Anruf in Los Angeles. In Wien ist es Freitagabend, an Amerikas Westküste kurz vor neun in der Früh. Amber Valletta ist dran. Erste, ziemlich aufgelegte Frage: "Sind Sie eigentlich ein Morgenmensch?" "Ja klar!" Überprüfen lässt sich das nicht, Valletta führt das Gespräch ohne Kamera. Die Amerikanerin klingt frisch, zugewandt, routiniert. Sie ist Profi, logisch. Die 48-Jährige ist lange genug im Geschäft. Mit 15 begann sie ihre Modelkarriere bei einer kleinen Agentur in Tulsa, einer 400.000-Einwohner-Stadt in Oklahoma.

In den Neunzigern wurde sie bekannt, heute ist das Model Amber Valletta wieder auf den Laufstegen zu sehen.
Foto: AFP / Christophe Archambault

Kurze Zeit später ergatterte sie ihren ersten Job. Das war nicht irgendeiner. Valletta wurde gleich von der italienischen Vogue engagiert, was für ein Einstand! Bald galt der Teenager aus dem mittleren Westen der USA als eines der gefragtesten Models. Wie Kate Moss, Shalom Harlow oder Eva Herzigová gehörte Valletta in den Neunzigerjahren zur zweiten Supermodelgeneration.

Auch danach ist die Amerikanerin nie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Zuletzt war sie wieder häufiger auf den Laufstegen zu sehen: Alexander McQueen, Versace, Balenciaga, Off-White, viele Marken erkennen Frauen in ihren Vierzigern als Zielgruppe, endlich.

Aber aufs Modeln festnageln lassen hat sich Valletta, die sich 1993 von Annie Leibovitz mit ihrem 18 Monate alten Sohn für ein Vogue-Cover fotografieren ließ, nie: Sie moderierte für MTV, schauspielerte mit Will Smith, warb 2008 für Obama, gründete mit einem Onlinehändler eine Plattform für nachhaltige Mode, jetzt hat sie eine Kollektion für die Marke Karl Lagerfeld entworfen.

Rekordhalterin

Valletta ist in den Neunzigern nicht nur eine Show nach der anderen gelaufen. Sie hält auch einen Rekord. 16 Mal war das Model auf dem Cover der Vogue zu sehen, so oft wie Claudia Schiffer. Mehr Titel haben nur Lauren Hutton, Karen Graham, Jean Shrimpton und Cindy Crawford geschafft. Ihr liebstes Cover? Die Amerikanerin mag sich nicht festlegen. Wobei, doch: das allererste, geschossen von Arthur Elgort. Valletta war 19, als das Heft erschien. Blondes Haar, Sixties-Vibes, das Bild fühle sich wie eine Reise in eine andere Zeit an, sagt Valletta heute.

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1996 mit Naomi Campbell, Shalom Harlow und Karl Lagerfeld.
Foto: Picturedesk / AFP / Pierre Verdy

Besonders gut verstanden hat sich die Amerikanerin mit Shalom Harlow und Kate Moss. An ein gemeinsames Shooting in Spaghettiträgerkleidern erinnert sie sich, man habe einfach nicht aufhören können zu kichern. Und dann dieser Fototermin mit Kate Moss und den vielen kleinen Hunden! Vallettas Erinnerungen machen klar, wie jung die Stars der Modelbranche zu Beginn ihrer Karriere waren.

Bevor man nun abschweift zu Marie Kondō, soll es um die außerordentliche Karriere der 48-Jährigen gehen. Amber Valletta ist in der Modebranche erwachsen geworden und hat dabei gutes Geld verdient. Sie zog lukrative Werbeverträge mit Elizabeth Arden und Calvin Klein an Land. Glen Luchford fotografierte sie Ende der Neunzigerjahre für Prada, die Kampagnen gelten als legendär. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eines jener Fotos von damals auf Instagram geteilt wird. Die Neunzigerjahre-Nostalgie ist auf Social Media weitverbreitet.

