Im Fall einer atomaren Verstrahlung gibt es gute Methoden, um die Kontamination rückgängig zu machen. Darum kümmert sich die Nuklearmedizin.

Foto: imago images/photothek

Die Angst vor einem atomaren Ernstfall beschäftigt derzeit viele Menschen. Auch wenn diese Gefahr nicht unmittelbar vor der Tür steht, sondern eher als psychologische Drohkulisse eingeschätzt wird (mehr dazu lesen Sie hier), machen sich doch viele berechtigte Sorgen. Ein Ausdruck davon ist der Run auf Kaliumjodidtabletten in den vergangenen Tagen – obwohl von deren Einnahme derzeit dringend abzuraten ist, wie Hans-Jürgen Gallowitsch, Nuklearmediziner am Klinikum Klagenfurt und Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Nuklearmedizin und molekulare Bildgebung (OGNMB), betont.

"Im Ernstfall benötigen in erster Linie Kinder Kaliumjodidtabletten, je jünger sie sind, desto empfindlicher ist auch ihre Schilddrüse. Bei jungen Erwachsenen kann man es im Einzelfall überlegen, aber nur, wenn keine Vorgeschichte einer Überfunktion vorliegt. Und Erwachsenen über 40 würde ich sie gar nicht verabreichen." Der Run auf die Apotheken, so der Experte, sei völlig unangebracht, an alle mit Risiko werden im Ernstfall ohnehin Tabletten ausgegeben, man dürfe sie nur auf ausdrückliche Anweisung einnehmen.

Hilfe im Ernstfall

Sollte es entgegen der derzeitigen Annahme zum unwahrscheinlichen Einsatz von Atomwaffen kommen oder ein Atomunfall passieren (auch hier ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer als im Jahr 1986 bei der Tschernobyl-Katastrophe, da es deutlich höhere Sicherheitsmaßnahmen gibt), ist die Nuklearmedizin in den Notfallplan eingebunden, wie Gallowitsch betont: "Das ist das ureigenste Thema der Nuklearmediziner, wir sind Ansprechpartner, wenn Menschen atomarer Strahlung ausgesetzt waren, und geschult, diese Notfälle zu behandeln."

Bei einer solchen Kontamination gibt es nämlich Hilfe, um das strahlende Material zu binden und auszuleiten: "Wenn eine Person kontaminiert wurde oder radioaktive Substanzen inkorporiert hat, sind wir in der Lage, das zu messen und Ausscheidungsanalysen zu machen. Wir verabreichen dann gezielt Substanzen, die etwa das strahlende Material im Magen-Darm-Trakt binden, es wird dann ausgeschieden und die Aufnahme in den Körper reduziert."

Am wichtigsten ist natürlich die Vorbeugung, man kann sich, wenn radioaktive Strahlung nach Österreich kommen sollte, dieser gut entziehen, da es seit dem Unfall in Tschernobyl ein bestens ausgebautes Strahlenfrühwarnsystem gibt. In erster Linie wird sie über Inhalation aufgenommen und inkorporiert. Das kann man am besten vermeiden, indem man sich nicht im Freien aufhält, wenn es entsprechende Warnungen gibt. Man kann die Strahlung aber auch über die Nahrung aufnehmen – wobei es äußerst unwahrscheinlich ist, dass bei uns verstrahlte Lebensmittel in den Handel gelangen.

Natürlich wird das radioaktive Material im Boden gespeichert und kann so in Nahrungsmittel übergehen – vor allem Pilze und Wild sind hier gefährdet. Aber, betont Gallowitsch: "Das wird permanent gemessen und erst freigegeben, wenn es sicher ist." Das radioaktive Jod 131 ist dabei weniger das Problem: "Das hat eine Halbwertszeit von acht Tagen, nach einem Monat ist es beinahe komplett abgebaut. Gefährlicher ist Cäsium 137, dessen Halbwertszeit bei 30 Jahren liegt."

Medizinisches Potenzial

Angesichts der aktuellen Nachrichten wird Strahlung durch Radioaktivität derzeit ausschließlich als potenziell lebensgefährlich wahrgenommen – und das natürlich zu Recht. Darüber vergisst man aber, dass in der Nuklearmedizin auch ein hohes diagnostisches und heilendes Potenzial steckt: "Mithilfe radioaktiver Substanzen können wir in der Diagnostik alle Organsysteme darstellen, ebenso wie Stoffwechselprobleme, und wir können Krebsherde aufspüren und sichtbar machen. So kann man sehr zielgerichtet eine Diagnose stellen, die für die weitere Behandlung sehr wichtig ist", erklärt Gallowitsch.

Und die Nuklearmedizin kann auch in der Therapie sehr schonend und effizient eingesetzt werden. Bei der Radionuklidtherapie wird der erkrankten Person über spezielle Trägersubstanzen ein radioaktiver Stoff injiziert, der sich im Tumor anreichert. Radioaktive Strahlung zerstört dann die Tumorzellen von innen heraus, das umliegende Gewebe wird dabei geschont: "So eine Therapie ist wesentlich zielgerichteter als eine Chemotherapie, die ja den ganzen Organismus betrifft", sagt der Nuklearmediziner.

Sehr erfolgreich angewendet wird diese Methode bei Schilddrüsenkrebs und Knochenmetastasen. In einem fortgeschritteneren Tumorstadium kommt sie auch bei anderen Krebserkrankungen, vor allem beim Prostatekrebs, zum Einsatz.

Neben diesen Möglichkeiten sind wir auch noch weiteren, natürlichen Strahlenquellen ausgesetzt – die vielen Menschen aber nicht wirklich bewusst sind: der Umgebungsstrahlung durch Radon sowie beim Fliegen. Je länger und höher ein Flug ist, desto stärker ist auch die Strahlung, die aus dem All auf die Erde trifft und von der Atmosphäre großteils absorbiert wird. Für Gelegenheitsflieger ist diese Belastung aber nicht gefährlich. Flugpersonal wird regelmäßig auf Strahlenwerte untersucht, ebenso wie Krankenhauspersonal, das mit radioaktiver Strahlung in Kontakt kommt. (Pia Kruckenhauser, 3.3.2022)