Am 26. September 2019 freute sich die ÖVP über den klaren Platz eins bei den Nationalratswahlen. Statt Jubelstimmung herrscht nun Angst vor Strafverfolgung.

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Die knapp ein Jahr zurückliegenden Ereignisse markieren den Anfang vom Ende des türkisen Systems. Zurück in den späten Februar 2021: Ermittler hatten da gerade die Wohnung von Finanzminister Gernot Blümel durchsucht und eine Nachschau in Ministerien gehalten. Die ÖVP startete ihre bisher schärfsten Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), deren intern größter Gegner in Form von Sektionschef Christian Pilnacek gerade suspendiert worden war.

Zum ersten Mal war die WKStA damals in die türkise Herzkammer vorgedrungen. Davor hatten sich U-Ausschuss und Ermittlungen zwar immer mehr von Heinz-Christian Straches Abend auf Ibiza in Richtung Volkspartei und Chats des langjährigen Finanzspitzenbeamten Thomas Schmid verlegt; beschuldigt wurden bisher aber nur frühere ÖVP-Politiker, und das vor allem wegen ihrer beruflichen Tätigkeiten, etwa als Aufsichtsratsmitglied der Casinos Austria AG. Das änderte sich mit Blümel schlagartig – und peu à peu arbeitete sich die WKStA danach zum damaligen Kanzler Sebastian Kurz vor.

Ein Jahr später sind Kurz und Blümel weg, ihre Nachfolger Karl Nehammer respektive Magnus Brunner wirken mehr schwarz als türkis. Die politische Landschaft in Österreich hat sich verändert, aufzuarbeiten gibt es aber noch viel. Das will der "ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss" tun, der nun seine öffentlichen Befragungen beginnt.

Start mit dem Kanzler

Vier Untersuchungsgegenstände wurden von der Opposition definiert, sie tragen sperrige Namen wie "Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren". Flapsig formuliert geht es der Opposition darum, ob und wie die ÖVP den Verwaltungsapparat für parteipolitische Zwecke eingespannt hat. Dementsprechend soll ÖVP-Chef Karl Nehammer die erste Auskunftsperson werden.

Die Themenpalette des U-Ausschusses reicht von Postenkorruption über Bestechung bis hin zu Amtsmissbrauch, vom Finanzministerium über das Innenressort bis zum Eigenleben der Justiz. Auch die ÖVP-nahen Superreichen nimmt die Opposition ins Visier: Sie bestellte etwa Chatauswertungen sichergestellter Smartphones (Schmid, Blümel, Löger etc.), in denen der Immobilienunternehmer René Benko oder der Investmentberater Alexander Schütz vorkommen.

Mit einem dieser ÖVP-affinen Wirtschaftstreibenden hätte der U-Ausschuss gleich am ersten Tag gesprochen, doch es kam eine Absage: Der Unternehmer Siegfried "Sigi" Wolf weile im Ausland, heißt es. Sein Fall steht exemplarisch für die mutmaßlich bevorzugte Behandlung von parteinahen Personen durch ÖVP-geführte Ministerien. Kurz vor Weihnachten 2021 wurde ja bekannt, dass die WKStA einen korrupten Deal zwischen Wolf und der Vorständin eines Finanzamts vermutet. Wolf soll ihr mithilfe von Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, eine langersehnte Versetzung ermöglicht haben. Im Gegenzug entschied sie rund um eine Steuerangelegenheit "parteiisch" in Wolfs Sinne. Ermittlungsakten zeigen, wie intensiv Wolf im Finanzressort intervenierte: bei Ministern ebenso wie bei Schmid und Sektionschefs. Ein ganzes Netzwerk kümmerte sich um Wolfs Angelegenheit; "strenge" Beamte sollten kaltgestellt werden.

Erstes Thema: Die Causa Wolf

Der Fall eignet sich so gut für die Erzählung der Opposition, dass sie die ersten zwei Ausschusswochen dafür reserviert hat. Doch nicht nur Wolf, sondern auch Thomas Schmid hat dem U-Ausschuss vorerst abgesagt. Der langjährige Generalsekretär und spätere Chef der Staatsholding Öbag, dessen Chats zahlreiche Affären ins Rollen gebracht haben, soll sich im Ausland befinden. Dadurch ist er für das Parlament nicht greifbar. Stattdessen kommt Unternehmer Alexander Schütz, der in der Wirecard-Affäre auftauchte und Beziehungen zum Oligarchen Dmitry Firtasch aufweist – er ist dessen Vermieter.

