2018 tanzte Wladimir Putin – als privater Gast – auf der Hochzeit von Karin Kneissl. Als Außenministerin begegnete sie dem russischen Präsidenten aber öfter, etwa im Mai 2019 in Sotschi.

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Was es heißt, das eigene Land über Nacht verlassen zu müssen, wird dieser Tage auf dramatische Weise deutlich: Frauen und Kinder, die nach tagelangen Märschen oder Autofahrten traurig, erschöpft und wütend an den Grenzen der Ukraine ankommen, wo sie sich von Vätern, Ehemännern oder Freunden verabschieden müssen. In ihren Händen nur das Nötigste: das Lieblingsstofftier, ein hastig gepackter Koffer und natürlich die wichtigsten Dokumente.

"Flucht" in die Provence

Am Montagabend wurden deswegen wohl viele hellhörig, als sich auch die ehemalige Außenminister Karin Kneissl als Flüchtling outete – erzählt hat sie das dem deutschen Fernsehsender RTL, der sie in ihrem Haus in Südfrankreich besuchte. Mit österreichischen Medien spricht Kneissl nicht. Aus Österreich sei sie nicht freiwillig weggegangen, "ich musste flüchten". Der Grund: Es gebe dort ein "De-facto-Arbeitsverbot" für sie und viele Anfeindungen.

Aufsichtsratsposten als Ausweg

Kneissl – die über Österreichs Grenzen hinaus vor allem wegen ihrer Hochzeit bekannt wurde, auf der sie sich vor Wladimir Putin tief verbeugte und mit ihm Walzer tanzte – blieb also scheinbar nichts anderes übrig, als in den Aufsichtsrat des russischen Mineralölkonzerns Rosneft zu wechseln. Ihre Gage soll Medienberichten zufolge etwa 500.000 Euro im Jahr betragen. Laut Kneissl stimmt das nicht. "Was ich beziehen werde – und bislang habe ich null Cent erhalten – wird erst auf Basis eines Beschlusses nach Ablauf des Mandats festgesetzt. Ich kenne den Betrag nicht", schrieb sie dem ORF-Moderator Martin Thür. Die ehemalige Ministerin, die in einem Haus in Südfrankreich sitzt, spricht dennoch von einem "vernichteten Leben" – weil so viel Druck auf sie ausgeübt werde, ihren Job bei Rosneft an den Nagel zu hängen. Laut Kneissl kommt das ganz und gar nicht infrage.

Verständnis für Putin

Noch Ende Februar verteidigte Kneissl im russischen Staatsfernsehen das Vorgehen Russlands gegenüber der Ukraine als "minimalste Form der Eskalation". Auch Drohnenangriffe im Irak oder in Afghanistan würden zu Leid führen, sagte sie gegenüber RTL. Und: "Es gibt keine Flugverbindungen mehr aus dem europäischen und dem nordamerikanischen Raum. Das sind schon gewaltige Sanktionen." Kneissl, die vor ihrem Wechsel in die Politik – sie wurde von der FPÖ Ende 2017 nominiert – Diplomatin war, hat an verschiedenen Universitäten gelehrt und auch als freie Journalistin gearbeitet. Zu den mittlerweile Millionen Geflüchteten aus der Ukraine, vor allem Frauen und Kinder, sagte sie nichts. Kneissl wohnt mit ihren Hunden in der Nähe von Avignon, mit ihrem Mann ist sie nicht mehr zusammen. Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Hochzeit 2018 kosteten den und die Steuerzahlerin übrigens mehr als 220.000 Euro.

2015 "testosterongesteuerte" Flüchtlinge

Geflüchtete, die ab 2015 in Europa ankamen, bezeichnete Kneissl damals als "testorsterongesteuert". Es handle sich größtenteils um Wirtschaftsflüchtlinge. Mitverantwortlich für die Aufstände und Revolten in der arabischen Welt seien die vielen jungen Männer gewesen, "die heute nicht mehr zu einer Frau kommen", weil sie weder Arbeit noch eine eigene Wohnung hätten und somit keinen "Status als Mann in einer traditionellen Gesellschaft" erreichen könnten.

Die aktuellen Aussagen über ihre "Flucht" sorgen in sozialen Netzwerken bereits für zahlreiche Reaktionen – Verständnis ist dabei meist nicht vorhanden.

Rätsel um Gage

"ZiB2"-Anchor Armin Wolf war ob der Begründung Kneissls, sie wisse noch nicht, was sie bei Rosneft verdiene, verwundert und sah sich deswegen den Geschäftsbericht 2020 an. Dem zufolge bekomme jedes Mitglied des Board of Directors ein Basishonorar von 500.000 US-Dollar und 30.000 Dollar zusätzlich für jeden Ausschuss. Kneissl gehört zwei Ausschüssen an.

Wolfs Kollege Thür schrieb dann auf Twitter noch, Kneissl habe ihn ausdrücklich gebeten zu veröffentlichen, dass sie monatlich von 1200 Euro lebe. "Keine staatliche Flüchtlingsbetreuung" sondern sie verdiene das mit Unterricht und Schreiben. (Lara Hagen, 8.3.2022)