"Die Welt muss sich gendern!" Stimmt, aber das Zauberwort heißt auch Konsens, sagt Klemm.

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Ich bin jetzt eine FLINTA*. Gefragt hat mich zwar niemand. Aber das F im Kürzel steht für "Frau" und meint mich eh mit; ich kann mich also nicht beschweren. Für alle außerhalb der Blase: Es heißt jetzt FLINTA*. "Frau" ist zum Problem geworden. Wer "Frau" sagt, um die ganz normale, nicht auszurottende Geschlechterungerechtigkeit zu verbalisieren, ist transfeindlich und am Binären festhaltend.

Egal ob Mädchenmord, Sexualverbrechen oder Gender-Pay-Gap: Es sind FLINTA*s, die darunter leiden. Wenn ich sprachästhetische oder ideologische Bedenken habe und mich frage, was passiert, wenn die Kategorie Frau einfach so verschwindet, aber nicht die Kategorie Mann, bin ich unten durch. Dann krieg ich ein neues Kürzel verpasst: FART oder TERF. Diskussion beendet.

"Dann krieg ich ein Kürzel verpasst: FART oder TERF": Gertraud Klemm.
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Dabei hat alles mit einem schönen Gedanken begonnen. Der Feminismus ist jetzt intersektional und inklusiv, er nimmt alle unter seine Fittiche, die sich als Frau verstehen und unter dem Patriarchat leiden.

Die Realität ist eine hässliche: Feministinnen unterschiedlicher Ideologien – oder sagen wir gleich: Generationen – machen einander zur Sau, wo auch immer sie können. Sie werfen einander sperrige Kürzel an den Kopf, die die Hälfte der Bevölkerung noch nie gehört hat. Denn der Kampf zwischen Altfeministinnen und Jungfeministinnen ist ein digitaler Disput, der den Rest der Frauen – nennen wir sie Postfeministinnen – schon lang nicht mehr interessiert.

Täglicher Eiertanz

Menschen außerhalb der netzfeministischen Blase mögen Diskussionen um cis und trans, J. K. Rowling und Alice Schwarzer und SWERF und TWERF vielleicht als realitätsfremdes Gewäsch befremden – für Feministinnen sind sie zum täglichen Eiertanz im identitätspolitischen Ballett geworden.

Nicht nur in den sozialen Medien wird gebissen, gedroht und gecancelt: Darüber, was pfui oder super ist, richtet der netzfeministische Identitätsdiskurs mit knackigen Tweets, bunten Insta-Kacheln und Facebook-Videos ohne Grauzonen und Diskussionskultur. Das kann sich schon mal zu Ausladungen und zu Entlassungen von einschlägigen Intellektuellen steigern – gern auch zu Gewaltandrohungen und Bücherverbrennungen. Wer Diskurs will, darf nicht zimperlich sein.

Weil der Feminismus der Gegenwart für alle Debatten zuständig ist, in denen auch nur ein einziges Östrogenmolekül nachweisbar ist, hat er auch die ganze Diskursmasse am Hals. Je größer die Fittiche, desto diverser die Lebensrealitäten der Betroffenen. Was für die eine ein existenzielles Problem ist, mag für die andere eine lächerliche Begrifflichkeit sein.

Eine heterosexuelle, teilzeitarbeitende Frau mit kleinen Kindern hat ganz andere Probleme als eine transsexuelle Sexarbeiterin: Und doch sollen sie von ein und demselben Feminismus vertreten sein, der alles mitdenkt: Religion, Sexualität, Sprache, Gender, Kolonialismus und Klimawandel – natürlich alles global. "Wie soll sich das ausgehen? Was hat das noch mit uns zu tun?", fragt sich ein großer Teil der Frauen spätestens seit Judith Butler. Diese Frauen als Mitstreiterinnen verloren zu haben, büßen wir schmerzlich; vor allem bei den Wahlen.

Zähe Probleme

Diejenigen, die noch mitreden wollen – oder müssen –, sind mit flotten Lösungen für zähe Probleme konfrontiert, die sie selbst oft nur vom Wischen und Liken kennen. Egal ob es um das Kopftuch geht, um Sexarbeit oder Transsexualität, egal ob persönlich betroffen oder nicht: Jedes Problem hat seinen Hashtag, und alle müssen sich entscheiden: Liken oder haten!

