Bei den Rennen braucht es dabei großes Vertrauen zwischen dem Führenden (Matteo Fleischmann) und dem Geführten (Johannes Aigner).

Foto: GEPA pictures/ Patrick Steiner

Die Aigners und ihre Guides (v. li.: Veronika und Elisabeth Aigner, Klara Sykora, Barbara und Johannes Aigner, Matteo Fleischmann) haben bei allem Ehrgeiz den Schmäh nicht verloren.

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Von Gloggnitz nach Peking sind es 7519,66 Kilometer. Zum Semmering ist es näher. Dennoch haben es fast alle Mitglieder der Familie Aigner zu den am Freitag eröffneten Paralympics nach China geschafft. Die Zwillinge Johannes und Barbara (16), Veronika (19) und Elisabeth (23) starten allesamt, Mutter Petra ist Begleitperson, bei Vater Christian gab es Reiseprobleme, er kommt aber nach. Nur die älteste, Irmgard, ist nicht mit von der Partie.

Drei der fünf Aigner-Kinder haben eine Sehbehinderung, alle starten in den alpinen Skibewerben. Auch Mutter Petras Sicht ist beeinträchtigt. Die beiden ältesten Töchter Irmgard und Elisabeth haben keine Probleme mit dem Sehen. Die niederösterreichische Familie, die einen Reiterhof samt Landwirtschaft mit Direktvermarktung betreibt, investiert viel in den Sport.

Familienshow

Elisabeth, genannt Lisi, ist Guide für Veronika, genannt Vroni. Vroni war 2019 Österreichs Behindertensportlerin des Jahres. Bis zum 31. Jänner 2021 fuhr sie alles in Grund und Boden, verletzte sich dann aber schwer. Die Diagnose: Kreuzband, Seitenband und Meniskus in beiden Knien gerissen. Im Vorfeld zu den Paralympics erinnerte sie sich: "Wenigstens waren gleich beide Beine kaputt. So kann man beide gemeinsam wieder auftrainieren."

Austrian Paralympic Committee

Die Aigners sind eine Show, eine Familienshow. Da neckt man sich, eine Bemerkung da, ein kleiner Schubser dort. Beim Fototermin vor der Eröffnungsfeier in Peking gibt es das Kommando: "Alle bitte herschauen." Aus dem Pulk der Aigners kommentiert jemand: "Höhö." Alle lachen.

Der Erste, der ins paralympische Geschehen eingreifen konnte, war der Jüngste. Johannes wird Hansi genannt und holte bei seinem ersten paralympischen Auftritt am Samstag Gold in der Abfahrt. Gestartet wurde auch aus Spaß "an der Geschwindigkeit". Eigentlich ist Hansi nämlich Technikspezialist. Er ist gemeinsam mit dem 19-jährigen Matteo Fleischmann als Vorausfahrer unterwegs. Wer die beiden zusammen sieht, bemerkt schnell eine Verbindung, die über den Sport hinausgeht. Eine Freundschaft. Der Schmäh rennt, sie ziehen sich auf, ergänzen einander, erklären, vertiefen. Kein Bevormunden, kein Ausbessern.

Funk und Vertrauen

Hansi Aigner hat rund acht Prozent Sehvermögen. "Das ist, wie wenn du mit zugekniffenen Augen fährst. Für mich wäre das nichts", sagt Fleischmann. Seine Rolle als Guide besteht darin, den Geführten mittels Kommandos so schnell wie möglich den Berg runterzubringen. Dafür sind sie per Funk verbunden. Es ist eine Frage des Timings, der Abstand darf nicht zu groß werden. Wenn das passiert, ist das Rennen in den Speeddisziplinen vorbei. Denn: "Es ist zu gefährlich, ich kann ihn nicht im Blindflug runterlassen", sagt Fleischmann. Aigner orientiert sich an den Kommandos und auch optisch am Guide; der Fleck, Fleischmanns Shirt oder die Hose, gibt eine Richtung, er konzentriert sich "nur darauf". "Wo bist?", fragt er sich dann. "Wo bleibst?", fragt sich dafür manchmal Fleischmann. Aigner weiß das: "Es gibt schon Momente, in denen er merkt, dass mehr geht. Dann bremst er kurz und gibt gleich wieder Gas."

So kommunizieren sich die beiden den Hang hinunter. Fleischmann ist früher selbst Rennen gefahren, die Umstellung zum Guide war keine leichte. "Im Solo-Rennsport konzentriert man sich nur auf sich selbst. Und plötzlich muss man sich bei 100 km/h umdrehen und nach hinten schauen." Das Verhältnis zwischen Guide und Fahrer ist von ultimativem Vertrauen geprägt, Personalrochaden sind nicht so leicht. Als Fleischmann ein Monat zur Bundesheergrundausbildung musste, sprang Lisi als Guide ein. Hansis trockenes Fazit: "Es hat überhaupt nicht funktioniert."

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Keine Angaben oder neun Medaillen

Hansis Zwillingsschwester Barbara ist mit Klara Sykora, der Tochter von Ex-Slalomstar Thomas Sykora, unterwegs. Sie haben bei der WM in Lillehammer ihre Schnelligkeit bewiesen: Gold im Riesentorlauf. Auch hier ist das Vertrauen die Basis des Erfolgs. Familienintern gibt man einander Halt.

Was sind die Medaillenerwartungen der Aigners? "Wir machen keine Angaben", sagt Barbara. Die Aigners starten in insgesamt neun Disziplinen. Aus der Familientraube ergänzt jemand: "Neun wären möglich." Alle lachen. (Andreas Hagenauer, 4.3.2022)