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Ursula von der Leyen tritt offensiv auf – ein EU-Beitritt der Ukraine ist kurzfristig aber nicht möglich.

Foto: Stephanie Lecocq, Pool Photo via AP

Seit gut zehn Jahren war es in den EU-Institutionen und den meisten Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft tabu, der Ukraine konkret einen Beitritt in Aussicht zu stellen. Damit hat Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, Sonntagabend nun gebrochen: "Im Lauf der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns, sie sind einer von uns, wir wollen sie drin haben", antwortete sie auf eine Frage im Gespräch mit Euronews.

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Telefonat mit von der Leyen erneut auf einen sofortigen EU-Beitritt seines Landes gedrängt. Es sei nun "ein entscheidender Moment, langjährige Diskussionen zu beenden und über eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu entscheiden".

Konkrete Zusagen oder gar einen Zeithorizont nannte Von der Leyen naturgemäß nicht. Ihren Aussagen kommt eher symbolische Bedeutung zu. Denn wie andere Beitrittswerber auch müsste die Ukraine in einem Beitrittsprozess zunächst wirtschaftliche und politische Kriterien erfüllen. Entscheiden müssen dann die Regierungen der EU-Mitgliedsländer, einstimmig. Dass die Ukraine bald EU-Mitglied werden könnte, ist auszuschließen. Die Union tut sich schon mit den Beitritten der Westbalkanländer schwer, die insgesamt keine 20 Millionen Einwohner haben.

Wichtige Ressourcen

Das flächenmäßig riesige Land mit vielen wichtigen Ressourcen, wo in Sowjetzeiten ein großer Teil der gegen den Westen gerichteten Atomwaffen stationiert war, war für die EU als Wirtschaftspartner schon lange interessant. Aber nicht zuletzt aus Rücksicht auf Russland und dessen Empfindlichkeit bei der Westanbindung von früheren Sowjetrepubliken waren EU-Länder vorsichtig bei allzu großen Versprechungen an Beitrittswerber.

Ähnlich lief es seit den Nullerjahren in der Nato. Die USA hätten die Ukraine gern rascher integriert. Die EU jedoch hatte in der Finanzkrise ab 2008 zudem damit zu kämpfen, die letzte breite Erweiterungswelle nach Ost- und Ostmitteleuropa zu verdauen – um zwölf Länder mit rund 100 Millionen Einwohnern. Aus all diesen Gründen wurde als Alternative zum Beitritt eine sogenannte Östliche Partnerschaft für die Staaten der Region erfunden – neben der Ukraine noch Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Moldau und Belarus.

2013 hätte dann ein Freihandels- und Assoziierungsabkommen beim EU-Ostgipfel im litauischen Vilnius unterzeichnet werden sollen, mit dem Ziel wirtschaftlicher Öffnung. Das wurde durch Druck aus Moskau auf die Führung unter Wiktor Janukowytsch verhindert. Die Folge waren Proteste der proeuropäischen Jugend auf dem Maidan, die Eskalation der Gewalt bis hin zur versteckten und offenen Intervention russischer Truppen in der Ostukraine und der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 als Höhepunkt.

Eiszeit

Seither gab es EU-Sanktionen gegen Russland und diplomatische Eiszeit. Das Wort vom EU-Beitritt der Ukraine wurde dennoch erst recht vermieden, sosehr sich die neue demokratische Führung des Landes das auch wünschte, parallel auch in der Nato. Der Krieg hat nun all diese Perspektiven verschoben.

Nicht nur hat die EU seit vergangenem Donnerstag schrittweise harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Die EU-Außenminister haben am Sonntag beschlossen, dass die Union rund 500 Millionen Euro aus ihrem Budget für Waffenlieferungen an die Ukraine verwendet – eine Zäsur: Zum ersten Mal werden Waffen an ein angegriffenes Land geliefert.

Panzer- und Luftabwehr

Bereits am Samstag hatte die deutsche Regierung die Lieferung von 1000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen angekündigt. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte am Montag, die Waffen seien auf dem Weg. Geliefert wird über die polnisch-ukrainische Grenze. Auch Luxemburg will Kiew mit Defensivwaffen unterstützen. Unter anderem hundert Panzerabwehrwaffen sollen geliefert werden, sagte Verteidigungsminister François Bausch am Montag. Auch Allradfahrzeuge und Militärzelte werden zur Verfügung gestellt. Das Großherzogtum verfügt über eine nur tausend Mann starke Armee. Seine Beteiligung an einer in Litauen stationierten Nato-Einheit verdreifacht Luxemburg – von zwei auf nunmehr sechs Mann.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó erklärte am Montag hingegen, das Land werde keine Lieferungen tödlicher Waffen über sein Territorium zulassen: "Wir müssen die Sicherheit Ungarns garantieren und nicht in diesen Krieg involviert werden." Österreich, das sich bei der EU-Entscheidung über die Waffenlieferungen enthalten hatte, wird Helme und Schutzausrüstungen für zivilen Bedarf und Treibstoff liefern, auch 15 Millionen Euro werden zur Verfügung gestellt. (Thomas Mayer, Michael Vosatka, 28.2.2022)