Russlands Angriff auf die Ukraine stieß auch hierzulande auf Empörung und Entsetzen, doch in einer Frage bleiben die Österreicher ziemlich unbeeindruckt. Während die ebenfalls bündnisfreien Länder Schweden und Finnland mit einem Beitritt zur Nato kokettieren, plädieren hierzulande nur wenige Stimmen für eine Abkehr von der Neutralität.

Bundesheeraufmarsch am Nationalfeiertag zu Ehren eines liebgewonnenen Grundsatzes: Das Neutralitätsgesetz verbietet unter anderem eine Teilnahme an militärischen Bündnissen. Zur Änderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament – die ist nicht in Sicht.
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Was lässt die politischen Wortführer an diesem Prinzip, das gemäß dem in der Verfassung verankerten Neutralitätsgesetz eine Mitgliedschaft in einem militärischen Bündnis verbietet, festhalten? DER STANDARD hat bei den Parlamentsparteien nachgehakt.

·ÖVP Die heutige Kanzlerpartei trat um die Jahrtausendwende für den Nato-Beitritt ein, nun gilt die Losung: An der in der Bevölkerung äußerst populären Neutralität wird nicht gerüttelt. Dabei macht sich Wehrsprecher Friedrich Ofenauer über den Nutzen für die Sicherheit keine Illusionen. Aus Russlands Attacke lasse sich eines schließen, sagt er: "Wenn ein Staat Völkerrecht brechen will, dann wird er auch keine Neutralität achten."

Für Österreich müsse die Konsequenz lauten, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken und die Neutralität – wie es ebenfalls in der Verfassung heißt – "mit allen gebotenen Mitteln" zu schützen, argumentiert Ofenauer und räumt trotz permanenter Regierungsbeteiligung seiner Partei ein: "Auch wenn wir das Wehrbudget in der Vergangenheit mehrfach erhöht haben, haben wir diese Aufgabe bisher nicht zu 100 Prozent erfüllt."

"Neutralität gehört zum Selbstverständnis der Österreicher"

Aber könnte die Republik einem Aggressor wie Russland jemals Paroli bieten? Natürlich könne man gegen einen derart übermächtigen Gegner nicht bestehen, sagt der Parlamentarier, "so stark werden wir das Wehrbudget realistischerweise nicht anheben können. Es geht darum, anhaltend Widerstand zu leisten, keine leichte Beute zu sein." Die Flucht in ein Militärbündnis wie die Nato sieht er dennoch nicht als Ausweg. "Die Neutralität gehört zum Selbstverständnis der Österreicher und steht nicht zur Debatte", sagt er. "Wir sind damit als Vermittler in Konflikten auch gut gefahren." Nachsatz: Sollte es jemals eine gemeinsame Verteidigungspolitik samt EU-Armee geben, "ist die Situation neu zu bewerten".

·SPÖ Die größte Oppositionspartei teilt mit der ÖVP einige Schlussfolgerungen – wenn auch garniert mit manch spitzer Anmerkung. Statt an den Nato-Avancen der Nordländer will sich Vizeklubchef Jörg Leichtfried an der Wehrhaftigkeit der neutralen Schweiz orientieren: "Wir müssen mehr in die umfassende Landesverteidigung, die nicht nur eine militärische Dimension hat, investieren. Budgetkürzungen unter der Serie von ÖVP-Finanzministern haben dieses Ziel untergraben."

Gemeinsame Außenpolitik

Bedrohungsszenarien werde es für Österreich immer wieder geben, sagt Leichtfried, doch die sollten sich mit den Mitteln eines neutralen Staates bewältigen lassen, nicht zuletzt durch Einsatz von Diplomatie: "Ziel muss es sein, dass es gar nicht zu einer Situation wie in der Ukraine kommt." Dass die Republik auch direkt von Russland angegriffen werden könnte, zeichne sich nicht ab.

Würde die SPÖ die Neutralität irgendwann für eine gemeinsame EU-Armee aufgeben? Erst müsse es eine gemeinsame Außenpolitik geben, sagt Leichtfried: "Die Frage ist mir deshalb zu spekulativ."

·FPÖ "Die Neutralität selbst schützt vor niemandem", sagt Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch – und trotzdem hält auch er am ehernen Prinzip fest. "Wir können damit gut über die Runden kommen", glaubt der Parlamentarier, um auf humanitäre Einsätze und diplomatische Aktivitäten zu verweisen.

Mehr Geld für Landesverteidigung

Die Alternative Nato, mit der die FPÖ einst liebäugelte, sei auch ein Instrument der US-Politik, wendet Bösch ein, man denke an Interventionen im Irak und in Afghanistan. Ein Ziel will er aber von der Nato übernehmen: Österreich soll ebenfalls zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Landesverteidigung ausgeben – derzeit sind es etwa 0,7 Prozent. Bösch zählt zwar auf einen Ausbau der EU-Verteidigungspolitik, zumal diese bei der Sicherung der Außengrenze derzeit jämmerlich versage, eine gemeinsame Armee gehe aber zu weit: "Wohin wir Soldaten entsenden, muss in Wien entschieden werden."

·Grüne Auch nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sei Österreichs Sicherheit nicht unmittelbar bedroht, sagt Monika Vana, Europaabgeordnete der kleineren Regierungspartei, und sieht keinen Grund für ein Ende der Neutralität: "Wo kommen wir da hin, wenn alle Staaten in Bündnissen verpflichtet sind?" Neutrale Akteure könnten bei der Bewältigung eines Krieges und der Folgen eine unschätzbare Vermittlerrolle spielen: "Ihre Glaubwürdigkeit ist im Gegensatz zu den Kriegsparteien nicht beschädigt." Eine Teilnahme an einer etwaigen EU-Armee sei deshalb keine Option für sie.

Dialog und Flüchtlingshilfe

Im neutralen Sinn sei sie mit Österreichs Vorgangsweise im Ukraine-Konflikt – vom Dialogangebot bis zur Flüchtlingshilfe – "sehr zufrieden", ergänzt Vana. Aber zeige nicht gerade die Eskalation die Grenzen der Diplomatie und der nichtmilitärischen Druckmittel auf? "Warten wir ab", sagt sie, "für eine abschließende Bewertung ist es zu früh."

·Neos Die kleinste Partei im Parlament ist die einzige, die kein klares Bekenntnis zur Neutralität vorausschickt. Vielmehr liegt Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ein Plädoyer für ein europäisches Berufsheer am Herzen: "Wir brauchen als Europäische Union eine eigenständige Verteidigungspolitik, auch unabhängig von den USA. Wir waren viel zu lange die naiven Nackerbatzerln."

"Unehrliche" Debatte

Ob für eine EU-Armee auch die Neutralität aufgegeben werden müsste, sei "eine rechtsdogmatische Frage", sagt Meinl-Reisinger. Angesichts der Tatsache, dass Österreich längst an UN-Missionen sowie den EU-Battlegroups teilnehme und sich "inmitten eines Wirtschaftskriegs gegen Russland" befinde, werde die Debatte ohnehin "unehrlich" geführt.

Auch aus Sicht der Neos müsse die Regierung nun kurzfristig das österreichische Budget für die Landesverteidigung erhöhen – allerdings in Abstimmung mit der EU. "Es macht keinen Sinn, dass wir jetzt Panzer ankaufen, die dann anderen Sprit brauchen als die deutschen." (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 3.3.2022)