Sind Prostituierte jetzt Opfer, oder ist Sexarbeit Ermächtigung? Ist das Tragen religiöser Symbole hui oder pfui? Ist ein Penis jetzt tatsächlich "kein männliches Sexualorgan per se" mehr, oder soll eine Transfrau selbstverständlich auf einem Frauenquotenplatz im Bundestag sitzen?

Ist vielleicht doch nicht alles so einfach, wie es aussieht? Diskussionen müssten geführt werden, Meinungen gehört, Konsequenzen bedacht und abgewogen. Aber zuerst muss Stellung bezogen werden. Möglichst schnell, kurz und richtig. Dazu gehört auch, kurzen Prozess mit intellektuellen Vorreiterinnen der zweiten Welle des Feminismus zu machen. Der digitale Gerichtshof kennt keine Gnade und hat schon immer alles besser gewusst.

Während sich der Altfeminismus auf einer Seite damit abmüht, ein bisschen mehr Gerechtigkeit in unsere binäre, katholisch und moralisch strukturierte Gesellschaft hineinzustricken, trennt der junge Feminismus auf der anderen Seite die Struktur der Geschlechter auf. Die Lücke zwischen theoretischen Ansätzen und alltäglicher Umsetzung wird auch der intersektionale Feminismus nicht stopfen können. Denn während gestritten wird, macht das Patriarchat, was es immer macht: Frauen unterbezahlen, ihnen Haushalt und Kinder aufbürden, Gewalt ausüben und Kriege anzetteln.

Ist mir etwas entgangen?

Die Diskussion über Geschlechteridentitäten tut man sich nicht an. Man bleibt, was man immer schon war: die Kategorie Mann. Deswegen gibt es FLINTA*s, aber keine MGINTA*s. Oder ist mir etwas entgangen?

Natürlich soll der Feminismus großzügig und beherzt die Bedürfnisse aller Frauen im Auge haben.

Aber hat er dafür auch die Ressourcen? Aufmerksamkeit, Förderungen, geschützte Räume und Quotenplätze sind in einem patriarchalen System nicht unendlich verfügbar. Denn für Frauendings ist nie genug Platz oder Geld da, egal ob es Frauen oder FLINTA*s einfordern.

Der Feminismus ist ein Staffellauf durch die Jahrhunderte; wollen wir uns auf den letzten Kilometern nicht lieber auf Gemeinsamkeiten konzentrieren, anstatt jede identitätspolitische Sau durchs digitale Dorf zu treiben? Was uns eint, sind ganz lapidar menschenrechtliche Bedürfnisse: Wir hätten gern gleiches Geld für gleiche Arbeit, wir wollen nicht ungefragt begrapscht und penetriert werden, wir wollen Sicherheit und Menschenwürde. Was uns spaltet, sind die Schnittstellen zum Patriarchat, die zu komplex sind, als dass sie sich unter einem großen, wahrhaftigen Feminismus zusammenfassen ließen.

Auch in den ersten beiden Wellen der Frauenbewegung gab es tiefe Gräben zwischen Bürgerlichen und Sozialistischen, zwischen Heteros und Lesben. Hätten sie nicht an einem Strang gezogen, wo stünden wir heute? Vieles ist noch unerledigt: Immer noch verdienen wir weniger, sind von Altersarmut betroffen und in Machtzirkeln unterrepräsentiert. So ganz nebenbei steht der reaktionäre Einfluss religiöser Gruppierungen auf unsere reproduktiven Rechte wieder mal auf der Türmatte. Sollten wir uns nicht gemeinsam auf all das konzentrieren, anstatt immer neue begriffliche Gräben aufzureißen?

Die universelle Feministin, die ihr ganzes Leben lang immer auf der politisch korrekten Welle surft und alles richtig macht, gab und gibt es nicht. Viele Errungenschaften, von denen wir heute profitieren, sind dank fachlicher Übereinkunft zustande gekommen – über parteiliche, ideologische und religiöse Grenzen hinweg. Das Zauberwort heißt Konsens. Den wünsche ich uns Frauen und allen, die sich dazu zählen wollen. (Gertraud Klemm, ALBUM, 6.3.2022)