Ernsthaft engagiert

Valletta wirkt ernsthaft engagiert. Vor einigen Jahren wurde sie bei Klimaschutzprotesten in Washington festgenommen. Gleichzeitig entwirft sie Mode und Accessoires, natürlich nachhaltig. Gerade erst für die Marke Karl Lagerfeld. Das Model lernte den Designer ("ein Zauberer!") bei einer Chanel-Show und der seiner eigenen Marke kennen.

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1998 auf dem Laufsteg von Prada.
Foto: Picturedesk.com / Camera Press

Eingefädelt wurde sie schon vor sieben Jahren, einer halben Ewigkeit im Modebusiness. Damals stand die Nachhaltigkeit noch nicht auf der Agenda jeder PR-Abteilung. Karl Lagerfeld ist vor drei Jahren gestorben, Pier Paolo Righi, CEO der Marke, realisierte die Zusammenarbeit. 2021 gab's Accessoires aus Kaktusleder, nun auch Mode – Valletta ist jetzt Nachhaltigkeitbeauftrage bei der Marke.

Verzichten kann Valletta auf den Social-Media-Kanal trotzdem nicht. Ihr folgen auf der Plattform 615.000 Menschen. Dass sie sich nicht als professionelle Unterhalterin versteht, spürt man. Es geht auf ihrem Profil eher persönlich zu. Die Amerikanerin teilt Schnappschüsse aus der Natur, schickt Valentinstagswünsche an ihren Freund, den Haarstylisten Teddy Charles, gratuliert Modelkollegin Shalom Harlow zum Geburtstag. Unter den Likes und Kommentaren jene von Fotograf Mario Sorrenti oder Vogue-Chef Edward Enninful. Das Model ist in der Branche bis heute bestens vernetzt.

Amber Valletta hat wenig ausgelassen. 2014 sprach sie das erste Mal über ihre Drogenprobleme. Mit acht begann sie, an Klebstoff und Nagellack zu schnüffeln, mit 18 zog das Model nach Europa, entdeckte Alkohol und Koks. Mit 25 beschloss sie, ihren Süchten ein Ende zu machen, erfolgreich. Dass die Modewelt nicht für ihre Abhängigkeit verantwortlich sei, hat sie immer wieder betont. Noch einmal aber mag das Model nicht über diese Zeit reden. Es sei alles gesagt.

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2021 mit Kate Moss für Fendi und Versace.
Foto: Reuters / Handout Versace by Fendi

STANDARD: Auf Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als "hometown girl, occasional party crasher, hockey mama". Wer ist denn nun Amber Valletta?

Valletta: Die Beschreibung ist verdammt alt! Und sie ist der beste Beweis dafür, wie wenig ich auf Twitter unterwegs bin. Natürlich war ich das alles einmal. Und manchmal fühle ich mich immer noch wie ein ungebetener Partygast. (lacht) Heute würde ich sagen: Ich bin Mutter, eine gute Freundin, Natur- und Tierliebhaberin (im Hintergrund bellt wie bestellt der Hund), ich habe gerne Spaß.

STANDARD: Eine Sache, die kaum jemand über Sie weiß?

Valletta: Ich bin ein absoluter Ordnungsfreak.

STANDARD: Wie erinnern Sie sich an Ihre ersten Modewochen?

Valletta: Meine allererste Show bin ich für Romeo Gigli gelaufen. Nachdem meine Haare kurzgeschnitten waren, ging alles ganz schnell. Es haben mich dermaßen viele Designer gebucht, dass ich mich nur noch bruchstückhaft an die Saisonen erinnere, die ich in New York, Mailand, Paris bestritten habe. Oft waren wir zu dritt unterwegs, Shalom, Kate und ich.

STANDARD: Sind Sie heute noch aufgeregt auf dem Laufsteg?

Valletta: Absolut, das fühlt sich an wie Sprechen in der Öffentlichkeit.

Foto: Karl Lagerfeld

STANDARD: Was wären denn Alternativen zum Modeln gewesen?

