Sexualberaterin Nicole Siller will im Gastblog Paare dazu ermutigen, über Sexuelles zu sprechen.

In der Liebe und beim Sex können wir oft wortlos – aber natürlich nicht immer ohne Worte – viel ausdrücken und spüren. Sexualität ist eine im besten Fall wohltuende Form der Kommunikation und innerhalb einer Beziehung oft unmittelbarer, direkter und vielschichtiger, als Worte es sein können. Nur circa sieben Prozent der Kommunikation sind Worte, der große Rest sind Stimme, Mimik, Gestik, Haltung, Körperausdruck und vieles mehr. Beim Sex spüren wir, wie nahe wir einander im Augenblick wirklich kommen wollen und können.

Sexuelle Dialoge forcieren

Nein, ich möchte hier keinesfalls anregen, gute Gespräche wegzulassen und stattdessen Sex zu haben. Ganz im Gegenteil möchte ich anregen, sexuelle Dialoge zu forcieren. Was ich darunter verstehe? Ehrlicher und sich einen Tick bewusster aufeinander einlassen, in sexuelle Resonanz gehen. Ich möchte hier die schonungslose Frage stellen, ob wir uns beim Sex, der Verführung und Erotik in einer lebendigen Beziehung nicht unfassbar viel nehmen, wenn wir unsere wahren momentanen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Fantasien nicht zeigen oder bewusst verstecken. Welche Chancen lägen in echter Begegnung?

Wer will nicht persönlich gemeint sein?

Viele von uns – ich traue mich hier zu sagen, wahrscheinlich jeder Mensch – wollen genauso geliebt, gemeint, begehrt werden, wie man ist. Ob das bei Affären oder bei One-Night-Stands genau so ist, lasse ich mal so dahingestellt. Innerhalb von Beziehungen, wenn wir uns auf jemanden vielschichtig einlassen, wollen wir um unserer selbst willen geliebt werden und uns sicher fühlen, wollen begehrt werden und zwar so, dass wir uns freier zeigen und entfalten können. Dennoch zeigen viele nicht, was sie wirklich wollen. Warum? Aus der Angst heraus, nicht "normal" zu sein oder abgelehnt zu werden? Deswegen halten wir gleich, oft vorsorglich, alles mögliche Heikle raus? Schade.

Nur Mut!

Was braucht es, um Authentizität, Ehrlichkeit zu lieben und zu leben? Was braucht es, unsere unterschiedlichen Liebesbedürfnisse in vielerlei Hinsicht ehrlich zu "verhandeln"? Da darf wohl jede und jeder in der eigenen Geschichte kramen. Wir alle wissen, wenn wir uns zurückhalten und eine Rolle spielen, knallt uns die Beziehung früher oder später um die Ohren. Vielleicht auch immer und immer wieder. Manche lagern ihre Bedürfnisse sogar aus oder wechseln die Partner.

Keine Angst haben vor Ablehnung! Besprechen Sie Wünsche und Bedürfnisse mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Svetlana Barsukova

Versteckspiele

Aufrichtigkeit bringt zwar nicht immer Eros und Liebe hervor – ich kann auch jemandem glauben und sogar vertrauen, den ich nicht mal sympathisch finde – allerdings: Aufrichtigkeit ist ganz und gar unerlässlich in der Liebe. Warum?

Wenn wir in einem Bereich der Beziehung oder generell von der Einstellung, Haltung, et cetera unechtes, inszeniertes, vielleicht auch unehrliches oder berechnendes Verhalten an den Tag legen, um zu gefallen, etwas zu kaschieren oder zu verstecken, kann es sein, dass dieses Verhalten geschätzt wird. Zu entspannter, authentischer Liebe mit echter Nähe kann es eigentlich nicht kommen, weil wir unser wahres Wesen hinter Geschichten versteckt haben.

Raus aus der Komfortzone

Wer sich entweder Knall auf Fall oder Stück für Stück ehrlicher zeigen kann, und mit all seinen Fehlern, Schwächen, Bedürfnissen, Ängsten gesehen wird, kann das unglaublich befriedigende Gefühl haben, wieder in einer echten Beziehung zu sein.

Klar, ein aufrichtiges Verhältnis wird nicht immer nur erfreulich sein, sondern manchmal auch Streit, Neusortierung, Unverständnis, Traurigkeit, Ärger und in jedem Fall Auseinandersetzung bringen. Dennoch sind diese Beziehungen oft inniger, verbundener, denn sie sind echt und real und damit alles andere als monoton. Ein heißer Tipp für einen wohltuenden Schritt: Lieber freudvoll Wünsche äußern, die zu mehr einladen und zukünftig möglich wären, statt Druck oder Frust aus der Vergangenheit wieder und wieder aufzuwärmen.

Was das alles mit Sex zu tun hat?

Diese Versteckspiele sind weit verbreitet, gerade auch beim Sex – weil wir oft glauben, nicht zeigen zu dürfen, wer wir wirklich sind, was uns wirklich ausmacht oder auch antörnt, was wir wirklich gerne mal probieren oder zumindest fantasieren wollen. Oder auch, was wir nicht mehr wollen.

Es ist unvergleichlich heilsam, sich selbst und einander ehrlicher zu begegnen, so kann endlich wieder mehr entspannte Nähe sowie Intimität entstehen – und das tiefe Gefühl, tatsächlich geliebt, gemeint und begehrt zu werden. (Nicole Siller, 4.3.2022)