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Die Aufrufe zur Unterstützung der Ukraine sind zahlreich und sehr unterschiedlich. Nicht alles davon ist aber auch wirklich eine gute Idee.

Foto: SCOTT OLSON / GETTY

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hinterlässt auch im Internet seine Spuren. Seit Tagen liefern sich Hacker unterschiedlicher Seiten einen Schlagabtausch – dies nicht zuletzt nachdem die Ukraine explizit zu Angriffen auf russische Systeme aufgerufen hat. Parallel dazu schränkt der russische Staat westliche Dienste immer stärker ein, während in Europa wiederum russischen Propagandasendern ein Ende bereitet wird.

Top-Level-Domains wegnehmen

Doch das könnte nur ein kleiner Vorgeschmack sein – zumindest wenn es nach der Ukraine geht. In einem Brief an die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) wird nicht weniger als der Rauswurf Russlands aus dem Internet gefordert.

Zur Umsetzung schlägt man ein Maßnahmenpaket vor. Dazu gehört, dass die länderspezifischen Top-Level-Domains .ru, .рф und .su aus der globalen Rootzone geworfen werden. Dies hätte zur Folge, dass Seiten mit diesen Endungen außerhalb von Russland praktisch nicht mehr zu erreichen wären. Gleichzeitig würde dies aber wohl auch zu groben Problemen innerhalb des russischen Teils des Internets führen.

IP-Adressen wegnehmen

An eine andere Stelle hat das ukrainische Digitalministerium dann noch einen anderen Antrag eingebracht: Die für die Vergabe von IP-Adressen zuständige RIPE NCC soll alle an Russland vergebenen Adressen zurückziehen – und zwar sowohl IPv4 als auch das neuere IPv6. Damit kann zwar die Nutzung der Adressen nicht umgehend deaktiviert werden, ein offizieller Entzug würde aber dazu führen, dass dafür vergebene Zertifikate ungültig werden und so Authentizitätsprüfungen nicht mehr funktionieren.

Doch damit nicht genug, fordern die ukrainischen Vertreter auch, die in Russland angesiedelten Root-Nameserver zu stoppen. Dabei handelt es sich um einen weiteren zentralen Bestandteil der Internetinfrastruktur, der für die Zuordnung von den hinter jeder Seite stehenden IP-Adresse zu einem Klarnamen (also etwa derStandard.at) unerlässlich ist.

Einschätzung

In Summe würde man mit all diesen Maßnahmen nicht nur Russland de facto vom restlichen Internet trennen, sondern wohl auch dem Betrieb innerhalb des Landes schweren Schaden zufügen – zumindest vorübergehend.

Antwort

Die Antwort auf diese Wünsche ließ nicht lange auf sich warten, und sie fiel unmissverständlich aus. Die RIPE NCC erteilt dem ukrainischen Antrag eine klare Absage. Es sei von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren des gesamten Internets, dass die RIPE NCC strikt neutral bleibe und keine Position in einem Konflikt beziehe.

Doch diese Pläne stoßen nicht nur auf Ablehnung bei der RIPE, auch Internetexperten halten ziemlich wenig von solchen Ideen. So reagiert etwa Bill Woodcock, Chef des technischen Dienstleisters Packet Clearing House (PCH) und Vorstandsvorsitzender von Quad9, mit einem "Verdammt, nein" auf den Vorschlag.

Analyse

In einem Twitter-Thread charakterisiert Woodcock den Vorschlag als nicht durchdacht. Das seien alles Maßnahmen, die massiv negative Auswirkungen auf die normale Bevölkerung in Russland hätten. So würden diese damit von internationalen Nachrichten und somit auch unabhängiger Information abgedrängt, was nur die Macht der Putin'schen Propagandamaschinerie stärke. Zudem würde das russische Netz dadurch auch unsicherer und anfälliger für Attacken – etwa gegen Online-Banking.

Gleichzeitig würden diese Maßnahmen jene nicht treffen, die sie angeblich adressieren: also das russische Militär und die staatlichen Strukturen. Diese bereiten sich nämlich seit Jahren auf eine Abtrennung des russischen Internets von der restlichen Welt vor, entsprechende Übungen haben mithilfe von lokalen Netzanbietern mittlerweile bereits mehrfach stattgefunden. All das läuft unter dem Namen "Runet" und wurde vor einigen Jahren sogar gesetzlich verankert.

Kein Weg zurück

Langfristig würde dies zudem jedes Vertrauen in die unabhängigen Internetbehörden erodieren lassen – und in der Folge unweigerlich zu einer weiteren Zersplitterung des Internets führen. Immerhin würden sich dann viele Länder schon allein aus Unabhängigkeitsgründen weiter vom globalen Internet distanzieren und eigene Parallelstrukturen aufbauen.

Gleichzeitig darf auch bezweifelt werden, dass westliche Geheimdienste solche Ideen sonderlich berauschend finden. Immerhin würden sie damit auch den zweifellos vorhandenen Einblick in interne Systeme in Russland verlieren – oder dieser wäre zumindest massiv behindert. (Andreas Proschofsky, 2.3.2022)