Palmers in Wien gehörte.

Foto: Edgar Leissing

"Freiheit!", schreit der Mann. "Ich habe wenigstens für etwas gekämpft." Mit verzweifelter Dringlichkeit scheint er sich für das zu rechtfertigen, was er getan hat. Er hält sich an der schweren Eisenkette fest, die aus dem Bühnenhimmel bis zum Boden herabhängt. Doch aus seinen kreisenden Gedanken kommt er nicht heraus. "Ich habe mich entschieden. Unter gleichen historischen Bedingungen würde ich das Gleiche wieder tun."

Er würde also den Industriellen Walter Palmers wieder entführen, wie damals 1977 in Wien. Heute werde die Palmers-Entführung oft als "patschert" abgetan, dabei sei sie eine der "erfolgreichsten" Aktionen in der Geschichte des Linksterrorismus überhaupt gewesen, so der Historiker Thomas Riegler. Ein Teil des Lösegelds von rund 31 Millionen Schilling habe die RAF bis in die 1980er-Jahre finanziert.

Das Theater Kosmos in Bregenz nimmt diese Entführung als Folie für eine Hinterfragung des radikalen Widerstands. Der junge Salzburger Autor und Regisseur Benjamin Blaikner hat das Auftragswerk Die Entführung des Thomas G. geschrieben und inszeniert. Blaikner stellt einen der Entführer, den Vorarlberger Thomas Gratt, ins Zentrum. Er wurde 1977, als 21-jähriger Student der Theaterwissenschaften, Mitglied der terroristischen Bewegung 2. Juni. 13 Jahre saß er im Gefängnis. Ein Gnadengesuch lehnte er ab.

Originalaussagen

Blaikner lässt in knapp 80 Minuten Thomas Gratt (mit großer Ernsthaftigkeit: Torsten Hermentin) erzählen, wie er zum Täter wurde, lässt ihn hadern, nach Sinn suchen, sich bis zuletzt rechtfertigen. Er stellt ihm zwei Schauspielerinnen zur Seite, die innere und äußere Stimmen, Terroristinnen und Schwester sind. Der Autor verflechtet Texte und Zitate aus Interviews, Presseberichten, Gratts eigenen Veröffentlichungen, Gedichte. Die Textcollage untermalt er mit Sound und Bildern, die live auf der Bühne vom Musiker Jonatan Szer und dem Lichtperformer Remo Rauscher eingespielt werden. Blaikner möchte Widerstand und Bewaffnung hinterfragen, und ob Thomas Gratt einer Lebenslüge aufsaß – Gratt beging 2006 Selbstmord.

Blaikners Stück und auch seine Inszenierung verlieren sich aber in Assoziationen, führen über Allgemeinplätze ("mach kaputt, was dich kaputtmacht") oder Bedeutungsschwangeres ("Ich habe die bürgerliche Person getötet, um der zu werden, der ich war") nicht hinaus.

Sein Stück ist weniger der Versuch, Gratt und sein Tun zu hinterfragen. Es ist eher eine Hommage. Blaikner zeigt Gratt weniger als Täter, sondern mehr als Opfer. Als Opfer der Umstände, als Opfer der Terroristinnen (sie verführten ihn), als Opfer der Haft. Das hinterlässt viele lose Enden. (Julia Nehmiz, 28.2.2022)