Denkt nicht daran, seinen gut dotierten Posten in Russland zu räumen: Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel.

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Seit mittlerweile einer Woche tobt ein Krieg in Europa. Russlands Präsident Wladimir Putin will die Ukraine gewaltsam unter seine Herrschaft bringen, beschießt das Land dafür mit Raketen und nimmt dabei auch zahlreiche zivile Opfer in Kauf. Mit jedem weiteren Tag wächst deshalb auch die Kritik an Wolfgang Schüssel.

Denn der konservative Ex-Kanzler denkt trotz all dieser Schaurigkeiten nicht daran, seinen Aufsichtsratsposten beim russischen Mineralölkonzern Lukoil niederzulegen, der ihm etwa 100.000 Euro im Jahr einbringen soll. Schüssel hält das auch in der aktuellen Situation für alles andere als unredlich. Lukoil sei ein privates Unternehmen, an der Londoner Börse notiert (am Donnerstag wurde der Handel mit Lukoil-Aktien dort allerdings ausgesetzt), argumentiert er. Abgesehen davon sei es kein Teil des europäischen Sanktionsregimes gegen Russland – jedenfalls noch nicht. Am Donnerstagabend rief der Konzern überraschend und im Nachgang der Recherche den Kreml auf, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Aus Sicht des Russland-Experten Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck wird es nämlich mit jedem Tag wahrscheinlicher, dass es ein EU-Handelsembargo gegen Russland geben könnte, das auch Lukoils Ölgeschäfte zunehmend austrocknet. "Es bleibt bis zum Schluss eine private Entscheidung, aber dann sollte Schüssel doch bereit sein, seinen Posten zu räumen", befindet Mangott. "Es gibt einfach kein gutes Bild ab, wenn ein österreichischer Ex-Kanzler Aufsichtsrat eines Unternehmens ist, das nicht mehr in die EU exportieren darf."

"Ohne Arrangement mit Putin wird es nicht gehen"

Aber muss es überhaupt erst so weit kommen? Wer nach Wagit Alekperow sucht, findet einen Mann, der scheinbar einen guten Draht zu Putin pflegt. Alekperow zählt zu den reichsten Oligarchen des Landes und ist außerdem Gründer und Chef von Lukoil. Als Putin vor einer Woche die russische Geschäftselite zu sich in den Kreml rief, war auch Alekperow darunter. Laut dem britischen "Guardian" sind Lukoil sowie die Staatsunternehmen Gazprom und Rosneft für den Steuerertrag der russischen Regierung am wichtigsten. 2020 verdiente der Staat umgerechnet um die 37 Milliarden Euro an dem Dreiergespann.

Mangott ist aber wichtig zu betonen, dass Alekperow nicht erst unter Putin zum Oligarchen wurde – weshalb der Experte keine übertriebene Nähe zwischen den beiden erkennen möchte. Der frühere stellvertretende Minister für Öl- und Gasindustrie in der Sowjetunion sei in den gesamten 90er-Jahren vor allem mit der Regierung um Boris Jelzin eng verbunden gewesen. Unter Jelzin stieg Putin allerdings nicht nur auf, dieser kürte ihn einst auch zu seinem Nachfolger. Und Mangott räumt ein: "Ohne Arrangement mit Putin wird es gerade in der für Russland wirtschaftlich so wichtigen Ölindustrie nicht gehen."

Abgesehen davon kooperiert Lukoil eng mit der russischen Staatsfirma Rostec, einst von Putin gegründet, deren Portfolio über militärische Zweige verfügt. So gehört der Waffenkonzern Kalaschnikow ebenso zum Firmenkomplex wie eine Kampfhubschrauber- und Munitionsproduktion.

Vor einigen Jahren wurde darüber hinaus bekannt, dass Lukoil Kontakt zu Cambridge Analytica hatte – jener berüchtigten Datenfirma, die 2016 mit Millionen Facebook-Nutzerdaten den US-Wahlkampf zugunsten Donald Trumps manipulierte. Lukoil soll sich laut "Guardian" für dieses Social-Media-Marketingsystem interessiert haben. Cambridge Analytica hat stets erklärt, dass man mit dem türkischen Ableger Lukoils gesprochen habe und es lediglich um ein Programm für Tankstellentreuekarten gegangen sei und nicht um die politische Arbeit.

Busek plädiert für Rücktritt

In der heimischen Innenpolitik wird die Kritik daran derweil immer größer, dass Schüssel seinen Posten in Russland einfach nicht aufgeben möchte. Nicht nur die Opposition schäumt, sondern auch ein Parteifreund plädiert für einen Rücktritt. "Bei Kriegen gibt es keine Privatfirmen, sondern nur Kriegswirtschaft", sagte der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek dem STANDARD. Im oe24.tv-Studio sprach er zudem Schüssel ins Gewissen: "Ich kann ihn nur bitten, konsequenter zu werden, wenn er sein Bild nicht völlig beschädigen will. Das hat er nicht notwendig. Das, was er jetzt aufführt, ist seiner nicht würdig."

In der ÖVP sei man bei diesem Thema derzeit aber recht gespalten, ist aus der Partei zu hören. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka verteidigte Schüssel unlängst, für Innenminister Gerhard Karner ist er ein "weiser Mann", der auch hier die richtige Entscheidung treffen werde, wie er Puls 24 sagte. Andere bei den Türkisen sollen dieser Tage aber sehr wohl ihr Unverständnis darüber äußern. "Schüssel will das aussitzen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sich das nicht doch zuspitzt demnächst", sagte ein Parteifunktionär hinter vorgehaltener Hand, der allerdings davon ausgeht, dass die Sache Schüssel gerade mehr schade als der ÖVP an sich.

Die Unzufriedenheit über den ehemaligen Spitzenpolitiker reicht mittlerweile bis nach Deutschland. Dort ist Schüssel Vorsitzender des Kuratoriums der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung. Laut der Wochenzeitung "Furche" hat sich deren Leiter, der ehemalige deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), an Schüssel gewandt, um klarzustellen, dass man voll und ganz aufseiten der Ukraine stehe, und den Ex-Kanzler daher aufgefordert, "seine bisherige Position mit Blick auf die Fortführung seines Mandats im Verwaltungsrat der Firma Lukoil zu überdenken".

Die Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen, deren Präsident Schüssel ist, ließ eine Anfrage des STANDARD bisher unbeantwortet. (Jan Michael Marchart, 3.3.2022)