Mediator und Jurist Ulrich Wanderer beschreibt im Gastblog, dass keine Regelung hinsichtlich des Nachwuchses in Stein gemeißelt ist.

"Wir wollen nur das Beste für unsere Kinder und bleiben weiterhin Eltern": Ja, das ist wunderbar und auch uneingeschränkt zu unterstützen. Wie soll es aber in der Praxis dann umgesetzt werden? Gab es seit Jahrzehnten primär und fast ausschließlich das Modell des hauptsächlichen Betreuungsortes eines Kindes, so eröffnete im Jahr 2015 der VfGH eine neue Lesart. Lag die Betonung bis dahin auf dem einen Betreuungsort des Kindes, so liegt nun der Fokus auf der bestmöglichen Betreuung des Kindes. Ob diese in einem hauptsächlichen Betreuungsort gesehen wird oder in einem gleichteiligen Betreuungsmodell erkannt werden kann, ist unter anderem Frage der Argumentation.

Die pflegschaftsgerichtliche Kontrolle

Dem Gericht, bei dem im Rahmen einer Scheidung oder auch einer Trennung der Eltern die zukünftige Betreuungsregelung fixiert wird, obliegt es in seiner pflegschaftsgerichtlichen Funktion, die Interessen des Kindes zu wahren. Daher haben so manche Richter und Richterinnen ein sehr waches Auge auf Vereinbarungen bezüglich Unterhalt oder Betreuung und winken nicht automatisch jede Vereinbarung durch. So braucht es beispielsweise eine sehr gute Argumentationslinie, sollte man den Geldunterhalt reduzieren wollen oder auch eine "kreativere" Betreuungsregelung anstreben.

Doch wie so oft im Familienrecht ist die zu überwindende Mauer nur halb so hoch, wie sie auf den ersten Blick scheint. So manche juristische und argumentative Leiter kann helfen, dem Gericht die persönlichen Argumente nahezubringen, doch ist es wichtig, sich erst – und hier kommt die Mediation ins Spiel – über die gemeinsame Linie klar zu werden.

Missverständnisse

Als ich noch im Rahmen der Familienberatung am Bezirksgericht tätig war, gab es viel zu oft die irrtümliche Annahme, dass es bei einer annähernd gleichen Kinderbetreuung (oder "Doppelresidenz") keine Unterhaltspflicht für die Kinder gebe beziehungsweise dass der sonst geldunterhaltspflichtige Part hier günstiger aussteige.

"Au contraire", wäre man geneigt zu antworten, doch zumindest ist die Antwort "Das kommt darauf an" in jedem Fall passend. Lebt der sonst Geldunterhaltspflichtige in einer Großfamilie, sodass durch die zusätzliche Betreuung noch eines Kindes keine relevanten Mehrkosten für Wohnung, Essen, Internet, Schule, Hobbys, Arzt und so weiter anfallen, wäre es theoretisch denkbar, dass die weiteren Kosten nicht mehr ins Gewicht fielen, doch reden wir hier wohl nicht vom Regelfall. Ansonsten bedeutet alleine der finanzielle Mehrbedarf hinsichtlich der Wohnung, des Lebensalltags, der doppelten Kosten für Essen, Kleidung et cetera für das Kind eine durchaus spürbare Mehrbelastung für den betreffenden Elternteil.

Auch gibt es bei einer entsprechenden Betreuung keine Automatismen hinsichtlich des Wechsels von einem Wohnsitz zum anderen. Gerade bei einer überdurchschnittlichen Betreuungsregelung bedarf es einer ebensolchen Gesprächsbasis auf Elternebene, zumal sich die Eltern auch bei den Alltäglichkeiten des Kindesalltags abwechseln sollten. Sowohl in medizinischen Belangen, in Fragen der Schule und auch allfälliger Nachhilfe, bei Hobbys und den Geburtstagspartys von Freunden, der Urlaubsplanung oder der Frage der Gestaltung der diversen Feiertage ist eine gute Gesprächsbasis der Eltern von großer Bedeutung.

Kinderbetreuung und der Unterhalt müssen ausverhandelt werden – mit dem Kindeswohl im Fokus.
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Nicht in Stein gemeißelt

Wichtig ist zu bedenken, dass keinerlei Regelung hinsichtlich des Nachwuchses vor Erreichen der Volljährigkeit in Stein gemeißelt ist. So kann die Obsorgevereinbarung, eine jede Betreuungsregelung, der Hauptwohnsitz ebenso wie die Kontaktrechtsregelung unter Verweis auf das Kindeswohl recht einfach angefochten und eine Änderung beantragt werden.

Beim Kindesunterhalt ist dies bereits möglich, wenn entweder eine "Altersgrenze" überschritten wird (also das Kind sechs, zehn oder 15 wird) oder der geldunterhaltspflichtige Part um zehn Prozent mehr verdient. Auch daher kann es von Nutzen sein, eine Klausel in die Vereinbarung einzubauen, der zufolge die Eltern übereinkommen, in regelmäßigen Abständen die getroffene Regelung zur Betreuung und Kindesunterhalt zu evaluieren und gegebenenfalls auf Basis des Kindeswohls und der gemachten Erfahrungen anzupassen. Wohlgemerkt sollte dabei weniger auf die Bedürfnisse der Eltern, sondern fast ausschließlich auf jene des Kindes Bezug genommen werden, nachdem es sich um die Rechte des Kindes handelt.

Entlastungsvertrag eröffnet Möglichkeiten

Ohne in irgendeiner Art unterstellen zu wollen, dass eine Betreuungsregelung der Unterhaltsreduktion Vorarbeit leisten sollte, sei dennoch noch eine Alternative genannt. Der juristisch sehr trockene Verweis auf den § 231 ABGB könnte dem einen oder anderen Trennungspaar eine größere Vielfalt von Einigungsvarianten eröffnen. Der 4. Absatz des zitierten Paragrafen besagt sinngemäß, dass Vereinbarungen, die einen Elternteil von jedweder Unterhaltspflicht ganz oder teilweise freispielen, nicht zulässig sind.

Außer, und hier wird es dann spannend, wenn sie "im Rahmen einer umfassenden Regelung der Folgen einer Scheidung vor Gericht geschlossen werden". Bedeutet also, dass man sehr wohl im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung vor Gericht eine Vereinbarung schließen kann, welche unter Wahrung des Kindeswohls auch die Geldunterhaltspflicht reduziert.

Dieser sogenannte "Entlastungsvertrag" würde beispielsweise ein Wohnrecht für den hauptsächlich betreuenden Elternteil mit dem Kind in einer Wohnung des anderen Elternteils mit dem Anspruch des Kindes auf Unterhalt gegenrechnen. Vorbehaltlich der eingangs erwähnten pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung eröffnen sich hier sehr wohl neue Möglichkeiten.

Mediation ist keine Beratung

Mediation ist freilich keine Rechtsberatung, sondern die Möglichkeit, den Parteien eine selbstbestimmte Vereinbarung zu ermöglichen. Doch schadet – wie auch sonst im Leben – das Wissen um die Möglichkeiten nur selten. Vielmehr eröffnet die Kenntnis der rechtlichen Basics neue Wege für Vereinbarungen, die in weiterer Folge dem Kindeswohl, aber auch dem Lebensalltag der Eltern zugutekommen. Vielleicht ist es ja so möglich, den Kuchen der Lösungsvarianten zu vergrößern und dem einen oder anderen Paar bei der Entscheidungsfindung zu helfen. (Ulrich Wanderer, 7.3.2022)