Pokerface: Oscar Isaac in "The Card Counter".

Foto: Polyfilm

Auf seinem Rücken hat er ein Bekenntnis tätowiert: "Ich vertraue mein Leben der Vorsehung an, ich vertraue meine Seele der Gnade an." Anders im Casino, da geht es der Mann in Lederjacke nach Vorbild von Steve McQueen in The Cincinnati Kid kalkuliert an. Er kennt das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Im Gefängnis hat er sich selbst beigebracht, wie man beim Blackjack Karten zählt. Wer nicht zu hoch gewinnt, weiß er, der erweckt kein Misstrauen. Bescheidenheit ist für ihn keine Zier, sondern eine kluge Taktik. Seine Regel fürs Roulette wäre auch etwas für notorische Spielernaturen: "Wenn du gewinnst, gehst du weg", und: "Wenn du verlierst, gehst du weg."

Focus Features

William Tell nennt sich der Protagonist aus Paul Schraders The Card Counter, ein Name, der in den leicht heruntergekommenen Casinos, in denen er spielt, nach nichts Besonderem klingt. Das will er auch nicht, denn Tell, den Oscar Isaac so elegant und geradlinig wie einen Scheitel verkörpert, will nicht auffallen, sondern in die Anonymität eintauchen. Die Karten sind reiner Zeitvertreib und zugleich eine moralische Askese. Schuld und Schulden sind hier zwei korrespondierende Begriffe. Von Ersterer hat Tell in der Vergangenheit zu viel angehäuft, in seiner neuen Profession hat er gelernt, Zweiteres zu vermeiden.

Paul Schrader ist im US-Kino ein richtiger "auteur". Obsessiv arbeitet er sich in seinen Filmen an calvinistischen Schuld-und-Sühne-Topoi ab und kommt dabei immer wieder auf entsprechend belastete Figuren zurück. Am berühmtesten ist der Vietnam-Veteran Travis Bickle aus Taxi Driver (nur Drehbuch), aber auch der Drogenkurier in Light Sleeper passt ins Schema oder der von Ethan Hawke gespielte, gequälte Priester aus dem fantastischen Erlösungsdrama First Reformed.

Abu Ghraib als Trauma

In The Card Counter geht die Weltabkehr des Helden so weit, dass er in den Motels, die er auf seiner Spieltouren bezieht, sogar die Möbelstücke im Zimmer in Tücher verhüllt. Leute, die keinen Abdruck, keine Spuren hinterlassen wollen, sind auf der Flucht. Durch das Voice-over seiner Tagebucheinträge wird langsam klar, dass er seiner eigenen Vergangenheit entkommen will. Tell war einer der folternden Soldaten in Abu Ghraib. Die Erinnerungsflashbacks aus dem Gefängnis zeigt Schrader als Wahnbilder, die in extremem Weitwinkel aufgenommen sind. So bekommt man den tierischen Tell zu Gesicht, bevor er sich in dieser vornehmen Erscheinung des Gamblers verschanzt hat.

Die Ereignisse, die die Vorhersehung in The Card Counter für Tell parat hat, riechen dennoch ein wenig nach Vintage-Schrader. Man gewinnt den Eindruck, der Plot schiebt die Bausteine fast ein bisschen zu routiniert ineinander. Tell soll aus seinem Schneckenhaus herausgelockt werden: Dafür gibt es den jungen Cirk (Tye Sheridan), dessen Vater im Irak gedient hat, mit schwerwiegenden Folgen.

Kühne Stilistik

Cirk versucht Tell für einen Racheakt an seinem frühen militärischen Vorgesetzten (Willem Dafoe) zu gewinnen, der nie belangt wurde. Tell winkt ab, will den verbeulten "Kid" jedoch zurück auf den rechten Weg bringen. Und sich selbst von seinen Dämonen befreien. Komplettiert werden sie von einer schwarzen Frau, La Linda (Tiffany Haddish), der Einzigen, die hier ein wenig Lebensfreude verströmt.

Unverwechselbar bleibt Schraders kühne Stilistik, ein sonderbar hypnotischer Blick auf das eher dahinmäandernde Geschehen. Die braunen Teppichmuster in Casinos wie dem Golden Nugget und von No-Name-Motels durchmisst die Kamera in verlangsamten Bewegungen. Tageszeiten zerfließen träge, an den Spieltischen sitzen Figuren, die wie Karikaturen aussehen – etwa ein nervtötender "Mister USA", der bei jedem Pokersieg laut aufgrölt (und in Wirklichkeit aus der Ukraine stammt). Schraders Amerika ist ein unerfreulicher, trostloser Ort, in dem Mittelmäßigkeit das Unheil darunter tarnt. Man könnte sagen: Rien ne va plus. (Dominik Kamalzadeh, 4.3.2022)