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Europa importiert viel russisches Gas – von dieser Abhängigkeit will man sich nun lösen. Die Ansätze, wie das gelingen könnte, sind dabei recht unterschiedlich.

Foto: ap/Pavlo Palamarchuk

Der Ruf nach einem Ausstieg aus Gas ist lauter denn je. Doch anders als früher stehen nicht klimapolitische Überlegungen an vorderster Front, sondern geopolitische: Der Krieg in der Ukraine hat einmal mehr die Abhängigkeit Europas von Russland als Energielieferant ins Zentrum gerückt. Zudem schwelt die Sorge in Europa, was passieren könnte, wenn Moskau den Gashahn abdrehen würde.

Fest steht, dass die EU rund 40 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland bezieht. In Österreich ist der Anteil wesentlich höher, rund 80 Prozent des Erdgasverbrauchs werden mit russischem Gas gedeckt, etwa 900.000 Haushalte im Land heizen mit Gas. Zwar gibt es zahlreiche Förderaktionen, um Bürgerinnen und Bürger zu einem Wechsel weg von Gas zu bewegen, der Umstieg bleibt aber – noch – freiwillig. Die gesetzliche Verpflichtung dafür soll das für dieses Jahr geplante Erneuerbaren-Wärmegesetz (EWG) bilden.

Die brennende Frage ist: Wohin sollen sich die EU und auch Österreich jetzt bewegen? Die Lösungsvorschläge könnten zum einen zu einer deutlich schnelleren Energiewende führen oder bisherige Klimaschutzambitionen einbremsen.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr etwa schlug vor wenigen Tag vor, Gasimporte aus Russland zu stoppen. Ein Ende russischer Gaslieferungen würde die so oder so geplante Energiewende dramatisch beschleunigen und Österreich vom "russischen Erpressungspotenzial" lösen, sagte er im ZiB 2-Interview. Felbermayr räumte allerdings ein, dass ein Stopp auch Stress für die Wirtschaft bedeuten und sich in den Preisen niederschlagen würde. Er verwies darauf, dass es bis zum kompletten Umstieg auch Alternativen gebe – denn Russland habe kein Monopol auf Gas.

Furcht vor der Belastung

Für die Wirtschaftskammer (WKO) dürfte das wohl eher nicht infrage kommen: "Es ist alles zu unterlassen, was im Augenblick die Wirtschaft – wodurch auch immer – zusätzlich belastet", sagte deren Generalsekretär Karlheinz Kopf vor wenigen Tagen zum ORF – und stellte zeitgleich die geplante CO2-Steuer zum jetzigen Zeitpunkt infrage.

Klimaschutzmaßnahmen wie die CO2-Steuer jetzt zu verzögern sei "fatal" und "genau das Verkehrte", kontert die Umweltökonomin Sigrid Stagl von der WU Wien. Der Preis sei ohnehin bereits so niedrig angesetzt, dass er kaum zu spüren sei. "Es müssen multiple Krisen gleichzeitig angegangen werden, Klimaschutz hintanzustellen wäre absolut der falsche Weg", sagte sie am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz. Gleicher Meinung ist auch ihr Kollege Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA). Er plädiert sogar dafür, den Preis nun anzuheben, statt zu senken – auch wenn das derzeit sehr konterintuitiv wirke.

Sein Argument: Der europäische Großhandelspreis für Gas hat sich aufgrund der Unsicherheit stark erhöht, die Erzeugungskosten blieben allerdings gleich. Dadurch machen Gaskonzerne aufgrund sogenannter Knappheitsrenten hohe Profite. In dieser Situation würde eine Erhöhung des CO2-Preises das Marktgleichgewicht und damit den Großhandelspreis kaum verändern. Die Maßnahme hätte daher auf die Rechnungen der Konsumenten wenig Auswirkungen. Gleichzeitig würden die hohen Renditen, die derzeit an die Unternehmen fließen, dem Staat zugutekommen und könnten wiederum den Ausbau von erneuerbaren Energien finanzieren.

"Klimaschutz hintanzustellen wäre absolut der falsche Weg", sagt Umweltökonomin Sigrid Stagl.
Foto: EPA

Auch in Deutschland wird darüber nachgedacht, wie mit der Abhängigkeit von Russland umgegangen werden soll. Im Nachbarland setzt man nicht unbedingt auf klimafreundliche Lösungen: Die Bundesregierung erwägt, allenfalls doch erst später aus der Kohle auszusteigen. Geplant war eigentlich, den für 2038 anvisierten Ausstieg möglichst im Jahr 2030 zu erreichen. "Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen", sagte Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck in einem Interview.

