Vor 40.000 Jahren war die Welt fest im Griff der letzten Eiszeit. Der moderne Mensch hatte seine afrikanische Heimat über 60.000 Jahre zuvor verlassen und war bis Sahul gekommen. Die Landmasse erstreckte sich über das heutige Australien, Tasmanien, Neuguinea sowie zahlreiche umliegende Inseln. Für einige Zeit teilte sich Homo sapiens den südlichen Kontinent mit Pkw-großen Schildkröten und Donnervögeln – mittlerweile ist die australische Megafauna jedoch Geschichte.

Während dem Menschen der Zugang zum amerikanischen Doppelkontinent durch einen kilometerdicken Eisschild zunächst noch verwehrt blieb, fand er in Europa und Asien neue Lebensräume, die er sich da und dort mit dem Neandertaler und dem Denisovamenschen teilte, Begegnungen, die bis heute in unseren Genen fortleben. Vieles von dem, das man über die Verbreitung des Menschen zu wissen glaubt, ist DNA-Untersuchungen zu verdanken.

Die Landschaften der nordchinesischen Provinz Hebei wurden vor rund 40.000 Jahren erstmals besiedelt.
Foto: imago images/Xinhua

Wie das Leben für die Menschen in den Jahrtausenden vor der Erfindung der Landwirtschaft ausgesehen haben könnte, darüber besitzt die Forschung ein nur sehr lückenhaftes Bild, das sich zudem mit jedem neuen Fund verändert. Eine Ausgrabungsstätte im Norden Chinas lieferte nun eine Vielzahl neuer Mosaiksteinchen.

Fenster in die Vergangenheit

Das Nihewan-Becken zwischen dem nordchinesischen Tiefland und dem Plateau der Inneren Mongolei gilt als archäologische Schatzkammer. Das Alter der zahlreichen Ausgrabungsstätten reicht von zwei Millionen Jahren bis 10.000 Jahren und gewährt den Forschenden die Gelegenheit, die Entwicklung von kulturellen Eigenheiten in Nordostasien über lange Zeiträume hinweg zu beobachten.

Die nun im Fachjournal "Nature" vorgestellte Fundstätte Xiamabei öffnete ein Fenster in den Lebensalltag der Menschen vor 40.000 Jahren – und dieser erwies sich in technischer Hinsicht als erstaunlich fortschrittlich, wie ein internationales Team um Fa-Gang Wang (Chinesische Akademie der Wissenschaften) berichtet. So fanden die Forschenden etwa die frühesten bekannten Beweise für die Verarbeitung von Ocker in Ostasien. Das zerriebene und zerstampfte farbige Pulver wurde unter anderem als Bodenbelag verwendet.

Filigrane Werkzeuge

Die Steinwerkzeuge der Xiamabei-Kultur zeigten einen ebenso beeindruckenden Entwicklungsgrad. Etwas Vergleichbares war in Ostasien bisher kaum bekannt gewesen: Mikroklingen, die erst 10.000 Jahre später zur dominierenden Technologie werden sollten, waren hier offenbar schon weitverbreitet.

Die Ausgrabungen in Xiamabei brachten zahlreiche hochwertige Steinklingen ans Tageslicht.
Foto: Fa-Gang Wang

Mehr als die Hälfte der geborgenen Steinwerkzeuge war weniger als 20 Millimeter lang, sieben zeigten deutliche Anzeichen dafür, dass sie an einem Griff befestigt waren. Analysen von Rückständen auf den Klingen deutet darauf hin, dass diese Werkzeuge zum Bohren, zum Abschaben von Tierhäuten und zum Zerkleinern von Pflanzenmaterial gedient hatten. All das weise auf eine äußerst hoch entwickelte Kultur hin, die für die Forschenden ein Ergebnis der Anpassungen ist, die der moderne Mensch durchlaufen musste, als er vor über 40.000 Jahren in diese Region vordrang.

Dass hier tatsächlich Homo sapiens am Werk war, daran hat das Team übrigens keinen Zweifel: Zwar seien in Xiamabei selbst keine entsprechende Reste gefunden worden, doch menschliche Fossilien von nahegelegenen Fundstätten aus der selben Epoche in Kombination mit der ausgefeilten Werkzeugtechnik ließen eigentlich keinen anderen Schluss zu.

Ockerverarbeitung (oben) und winzige scharfe Steinwerkzeuge (unten eine mikroskopische Aufnahme) zeugen von einer hochstehenden Kultur.
Fotos: Andreu Ollé / Wang et al

Komplexer Prozess

Die einzigartige Natur der Xiamabei-Ausgrabungsstätte lässt vermuten, dass kulturelle Innovation beim modernen Menschen der Steinzeit kein kontinuierlicher Prozess war, sondern sehr komplex abgelaufen ist, eine Mischung aus vereinzelten revolutionären Erfindungen und über lange Zeiträume hinweg weitergegebenen lokalen Traditionen.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass die aktuellen Evolutionsszenarien zu einfach sind", sagt Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. "Die unterschiedlichen Kulturen des modernen Menschen sind vielmehr durch wiederholte unterschiedliche Episoden genetischen und sozialen Austauschs entstanden, häufig über große geografische Distanzen hinweg." (tberg, 2.3.2022)