Rund um Schmid hatte es in den vergangenen Tagen zahlreiche Gerüchte gegeben, gestreut hatte sie auch Nationalratspräsident und Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) persönlich. Er meinte, Schmid sei "nicht auffindbar", seine Ladung nicht zustellbar. Dazu schaltete sich dann dessen Anwalt Thomas Kralik ein: Die Ladung wurde sehr wohl entgegengenommen. Offenbar soll sich Schmid dann auch persönlich gemeldet haben, er sei jederzeit erreichbar, weile nur am Tag der geplanten Befragung im Ausland.

Mit Schmid und Wolf fehlen also zwei Hauptakteure, allerdings gibt es zahlreiche andere Involvierte, die dem U-Ausschuss Rede und Antwort stehen werden: beispielsweise der frühere Sektionschef, spätere Finanzminister und heutige Vorstand der Finanzmarktaufsicht Eduard Müller, der am Donnerstag befragt wird, sowie der Fachvorstand des betroffenen Finanzamts. Obwohl der U-Ausschuss – gemeint ist die Opposition mitsamt den Grünen – dieses Mal fokussierter vorgehen und einzelne Themen abarbeiten will, werden an manchen Ausschusstagen doch querbeet Befragungen stattfinden. Nach Müller ist am zweiten Ausschusstag beispielsweise der frühere Grünen-Politiker und heutige "Zackzack" -Herausgeber Peter Pilz geladen.

Die BMI-Chats

Er soll den Abgeordneten über seine Erkenntnisse zu Postenkorruption im Innenministerium erzählen – obwohl diese theoretisch die Zeit vor dem Untersuchungszeitraum betreffen. Die Chats aus dem Smartphone des langjährigen Kabinettschefs Michael Kloibmüller datieren bis Sommer 2017, der U-Ausschuss beschäftigt sich mit Korruptionsvorwürfen ab der Angelobung der türkis-blauen Regierung im Dezember 2017. Heftige Geschäftsordnungsdebatten sind also zu erwarten. Die Opposition wird wohl damit argumentieren, dass aus den Chats "Vorbereitungshandlungen" ablesbar sind, die somit wieder im Untersuchungsgegenstand wären.

Nur am Rande behandeln wird der U-Ausschuss anfangs die sogenannte Umfrage- und Inseratenaffäre, die die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz beendet hat. Über sie könnte Hannes Schuh, Leiter der Internen Revision im Finanzministerium, Auskunft geben – andere Auskunftspersonen sind zu diesem Thema noch nicht geladen. Bei vielen Beschuldigten würde das auch eine zähe Angelegenheit werden: Kurz und Co könnten sich ja mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen der Aussage entschlagen.

Um mutmaßliche Postenkorruption geht es auch in den Ermittlungen gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger: Er soll dafür interveniert haben, dass ein türkiser Politiker Leiter eines Finanzamts in Oberösterreich wird – obwohl es besser geeignete Mitbewerber gegeben haben soll. Er bestreitet jedweden strafrechtlichen Vorgang, als Auskunftsperson ist Wöginger selbst vorerst nicht geladen.

Justizwickel im Fokus

Ende März beginnt dann der Themenblock "Justizministerium". Hier wird es erneut um interne Konflikte im Justizressort gehen: Den Auftakt macht die Befragung von Ministerin Alma Zadić (Grüne) am 30. März, gleich darauf folgt WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda. Am nächsten Tag sind dann der frühere Justizminister Wolfgang Brandstetter sowie der einstige Präsident des Obersten Gerichtshofs Eckart Ratz geladen.

Er soll sich gut mit Wolfgang Sobotka, dem umstrittenen Ausschussvorsitzenden, verstehen. Dieser startete die U-Ausschuss-Saison mit einer Entschuldigung: Seinen Vergleich zwischen der Ukraine jetzt und Österreich 1945 zog er "mit großem Bedauern" zurück. (fsc, 1.3.2022)