Zudem hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Bau von zwei Flüssiggas-Terminals (LNG) angekündigt, um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren. Deutschland will zudem Flüssigerdgas im Wert von 1,5 Milliarden Euro kaufen. Für Umweltschutzorganisationen keine Option: Mit einem Umstieg auf Flüssiggas würde Deutschland seine Abhängigkeit von einem fossilen Rohstoff zu einem nächsten verfestigen, argumentieren sie. Gleicher Meinung ist Ökonomin Stagl. Sie hält einen Umstieg auf Flüssiggas für "bedauerlich" – immerhin sei LNG entlang der Produktionskette klimaschädlicher als Pipelinegas. Es sei wichtig, jetzt nicht in klimaschädliche Überbrückungstechnologien zu investieren, da diese zu einem langfristigen "Lock-in-Effekt" führen würden.

Raus aus Fossilen

Wohin soll die Reise dann gehen? Darauf hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace eine für sich klare Antwort: Raus aus den Fossilen und hin in Richtung Erneuerbare. "Wir müssen Gas hinter uns lassen, um Putins Krieg nicht mitzufinanzieren", meint Jasmin Duregger, Klimaexpertin der NGO. Sie fordert ein Sofort-Gas-Exit-Paket vonseiten der Regierung. Neben bestehenden Förderungen sei eine weitere Akut-Milliarde für die nächsten Wochen und Monate notwendig, um den Umstieg zu finanzieren. Zudem müsste die Förderung für die Wärmedämmung aufgestockt und eine Arbeitsmarktoffensive mit entsprechenden Ausbildungen gestartet werden.

Für essenziell hält Duregger zudem, dass der Einbau von Gasheizungen im Neubau sofort verboten wird. Dabei sei nicht nur der Bund in der Verantwortung, denn die Bauordnung liegt bei den Ländern. Hier kommt das vorhin erwähnte Energie-Wärmegesetz ins Spiel. Es soll den rechtlichen Rahmen für die Wärmewende in Österreich bilden.

Bis 2040 soll die Republik ja klimaneutral sein, bis dahin müssen also spätestens alle fossilen Heizsysteme im Land der Vergangenheit angehören. Türkis-Grün liegt dabei teilweise hinter den ursprünglichen Plänen. Im Regierungsprogramm war die Rede davon, dass Kohle und Öl im Neubau schon 2020 Geschichte sein sollten, was auch umgesetzt wurde. Noch nicht beschlossen wurde hingegen der verpflichtende Kesseltausch bei einem Heizungswechsel ab 2021. Darüber hinaus sollen – nach damaligen Plänen – ab 2025 alle Öl- und Kohlekessel, die älter als 25 Jahre sind, verpflichtend ausgetauscht werden. Alle übrigen bis spätestens 2035. Gas soll demnach ab 2025 im Neubau verboten werden.

Wenig Planungssicherheit

Der Weg bis zur Umstellung ist noch weit. Eine baldige Festlegung auf Ausstiegsdaten sei jedoch auch im Sinne der Planungssicherheit wichtig, meint der grüne Klimasprecher Lukas Hammer. Gerade im mehrgeschoßigen Wohnbau sei noch einiges zu tun. Darüber hinaus brauche es eine langfristige Förderstrategie, die den Umstieg für Bürgerinnen und Bürger so einfach wie möglich macht. "Ideal wäre ein One-Stop-Shop", sagt Hammer. Derzeit sind die Förderungen auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt.

Ziel sei jedenfalls, dass bis 2040 kein Erdgas mehr in der Raumwärme eingesetzt wird. Ganz ohne Gas werde es auch dann nicht gehen, sagt Hammer in Bezug auf erneuerbare Gase – diese dürften aber nicht zum Heizen eingesetzt werden. Für das EWG ist im Parlament jedenfalls eine Zweidrittelmehrheit notwendig, die Regierung wird also einige Stimmen der Opposition benötigen. Dort gibt es – zumindest in Teilen – durchaus Gesprächsbereitschaft. (Nora Laufer, 4.3.2022)