An mehreren Moskauer U-Bahn-Stationen bildeten sich lange Schlangen an der Kasse, weil die Menschen ihre Abo-Karte nicht mehr wie von vielen gewohnt mit Apple, Samsung oder Google Pay bezahlen können.

Immer stärker machen sich damit die Sanktionen im Alltag der Russen bemerkbar: Schon in den vergangenen Tagen hatte es einen regelrechten Run auf Elektronik und Haushaltstechnik gegeben. Die Hamsterkäufer dürften sich bestätigt fühlen, nachdem nicht nur Dell und HP, sondern auch der chinesische Konkurrent Lenovo die Einstellung von Lieferungen bestätigt haben.

Nun kommt noch Ikea dazu. Der schwedische Möbelbauer hat am Donnerstag die Schließung seiner Märkte in Russland erklärt. Insgesamt 17 Geschäfte und einige Design-Studios hatte Ikea in Russland, die drei Großmärkte rund um Moskau zählten dabei zu den weltweit größten Filialen des Konzerns.

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Geschäfte von H&M sind geschlossen.
Foto: REUTERS/Staff

Der lakonische Stil des skandinavischen Wohnungseinrichters war durchaus gefragt in Russland. Doch nun müssen die Russen sich anderweitig umsehen. Beim dänischen Konkurrenten Jysk werden sie nicht fündig, dieser hatte wegen der Ukraine-Krise bereits kurz zuvor seinen "befristeten" Rückzug aus Russland erklärt.

Damit wird die Liste der Unternehmen, die Russland den Rücken kehren, immer länger: Die Geschäfte von H & M und re:Store (russischer Vertreiber von Apple-Produkten) sind schon geschlossen. Die Nike-Läden verkaufen nur noch Restbestände, genauso wie beim Spielehersteller Lego. Online-Retailer wie Yoox und Asos liefern ebenfalls nicht mehr nach Russland.

Automobilbau in der Krise

Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Für mehrere Wirtschaftssektoren deuten sich bereits massive Verschlechterungen an. Praktisch alle westlichen Autobauer haben ihren Rückzug aus Russland bekanntgegeben.

Damit nicht genug: Auch der Lada-Produzent Avtovaz hat ab Ende der Woche einen Produktionsstopp verkündet, weil dem Unternehmen nach dem Abgang von Bosch die nötigen Chips für das ABS ausgehen. Während offiziell nur von einigen Tagen Pause die Rede ist, heißt es inoffiziell aus Konzernkreisen, dass angesichts der Krise unklar sei, für wie lange die Fließbänder angehalten werden müssen.

In der russischen Automobilbranche sind rund 240.000 Menschen beschäftigt. Der Exodus der westlichen Partner hätte also beträchtliche soziale Folgen. Zudem müssten die Russen dann wohl auf einheimische und chinesische Autos umsteigen. Deren Marktanteil steigt Expertenschätzungen nach heuer auf 20 Prozent.

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Auch Ikea hat sich zurückgezogen.
Foto: REUTERS/Stephane Mahe

Vor düsteren Zeiten steht der Wohnungsmarkt. Die Anhebung des Leitzinses auf 20 Prozent macht Hypotheken praktisch unerschwinglich. Einer Reihe von Baufirmen droht die Pleite. Schon im vergangenen Jahr haben sich Baumaterialien deutlich verteuert. Die Sanktionen haben diese Preisspirale noch einmal befeuert. Wer soeben seine Wohnung renoviert, muss nun noch tiefer in die Tasche greifen. "Renovierungskosten haben sich innerhalb einer Woche fast verdoppelt", schätzt Juri, der in Moskau als Makler arbeitet.

Besonders hart trifft es auch den Luftfahrtsektor: Urlaub im Ausland ist ohnehin schwer, nachdem viele Länder ihren Luftraum gesperrt haben. Aber auch Inlandsflüge dürften künftig zum Problem werden: Mehr als die Hälfte der Zivilflugzeuge stammen von Boeing und Airbus, die ihre Flieger nicht mehr warten wollen. Damit droht in wenigen Monaten ein Grounding eines Großteils der russischen Luftflotte.

Noch ein Boykott

Embraer ist keine Alternative, denn das brasilianische Unternehmen hat sich dem Boykott angeschlossen. Das trifft speziell die Fluggesellschaft S7, die mehrere Embraer im Bestand hat. Ob chinesische Comacs Abhilfe schaffen können, ist ebenfalls fraglich, denn die Flugzeuge werden mit westlicher Technologie gebaut, womit die Sanktionen sich auch darauf erstrecken dürften.

Bleibt der einheimische Superjet. Doch erstens gibt es davon viel zu wenige, um den gesamten Flugverkehr abwickeln zu können, und zweitens klagen Kunden immer wieder über technische Probleme. Für Langstrecken ist die Maschine ohnehin nicht geeignet. (André Ballin, 4.3.2022)