Eine friedliche Zukunft und den Atomausstieg hatten sich viele Deutsche gewünscht und dann die Grünen gewählt. Nun hängt beides in der Schwebe.

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Der Koalitionsvertrag der deutschen Ampelparteien ist auf Seite 55 eindeutig. "Am deutschen Atomausstieg halten wir fest", heißt es dort. Geht es nach den Plänen von Sozialdemokraten, Grünen und FDP, so wird das letzte Atomkraftwerk, wie schon lange geplant, am 31. Dezember dieses Jahres abgeschaltet.

Doch der Krieg Russlands gegen die Ukraine kratzt auch hier an Gewissheiten, die bis vor kurzem noch unantastbar schienen. Angesichts der Abhängigkeit der Deutschen von russischem Gas (55 Prozent stammen aus Russland) wird der Ruf nach einer möglichen Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke laut.

Es wäre "sinnvoll, die letzten drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres nicht abzuschalten", sagt der frühere deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Auch CDU-Partei- und -Fraktionschef Friedrich Merz hat gefordert, "dass wir jetzt endgültig auf keine weiteren Optionen der Energieerzeugung mehr verzichten dürfen".

Ebenso sehen es der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß. Sie fordern ein Überdenken der Ausstiegsbeschlüsse zur Atomkraft, aber auch zur Kohle.

Die letzten AKWs

Weg von der Atomkraft – diesen Weg hatte im Jahr 2000 die rot-grüne deutsche Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeleitet. Seine Nachfolgerin Angela Merkel drehte die Uhr zunächst zurück, revidierte dies aber nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima. 2011 wurde beschlossen, dass die Betriebsgenehmigungen für deutsche Kernkraftwerke Ende des Jahres 2022 erlöschen.

Drei sind Anfang des Jahres 2022 vom Netz gegangen, drei allerletzte laufen noch: Isar 2 des Energiekonzerns Eon in Bayern, Neckarwestheim 2 von EnBW (Energie Baden-Württemberg) in Baden-Württemberg und das AKW Emsland in Niedersachsen, das von RWE betrieben wird.

Dass in Deutschland Atomkraftwerke doch noch länger laufen könnten, wäre vor allem für die Grünen, die das "Atomkraft, nein danke" quasi in ihrer DNA haben, ein Albtraum.

Doch nun lässt der Wirtschafts- und Klimaminister der Grünen, Robert Habeck, sein Ministerium prüfen, ob eine Laufzeitverlängerung möglich wäre. "Es gibt keine Denktabus", sagt er. Und auch, dass er nichts "ideologisch abwehren" würde.

Gleichzeitig macht Habeck deutlich, was er persönlich von einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten hält – nämlich nichts. Eine Vorprüfung seines Hauses habe ergeben, dass dies nichts bringen würde. Habeck: "Für den Winter 2022/23 würde uns die Atomkraft nicht helfen." Denn die Vorbereitungen für die bevorstehenden Abschaltungen seien bereits so weit fortgeschritten, dass die drei Kernkraftwerke "nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen" weiterbetrieben werden könnten. "Und das wollen wir sicher nicht."

Auch Kohleausstieg im Blick

Zunächst zeigten sich auch jene Energieversorger, die die AKWs betreiben, nicht bereit. "Der Gesetzgeber hat vor Jahren entschieden, dass Kernkraft in Deutschland keine Zukunft hat. Ein Weiterbetrieb unseres Kernkraftwerks Isar 2 über den gesetzlichen Endtermin 2022 hinaus ist für uns kein Thema", sagte ein Eon-Sprecher am Samstag. RWE und EnBW äußerten sich ähnlich.

Doch am Dienstag klang dies im "Handelsblatt" anders. Dieses zitierte erneut einen Eon-Sprecher: "In dieser Ausnahmesituation sind wir als Eon bereit, darüber zu sprechen, unter welchen technischen, organisatorischen und regulatorischen Randbedingungen eine verlängerte Nutzung des Kernkraftwerks Isar 2 möglich wäre, sofern dies seitens der Bundesregierung ausdrücklich gewünscht ist."

Geplant ist in Deutschland auch der Ausstieg aus der Kohleverstromung – "idealerweise" bis zum Jahr 2030. Forderungen, dies noch einmal zu überdenken, weist Habeck zurück: "Länger laufen lassen heißt längere Abhängigkeit von Steinkohle aus Russland." Derzeit bezieht Deutschland 50 Prozent seiner Steinkohle aus Russland. (Birgit Baumann aus Berlin, 1.3.2022)