Kiew/Moskau/Wien – Der frühere ukrainische Botschafter in Wien, Olexander Scherba, hat westliche Medien dazu aufgefordert, keine offiziellen russischen Quellen zum Krieg in der Ukraine mehr zu zitieren. "Es ist unglaublich beleidigend und entsetzlich für uns in der Ukraine, dass diese russischen Lügen immer wieder retransferiert werden in allen europäischen Medien", sagte er live aus Kiew zugeschaltet dem Ö1-Mittagsjournal am Montag.

"Man muss als Journalist verifizierte Quellen zitieren", so der Diplomat in dem sehr emotionalen Gespräch mit dem ORF-Radio. "Und sie (die russische Regierung, Anm.) sind verifizierte Lügner!" Es sei angesichts des russischen Einmarsches in der Ukraine "nicht die Zeit, dieses Spiel 'einerseits-andererseits' zu spielen", mahnte er die westlichen Medien.

Die Situation in der ukrainischen Hauptstadt schilderte Scherba mit den Worten: "In Kiew ist es sonnig, in Kiew ist es unglaublich ruhig, in Kiew ist es wie in den ersten Tagen der Pandemie (gemeint ist der erste Corona-Lockdown in Österreich im Frühjahr 2020, Anm.)." Bezüglich der Stimmung in der Stadtbevölkerung sagte er: "Man versteht, dass die Stadt in einem Ausnahmezustand ist, aber man ist ruhig und man glaubt an sich." Es gebe allerdings auch immer wieder Explosionen und die Menschen müssten in die Bunker flüchten, schilderte er.

Erfreut über Österreichs Solidarität

Scherba, der zwischen 2014 und 2021 in Wien stationiert war, zeigte sich begeistert über die Solidarität Österreichs gegenüber der Ukraine. "Als ich gestern das Heldentor in blau-gelb gesehen habe, habe ich beinahe geweint", bekannte er in Bezug auf die Solidaritätsdemonstration am Sonntagabend in Wien, bei der das Äußere Burgtor am Heldenplatz in den ukrainischen Nationalfarben angestrahlt worden war. "Das ist ein unglaublich starkes Symbol der Unterstützung für die Ukraine!"

Scherba erwähnte auch die ukrainischsprachigen Tweets von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die "ganz klaren Worte" von Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie die Entscheidung Österreichs, dass ukrainische Flüchtlinge die Züge der ÖBB unentgeltlich verwenden dürfen. "Ich bin absolut sprachlos. Danke, Österreich!" Zu den Sanktionen der Europäischen Union (EU) gegenüber Russland zeigte sich Scherba ebenfalls dankbar und betonte: "Wir Ukrainer ändern jetzt Europa. Wir erwecken Europas Gewissen. (...) Man zieht die Linie zwischen Gut und Böse so klar wie niemals zuvor."

Nach Ansicht des Diplomaten ist der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj zwar eine wichtige Führungsfigur für die Nation, aber der ukrainische Widerstand gegen den russischen Einmarsch hänge nicht an ihm. "Selenskyj ist ein ausgezeichneter Präsident. Er ist der furchtlose Anführer einer furchtlosen Nation", so der frühere Botschafter in Österreich. " Es sei aber nicht so, dass alles von Selenskyj abhängt. "Er ist der Ausdruck unseres Willens, für unsere Freiheit zu kämpfen. (Der russische Präsident Wladimir) Putin und Sie müssen verstehen: Der einzige Weg, uns Ukrainer zu versklaven ist, uns zu töten." (APA, 28.2.2022)