Käthe Leichter ist eine der Pionierinnen der österreichischen Frauenbewegung und heute doch eine fast Unbekannte. Ein Preis, eine Gasse und eine Wohnhausanlage in Wien tragen ihren Namen, von ihren Verdiensten weiß man wenig. Geboren wird sie 1895 als Marianne Katharina Pick in ein gutsituiertes jüdisches Elternhaus, ihr Vater ist Rechtsanwalt.

Käthe Leichter mit Otto Leichter und ihren Söhnen Heinz und Franz.
Foto: Archiv Franz Leichter

Schon in ihrer Kindheit richtet sie ihr Augenmerk auf jene, die weniger privilegiert leben als sie "von der Protzenfamilie am Rudolfsplatz", wie ihr ein Gassenbub einmal nachruft. Sie erkämpft sich die Zulassung zur Universität und studiert Staatswissenschaften. Zum Entsetzen ihrer Mutter arbeitet sie daneben als Kindererzieherin auf der Krim, dem Armenviertel am Rand von Döbling, wo das sogenannte "Lumpenproletariat" lebt, im Volksmund "die Krimineser" genannt. Eine Welt, die in die der Herrschaften und die der Dienstboten zerfällt. "Die Kinder waren besser dran als die Favoritens oder Ottakrings, weil sie dem Wienerwald näher waren und bessere Luft hatten", schreibt Leichter später in ihren Lebenserinnerungen.

"Schlechter dran, weil sie nichts von der Solidarität und Selbsthilfe anderer Proletarierbezirke zu spüren bekamen. Jeder war sich und seinem Elend selbst überlassen." Zum ersten Mal kommt die junge Käthe mit Heimarbeiterinnen in Berührung, die oft allein die Familie erhalten, weil die Männer arbeitslos geworden sind. In den Elendsbehausungen stellt die Nähmaschine das einzige Kapital der Familie dar. Von vier Uhr morgens bis Mitternacht nähen die Frauen, Hemden um 20 Heller das Stück, und können doch damit kaum das Essen zum Überleben verdienen. Die Eindrücke, die Leichter in dieser Zeit sammelt, prägen sie für ihr Leben.

Eigene Frauenabteilung in der Arbeiterkammer

Sie beendet ihr Studium an der Universität Heidelberg – für Frauen ist die Promotion an der Wiener Universität damals nicht möglich – , schließt sich nach dem Krieg der Räterepublik an und wird 1919 wissenschaftliche Mitarbeiterin von Otto Bauer in der Staatskommission für Sozialisierung. 1921 heiratet sie den sozialdemokratischen Journalisten Otto Leichter und bekommt zwei Söhne, Heinz und Franz.

Zur Frauenbewegung dieser Zeit findet Käthe Leichter keinen Zugang, sie möchte selbst in die Fabriken gehen und direkten Kontakt mit den Arbeiterinnen bekommen. In der Arbeiterkammer baut sie eine eigene Frauenabteilung auf, um der Ungleichbehandlung der Frauen entgegenzutreten. Denn selbst der ausgebeutetste Arbeiter hat mehr Rechte und mehr Anspruch auf Ruhe als die Arbeiterfrau, auf der neben der Lohnarbeit alle Pflichten für die Familie lasten, hält sie fest. 1930 veröffentlicht Käthe Leichter das bahnbrechende und bis heute gültige "Handbuch der Frau", zwei Jahre darauf "So leben wir", die Berichte von 1320 Industriearbeiterinnen.

Leichter auf einer Demonstration.
Foto: Archiv Franz Leichter

"Es ist die große Bedürfnislosigkeit der Frau, ihre geringe Selbsteinschätzung, ihre Überlastung mit außerberuflicher Arbeit, es ist die Tatsache, dass sie im Beruf nicht im selben Maße wie der Mann ihr Lebensschicksal sieht, es ist das Überangebot an ungelernten weiblichen Arbeitskräften, ihre leichte Ersetzbarkeit, es ist die Art ihrer Berufswahl und Berufsausbildung, die die Arbeit der Frau, auch dort, wo sie Gleiches leistet, geringer einschätzen lässt als die des Mannes."

"Alles ist genau so, wie es die Frau Doktor sagt"

Ihre öffentlichen Auftritte vor Fabriksarbeiterinnen werden anfangs skeptisch betrachtet – was soll eine Frau Doktor schon von den Sorgen einer Metallarbeiterin, von dem Kampf im Betrieb, wo Frauenarbeit von den Männern als Konkurrenz gesehen wird, wissen? Rosa Jochmann, damals Hilfsarbeiterin bei der Firma Auer, die Glühstrümpfe erzeugt, beschreibt ihre erste Begegnung mit Käthe Leichter. "Alles ist genau so, wie es die Frau Doktor sagt. Käthe half uns, unsere Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden, mitzureden und mitzudenken."

Bis 1934 arbeitet Leichter im Frauenzentralkomitee der Sozialdemokraten und als Bezirksrätin. Nach den Februarkämpfen flüchtet sie mit ihrer Familie in die Schweiz und schließt sich den revolutionären Sozialisten an. Im September 1934 kehren die Leichters zurück nach Wien und arbeiten im Untergrund weiter. Ihr Haus in Wien-Mauer wird zum Treffpunkt der verbotenen Arbeiterbewegung.

