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Wie wird es in Russland und in der Ukraine weitergehen?

Foto: AP/Mikhail Klimentyev

Seit knapp zwei Wochen beschäftigt der russische Angriff auf die Ukraine die Welt. Viele offene Fragen und auch Unsicherheiten tauchen auf. Daher werden Expertinnen und Experten der Universität Innsbruck auf ausgewählte Postings aus der STANDARD-Community eingehen.

Der Wirtschaftsforscher Jürgen Huber, die Religionssoziologin Kristina Stoeckl, der katholische Theologe und Liturgiewissenschafter Liborius Lumma und der Rechtswissenschafter Matthias C. Kettemann gehen auf die Fragen rund um die Inflation, die Position des Patriarchen Kyrill und die Auswirkungen der Internetdienst-Sperren ein.

Jürgen Huber: Ja, in der Tat ist ein Verfall des Werts des Rubel innen (Inflation) wie außen (Wechselkurs) denkbar beziehungsweise sogar wahrscheinlich. Der Wechselkurs des Rubel hat gegenüber Euro und Dollar bereits fast die Hälfte an Wert verloren. Das bedeutet auch, dass für alle Importe in Zukunft deutlich mehr Rubel bezahlt werden müssen, was die Inflation steigert. Auch ist es wahrscheinlich, dass die Produktion von Gütern in Russland eher sinkt, während mehr Geld gedruckt wird, um den Krieg zu finanzieren – auch das führt zu höherer Inflation. Historisch haben größere Kriege fast immer zu Inflation geführt, und das erwarte ich auch in diesem Krieg – umso mehr, je länger der Krieg dauert.

Die Rolle der orthodoxen Kirchen

Kristina Stoeckl: Patriarch Kyrill hat sich in der Tat voll auf die Seite Putins gestellt und diese Haltung in der Predigt vom Sonntag sogar noch einmal verstärkt. Es gibt aber durchaus kritische Stimmen innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche. Vergangene Woche haben kritische Priester eine Petition ins Internet gestellt, in der sie sich gegen den Krieg aussprechen. Diese Petition wurde von knapp 300 Personen unterzeichnet. Allerdings ist sie ein "weicher" Text, der sich an die staatliche Sprachregelung hält und weder den Krieg, noch die Invasion, noch die Verantwortlichen klar benennt. Kritik kommt vor allem von den Priestern und Bischöfen der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die, obwohl in der Ukraine gelegen, zum Patriarchat von Moskau gehören. Seit vergangener Woche haben viele Bischöfe und Priester bekanntgegeben, dass sie Patriarch Kyrill fortan nicht mehr in der Liturgie nennen werden. Das kommt einem Bruch mit dem Moskauer Patriarchat gleich. Die Reaktionen der Patriarchen der anderen orthodoxen Kirchen sind gemischt ausgefallen, sie spiegeln die Gespaltenheit der orthodoxen Welt und die Machtverhältnisse zwischen Moskau und dem Patriarchat von Konstantinopel. Die Kirchenoberhäupter der orthodoxen Kirchen von Bulgarien, Serbien, Georgien und Jerusalem haben einfach nur generell für "Frieden" gebetet, ohne den verantwortlichen Aggressor zu nennen. Die Vertreter der orthodoxen Kirchen von Rumänien und Finnland sowie der orthodoxen Kirche Amerikas haben hingegen die Rolle Putins in diesem Krieg deutlich kritisiert. Die Kritik mit dem größten Nachdruck kam, wenig überraschend, von der orthodoxen Kirche Griechenlands und dem Ökumenischen Patriarchat, welchem ja auch die orthodoxe Kirche der Ukraine seit 2018 untersteht.

Liborius Lumma: Eine kleine Zahl russisch-orthodoxer Priester, Theologinnen und Theologen hat den Überfall auf die Ukraine und die damit verbundenen Äußerungen von Patriarch Kyrill scharf verurteilt. Kyrill allerdings hat wenige Tage nach Kriegsbeginn in seiner Predigt zu Beginn der orthodoxen Fastenzeit in verstörender Rhetorik Öl ins Feuer gegossen und die Idee der Abwehr der "Tyrannei des Westens" noch einmal vertieft. Die orthodoxen Kirchenleitungen aus Konstantinopel, Griechenland, Rumänien, Finnland und den USA (die letzten beiden mit engen historischen Verbindungen zu Russland) haben schon in den ersten Kriegstagen klar gegen die russische Invasion Stellung bezogen. Andere haben es bei vage gehaltenen Aufforderungen zum Frieden zwischen den "Brudervölkern" belassen, ohne den Aggressor beim Namen zu nennen. Mehrere Bischöfe des ukrainischen Teils der russisch-orthodoxen Kirche haben aufgehört, Patriarch Kyrill im Gottesdienst namentlich zu erwähnen: eine rituelle Aufkündigung der Gemeinschaft, die im säkularen Bereich vielleicht dem Umstürzen von Denkmälern oder dem Umbenennen von Straßen vergleichbar ist. Der Leiter der anderen – von Russland unabhängigen – orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epifanij, soll laut Geheimdienstberichten weit oben auf den Todeslisten Putins stehen. Einen Überblick über die Reaktionen aus den ersten Kriegstagen gibt dieser Artikel des orthodoxen Theologen George Demacopoulos.

Kommunikationssperren

Im letzten Teil des Postings von "kawaii :3" geht es um die Frage der Auswirkungen der Internetdienst-Sperren, die vom Experten für Internetrecht und Kommunikation beantwortet wird.

Matthias C. Kettemann: Wir sehen hier eine in dieser Schnelligkeit und Schärfe noch nie da gewesene Entkopplung des russischen vom internationalen Kommunikationsraum. Russische Bürgerinnen und Bürger wachen in einer kommunikationsärmeren Welt auf. Internationale Konzerne ziehen sich zurück, weil sie Sanktionen gegen sich durch den russischen Staat fürchten und weil sie um ihre Nutzerinnen und Nutzer Angst haben. Putins Fake-News-Gesetz ist klar menschenrechtswidrig und eine Fortführung des Informationskriegs mit anderen Mitteln. Russland ist global gesehen in der "Infosphäre" unterlegen; der Kreml hat den authentischen Bildern und schockierenden Videos aus der Ukraine nichts entgegenzusetzen. Die informationelle Selbstverteidigung der Ukraine ist geglückt und hat auch dazu geführt, dass nach außen russische Staatsmedien verboten wurden (durch die EU) oder einfach aus dem Programm oder von den Plattformen genommen wurden. Nach innen zieht Putin jetzt die Brücken hoch.

Ihre Fragen zur Ukraine und zu Russland

Was beschäftigt Sie rund um den Krieg in Europa? Welche Fragen haben Sie an die Expertinnen und Experten der Uni Innsbruck? Posten Sie im Forum! Ausgewählte Fragen aus dem Forum werden beantwortet. (Judith Wohlgemuth, 9.3.2022)