Valletta: Vielleicht wäre ich Anthropologin geworden oder in die Politik gegangen, vielleicht hätte ich Umweltwissenschaften studiert. Schwer zu sagen, das sind Dinge, die mich heute interessieren. Als Kind wollte ich der weibliche Indiana Jones sein.

STANDARD: Wie sind Sie damals mit Ihrem Erfolg zurechtgekommen?

Valletta: Nur schwer. Das Geld, die Aufmerksamkeit, all das problemlos handeln zu können wäre von einem 17-jährigen Teenager auch zu viel verlangt. Auf mir lastete großer Druck, junge Schauspieler und Musiker werden das kennen. Ich war verwirrt, habe rebelliert, mich schuldig gefühlt. Ich musste so viele Emotionen verarbeiten, die meisten davon haben mir nicht gutgetan.

STANDARD: Wie erging es Ihrer Familie?

Valletta: Nicht anders. Ich komme aus einem bescheidenen Umfeld, keiner hatte bis dahin so viel Geld wie ich verdient. Heute ist alles okay, aber das hat ein wenig gedauert.

STANDARD: Gibt es heute noch Supermodels?

Valletta: Das kann und will ich nicht beurteilen. Die jungen Frauen sind heute jedenfalls ganz anders als wir damals.

STANDARD: Instagram ist für viele Models beruflich wichtig. Wie ist das bei Ihnen?

Valletta: Ich nehme das Tool nicht allzu ernst. Ehrlicherweise finde ich die Plattform etwas langweilig. Sagen wir so: Es gibt sehr viele Dinge in meinem Leben, die wichtiger sind als Instagram.

Für die Marke Karl Lagerfeld hat Amber Valletta ihre zweite Kollektion, darunter eine Handtasche aus Kaktusleder, entworfen. Zu haben ab 7. April.
Foto: Karl Lagerfeld

STANDARD: Wie hat sich die Modelwelt verändert?

Valletta: Die ganze Industrie hat sich verändert. Als ich angefangen habe, waren Modehäuser noch in Familienhänden. Es war eine viel überschaubarere Branche. Und ehrlicherweise gab es mehr Geheimnisse. Jetzt sind Modemarken in Besitz riesiger Konglomerate und Investmentunternehmen. Fast Fashion war noch nicht das große Thema, es gab kein Social Media, keine Influencer und Blogger. Es gibt aber auch positive Veränderungen. Die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit gehört sicher dazu, die Debatten um Diversität, die Demokratisierung der Mode. Nicht alles hat sich zum Schlechteren entwickelt.

STANDARD: Das klingt nach einem Aber …

Valletta: Wir produzieren zu viel, sind verschwenderisch, werfen Textilien zu schnell weg und besitzen zu viel. Profit ist das alles Entscheidende geworden. Wie viel Wachstum ist genug? Wann ist ein Unternehmen groß genug? Darüber muss gesprochen werden.

STANDARD: Wie sollte sich die Modeindustrie denn ändern?

Valletta: Hinterfragt werden sollten die Herstellung und die Entsorgung von Kleidung. Viele glauben, wenn sie ein Kleidungsstück verkauft haben, hat sich das Problem erledigt. Die menschlichen Aspekte der Lieferkette dürfen nicht vergessen werden, Materialinnovationen sind ein wichtiges Thema – bei jungen Designern ist das längst angekommen.

STANDARD: Verstehen Sie die Begeisterung der Jungen für die Neunziger?

Valletta: Na klar! Das ging uns nicht anders. Wir haben die Siebziger- und Sechzigerjahre verklärt. In zehn Jahren blickt man so wahrscheinlich auf heute zurück. Schwer vorstellbar, aber so ist das wohl. In der Jugendkultur ist derselbe Reflex zu beobachten.

STANDARD: Sind Sie ein nostalgischer Mensch?

Valletta: Ich bin sentimental und romantisch. Ich habe vor all meinen Erinnerungen, allem, was mich im Guten wie im Schlechten etwas gelehrt hat, Respekt. Ja, vielleicht bin ich insofern auch ein wenig nostalgisch. (Anne Feldkamp, RONDO, 17.3.2022)