1938 zögert Käthe Leichter, mit ihrem Mann das Land zu verlassen. Sie will das Feld nicht für die Nazis räumen: "Glaubt ihr, ich laufe vor den Lumpen davon!" Auch die Sorge um ihre Mutter hält sie davon ab.

Leichter als Erzieherin auf der Krim.
Foto: Archiv Franz Leichter

Hans Pav, ein persönlicher Freund der Familie, verrät sie an die Gestapo. Die Gestapo-Beamten warten in der Wohnung ihrer Mutter, als Käthe anruft, drohen sie, die Mutter, mitzunehmen, wenn sie nicht sofort erscheine. Wegen des "Verdachtes des Verbrechens der Vorbereitung zum Hochverrat" kommt sie in Gestapo-Haft. In der Haft schreibt sie ihre Lebenserinnerungen, die Blatt für Blatt heimlich aus dem Gefängnis geschmuggelt werden.

Käthe Leichters Mutter Lotte begeht Selbstmord. Leichters Kindern, dem 14-jährigen Heinz und dem achtjährigen Franz, gelingt mithilfe von Freunden die Flucht in die Schweiz zu ihrem Vater.

Trost und Stütze

Am 14. Oktober 1939 findet die Hauptverhandlung im Wiener Landesgericht statt. Die Gefängnisstrafe ist durch die Vorhaft bereits verbüßt. Als Folge ihrer Verurteilung erkennt ihr die Universität Heidelberg ihren Doktortitel ab. Bis zuletzt hofft Otto Leichter, sie freizubekommen, doch alle internationalen Interventionen scheitern. Sein Buch "Briefe ohne Antwort" gibt ein bewegendes Zeugnis seiner Hoffnungen und Ängste, Briefe, die er und die Söhne schreiben, ohne zu wissen, ob sie Käthe je erreichen. 1940 wird Käthe Leichter in das Frauen-KZ Ravensbrück überstellt.

In Ravensbrück finden sich viele ihrer früheren Mitstreiterinnen, darunter auch Rosa Jochmann. Sie erinnert sich an ihre Freundin Käthe als nicht zu beugende, mutige und humorvolle Frau, die ihren Mithäftlingen Trost und Stütze bietet und den Lebensmut nicht verliert, selbst als sie im Straßenbau Schwerarbeit leisten muss. Sie verfasst ein Theaterstück mit Spottliedern über die SS, das heimlich im Judenblock aufgeführt, dann aber schnell wieder vernichtet wird. Auch ihre Gedichte schreibt sie nicht auf. Sie habe alle auswendig im Kopf und könne sie später, wieder zu Hause, immer noch aufschreiben, meint sie.

Im Jänner 1942 erscheint eine Ärztekommission in Ravensbrück und wählt die Jüdinnen unter den Gefangenen aus, um sie in ein anderes Lager zu überführen. Bis zuletzt bleibt Käthe gelassen, sie verspricht, wenn möglich, eine Nachricht zu schicken. Zwei Wochen später kommen die Häftlingskleider zurück, die Kameradinnen erkennen, was sie Käthe mitgegeben haben, warme Socken und einen Schal, und finden einen Zettel darunter: "Alles gut bisher, überall gut behandelt, fahren durch Dessau ..." Ihr letztes Lebenszeichen.

Im März 1942 wird Käthe Leichter in der NS-Tötungsanstalt Bernburg an der Saale im Zuge der sogenannten Aktion 14f13 mit Giftgas ermordet.

2013 erhält sie auf Verlangen ihres jüngeren Sohnes Franz Leichter von der Universität Heidelberg ihre Doktorwürde zurück.

"Kochherd, Waschtrog, Heimarbeit. Die bessere Welt der Käthe Leichter".

Ein einziges Gedicht Käthe Leichters ist nicht verlorengegangen, ihre Lagerkameradin Viktoria Mühl hat es aus dem Gedächtnis aufgezeichnet. Die letzte Strophe lautet:

"O Bruder, einmal kommt ein Morgen, wo uns kein Appell mehr hält,

Wo weit offen die Tore, und vor uns liegt die große, die freie Welt,

Und dann werden wir KZler auf der breiten Straße wandern,

Draußen stehn die Befreier, auf uns warten schon die andern,

und wer uns sieht, sieht die Furchen, die das Leid uns ins Antlitz geschrieben,

Sieht Spuren von Körper- und Seelenqual, die uns als Mal geblieben.

Und wer uns sieht, sieht den Zorn, der hell in den Augen blitzt,

Sieht den jauchzenden Freiheitsjubel, der ganz unsere Herzen besitzt.

Und dann reihen wir uns ein in die letzte große Kolonne,

Dann heißt es zum letztenmal "Vorwärts, marsch – doch jetzt führt der Weg

zum Licht und zur Sonne.

O Bruder, siehst du gleich mir diesen Tag, du musst doch denken, er kommt

bald –

Und dann ziehen wir, ich aus Ravensbrück, du aus Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald."