Martha Tausk (1881–1957) schaffte es 1918 als erste Frau in die steirische Landespolitik und setzte sich vehement für Frauenrechte ein. Später wurde die Sozialdemokratin erfolgreiche Publizistin.
Foto: Rob Tausk
Illustration: Der Standard

Es war ein historisches Ereignis, als die provisorische steirische Landesversammlung im November 1918 zusammentrat. Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, die Gründung der Republik Österreich stand unmittelbar bevor – und Graz erlebte eine bemerkenswerte Premiere: Eine Frau nahm als politische Repräsentantin an der Sitzung teil. Als die 38-jährige Sozialdemokratin Martha Tausk den Sitzungssaal betrat, wurde sie von allen anwesenden Männern ignoriert. Doch es war ein Meilenstein.

Nur Tage später wurde das Wahlrecht für Frauen eingeführt, im Mai 1919 wurde Tausk in den Landtag gewählt. Lange sollten ihr rhetorisches Talent und ihr politisches Geschick nicht unbeachtet bleiben.

Freizeit, Urlaub!

"Genossin Tausk ergriff das Wort", berichtete die sozialdemokratische Parteizeitung "Arbeiterwille" von der ersten Rede der Abgeordneten. "Die Unruhe legte sich, das Haus gab sich der Sensation hin, zum ersten Mal eine Frau im Landhaus zu hören, und schenkt den Worten der Genossin Tausk ungeteilte Aufmerksamkeit." Sie hatte einiges zu sagen.

Zu Tausks erklärten Zielen zählte etwa eine Änderung der "allgemeinen Dienstbotenordnung", die noch aus dem Jahr 1857 stammte. Die tägliche Arbeitszeit müsse begrenzt werden, es brauche einen Mindestanspruch auf Freizeit und Urlaub, forderte Tausk. Zudem kritisierte sie wortgewandt die Politik der bürgerlichen Parteien, wie die Grazer Historikerin Brigitte Dorfer in ihrer Biografie "Die Lebensreise der Martha Tausk" (Studienverlag) ausführt.

Exponierte Kämpferin

Vor allem aber hatte sich Tausk dem Kampf für die Gleichstellung von Frauen verschrieben. Sie engagierte sich für die Einführung einer Sozialversicherung, in der Ehejahre wie Arbeitsjahre berücksichtigt werden sollten. Sie forderte die Aufhebung des Eheverbots für Lehrerinnen, das seit 1869 bestand und einen einzigen Zweck verfolgte: Frauen aus dem Beruf zu drängen. Und sie trat für eine so weitreichende Legalisierung der Abtreibung ein, dass sie auch unter Genossinnen auf Widerstand stieß: Denn anders als viele Mitstreiterinnen sprach sich Tausk für Schwangerschaftsabbruch ohne Fristen aus.

Von einer restriktiven Rechtslage seien in erster Linie Frauen in Armut betroffen, argumentierte Tausk. In großer Not würden Schwangerschaftsabbrüche oft als letzter Ausweg gesehen. Durch die Kriminalisierung seien sie größeren Gefahren ausgesetzt. "Kein Massengebären zum Massensterben, lieber weniger, aber gesunde Kinder", lautete Tausks Parole, die heftige Debatten auslöste.

Undatierte Aufnahme von Martha Tausk in Graz.
Foto: Rob Tausk

Dass Martha Tausk kein Problem damit hatte, sich zu exponieren, auch wenn ihr starker Gegenwind entgegenblies, stellte sie oft unter Beweis. "In meiner Erinnerung kannte meine Großmutter keinen Mittelweg. Sie folgte ihren Überzeugungen rigoros", sagt Rob Tausk im STANDARD-Gespräch. Der Enkel, heute selbst Großvater, lebt in den Niederlanden, wo Martha nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland Zuflucht gefunden hatte.

"Widerwärtiges Ganselgetue"

1881 als Martha Rosa Frisch in Wien geboren, kam sie schon früh mit fortschrittlichen Ideen und Protagonistinnen der Frauenbewegung in Berührung: Ihre aus Böhmen stammende Mutter Anna war im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein aktiv, ihr in Galizien geborener jüdischer Vater Moriz knüpfte als Buchdrucker Verbindungen zur Sozialdemokratie. Er war später sogar als Mitgesellschafter des Vorwärts-Verlags am Druck der "Arbeiterzeitung" beteiligt, in seinen frühen Jahren druckte er aber auch die ersten Ausgaben der "Fackel" von Karl Kraus.

Die Frischs legten großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder – nicht nur Marthas Brüder sollten nach Beendigung der Schulpflicht weiter unterrichtet werden. Der Zugang zu Gymnasien war Mädchen noch versperrt, von den Universitäten ganz zu schweigen. Marthas Besuch einer Höheren Töchterschule blieb nur von kurzer Dauer: "Das Milieu der adeligen und Offizierstöchter mit ihrem mir damals schon so widerwärtigen affektierten Ganselgetue war mir unerträglich", erinnerte sie sich später.

Lernen mit Lise Meitner

Als Martha 1897 von einem privaten Maturavorbereitungskurs für Mädchen hörte, den die befreundete Familie Meitner organisiert hatte, war sie Feuer und Flamme. Im selben Jahr wurden erstmals Frauen zum ordentlichen Studium an österreichischen Universitäten zugelassen. Die Eltern stimmten zu, und so verbrachte Martha ihre Vormittage bald im Privatunterricht mit einer gewissen Lise Meitner, die vier Jahrzehnte später mit der Entdeckung der Kernspaltung Physikgeschichte schreiben sollte.

Im Gegensatz zu Lise schlug Martha aber keinen akademischen Weg ein. Sie arbeitete in der Druckerei des Vaters mit und gab ihre studentischen Ambitionen schon nach der schriftlichen Maturaprüfung auf. Die Familien Frisch und Meitner blieben aber miteinander verbunden: 1902 heiratete Marthas Bruder Justinian Frisch die Schwester von Lise, Gusti Meitner. Der gemeinsame Sohn Otto Robert Frisch machte sich später, wie seine Tante Lise, als Physiker einen Namen.

Harte Jahre

Marthas Leben nahm bald eine große Wendung: 1900 heiratete sie gegen den Willen ihrer Eltern den Jusstudenten Viktor Tausk. Das junge Ehepaar übersiedelte nach Sarajevo, wo Viktor eine Anstellung erhielt und die beiden Söhne Marius und Hugo zur Welt kamen. Der Beziehung war kein Glück beschieden: Geldnot, Heimweh und Streitereien mit Viktor, der mit Beruf und Familienleben unzufrieden war und zu Depressionen neigte, prägten die nächsten, für Martha schweren, Jahre.

Martha Frisch war 19 Jahre alt, als sie den 21-jährigen Viktor Tausk heiratete. Die Ehe hielt nicht lange.
Foto: Rob Tausk

1905 kehrte die Familie zurück nach Wien, 1908 wurde die Ehe "aus dem Grunde der unüberwindlichen Abneigung einverständlich" geschieden. Viktor, der sich der Psychoanalyse zugewendet hatte und zum Kreis Sigmund Freuds zählte, war noch über Jahre ein dominanter Faktor in Marthas Leben. Während er an seiner Selbstverwirklichung arbeitete, blieb die Versorgung der Kinder an ihr hängen, auch finanziell.

Sprungbrett Steiermark

Martha Tausk engagierte sich zunehmend in der Sozialdemokratie. Besonders die Probleme anderer Frauen interessierten sie, in Diskussionen blühte sie auf. Bald war sie gut vernetzt und als hervorragende Rednerin bekannt. Sie befreundete sich mit Adelheid Popp, der ersten Berufspolitikerin des Landes, und Friedrich Adler, dem Sohn Victor Adlers, des Gründers der österreichischen Sozialdemokratie. Mit Friedrich Adler teilte sie die vehemente Ablehnung des Krieges. Adler erschoss im Oktober 1916 aus Protest gegen die Kriegspolitik den k. k. Ministerpräsidenten Graf Stürgkh und wurde zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt. Ein Jahrzehnt später spielte er eine wichtige Rolle in Tausks Laufbahn.

Eine Identitätskarte der k. k. Staatsbahnen von 1922 weist Martha Tausk als "steierm. Landtagsabgeordnete" aus.
Foto: Rob Tausk

Über Adelheid Popp kam Tausk mit den steirischen Sozialisten in Kontakt, die ihr 1918 eine Stelle im Parteisekretariat anboten. So erlebte sie das Ende des Weltkriegs als Parteifunktionärin in Graz – und wurde im Frühjahr 1919 Landtagsabgeordnete. Nur Monate später überschattete eine Tragödie den Erfolg: Im Sommer beging Viktor Tausk Suizid, für Martha und ihre Söhne war sein Tod ein schwerer Schlag. Halt gab ihr die politische Arbeit, sie engagierte sich auch verstärkt in der internationalen Arbeiterbewegung.

Engagiert im Exil

1927 wurde Tausk in den Bundesrat entsandt, war von der neuen Aufgabe in dieser "ganz sinnlosen, überflüssigen Körperschaft" aber wenig begeistert, wie sie schrieb. Ihr fehlten die Gestaltungsmöglichkeiten, die sie als Landespolitikerin zu schätzen gelernt hatte. Als Friedrich Adler ihr 1928 anbot, Frauensekretärin bei der Sozialistischen Arbeiterinternationale in Zürich zu werden, zögerte sie nicht. Dort gründete sie die überaus erfolgreiche Zeitschrift "Frauenrecht". Zentrale Themen waren die Legalisierung der Abtreibung und die Forderung nach einem Frauenwahlrecht in der Schweiz. Erleben sollte Tausk dessen Einführung aber nicht: Noch fast ein halbes Jahrhundert, bis 1971, blieben Schweizerinnen von Wahlen ausgeschlossen.

"Mein Glück war immer, dass die 'Kiberer' um ein klein wenig dümmer waren als ich – und dieses kleine bisschen genügte", schrieb Martha Tausk nach dem Krieg über ihre Begegnungen mit den NS-Behörden.
Foto: Rob Tausk

Entsetzt von den politischen Entwicklungen in Deutschland und Österreich kehrte Tausk 1935 nach Wien zurück und geriet ins Visier erst der austrofaschistischen, dann der nationalsozialistischen Behörden. 1939 gelang ihr "nach mancherlei Abenteuern mit der Gestapo unseligen Andenkens" die Flucht in die Niederlande, wo ihr Sohn Marius mit seiner Familie inzwischen lebte. "Während des Krieges hat sich auch hier die ‚Sicherheitspolizei‘ der Nazibesetzung für mich interessiert und mich einvernommen. Mein Glück war immer, dass die 'Kiberer' um ein klein wenig dümmer waren als ich – und dieses kleine bisschen genügte", erinnerte sie sich später.

Ein "zaches Luder"

Ihr Engagement für Politik, aber auch ihren Humor verlor Martha Tausk auch im Exil nicht. 1953 schrieb sie: "Mit 66 Jahren habe ich mir bei einem Autounfall einen Schädelbruch geholt. Mit 70 Jahren wurde ich wegen eines großen Gallensteins operiert. Jetzt bin ich 71, wieder gesund und arbeitsfroh, also bin ich wohl ein 'zaches Luder'."

Vier Jahre später starb Martha Tausk in einem Krankenhaus in Utrecht. Ihr Sohn Marius saß die letzten Stunden an ihrem Bett, und als er mit der traurigen Nachricht ihres Todes nach Hause kam, fragte ihn sein Sohn Rob: "Worüber habt ihr noch gesprochen?" Die Antwort erstaune ihn noch heute, sagt Rob Tausk. Aber es wäre nicht Martha Tausk gewesen, hätte sie sich nicht noch bis zuletzt mit Fragen der Politik beschäftigt. (David Rennert, 7.3.2022)