Flüsse und andere Wasserläufe garantieren die Versorgung mit Trinkwasser und Nahrung und wirken auf die Regulierung des lokalen Klimas ein.

Foto: Uni Innsbruck / Gabriel Singer

Flüsse sind hochkomplexe Systeme. Sie werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst: Das reicht vom Wasserstand über die Zusammensetzung ihrer Flora und Fauna bis zum Zustand der Landschaft, die sie durchlaufen und dabei entwässern. Forschende der Universität Innsbruck forschen mit finanzieller Unterstützung durch die EU an den Zusammenhängen all dieser Parameter mit dem Klimawandel.

Der Gewässerökologe Gabriel Singer vom Department für Ökologie der Universität Innsbruck beschäftigt sich seit Jahren mit den Wechselwirkungen zwischen Fließgewässern, ihren Bewohnern und ihrem Umland sowie deren Abhängigkeiten von und Auswirkungen auf uns Menschen. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Kohlenstoffflüssen: Da Kohlenstoff in jeder organischen Verbindung vorkommt, wird er beim Abbau von Biomasse wieder frei.

Globaler Kohlenstoffkreislauf

Im Wasser sind das vor allem Blätter und andere Pflanzenteile sowie zum Teil auch Humus aus dem Boden. Diese werden von einem Heer verschiedenster Mikroorganismen und wirbelloser Tiere abgebaut. Ein Teil des Kohlenstoffs dient dem Aufbau neuer Biomasse, aber das meiste wird frei und gelangt in die Atmosphäre, vorwiegend als CO2, teilweise auch als Methan. Geschätzte drei bis vier Gigatonnen davon treten weltweit jährlich aus Flüssen und Bächen aus.

Zum Vergleich: Der Verbrauch fossiler Brennstoffe setzt pro Jahr circa neun Gigatonnen frei. Es handelt sich also durchaus um eine im globalen Kohlenstoffkreislauf zu berücksichtigende Größe, wie Singer betont. Seit 2017 untersucht er im Rahmen eines vom europäischen Forschungsrat European Research Council (ERC) geförderten Projekts die Faktoren hinter Treibhausgasemissionen aus Flüssen und Bächen.

Einschnitte im Flusslauf

Dabei legen er und seine Gruppe das Hauptaugenmerk darauf, dass Flüsse und Bäche nicht nur langgestreckte Lebensräume, sondern Teil eines verzweigten Flussnetzwerks sind. Singer sagt: "Einerseits ist das organische Material in den Gewässern biochemisch sehr unterschiedlich und kann nicht von jedem potenziellen Zersetzer abgebaut werden, andererseits hat jeder Bach seine eigene Bakterien- und Wirbellosengemeinschaft."

Vor allem aber hat man es in den meisten Ländern Europas mit stark gestörten und fragmentierten Flussnetzwerken zu tun, in erster Linie durch die zahlreichen Wasserkraftwerke, die auch an vielen kleinen Bächen und Flüssen zu finden sind. Und lokale Beeinträchtigungen können weitreichende Auswirkungen haben, wie Singer zu bedenken gibt. Die Zusammenhänge zwischen der Artenvielfalt in Fließgewässern und den chemischen Eigenschaften des abzubauenden Materials sind bisher kaum erforscht.

"In der Biogeochemie hat man sich nie besonders für die Vielfalt der Organismen interessiert und in der Ökologie wenig für deren Stoffumsatz", sagt Singer. Er und seine Gruppe versuchen nun, diese zwei Disziplinen besser zusammenzubringen, um die Zusammenhänge von Biodiversität und Stoffflüssen im Gewässer und die resultierenden Treibhausgas-Emissionen besser zu verstehen.

Ganzheitliche Sicht

Idyllische Arbeitsstätte: Die Shushica im Süden Albaniens.
Foto: Gabriel Singer

Zu diesem Zweck haben die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher bereits die heimischen Flussnetzwerke Ybbs und Kamp untersucht, die Thur in der Schweiz und die noch weitgehend naturbelassene Vjosa in Albanien, aber mit dem Mara-Fluss in Kenia und dem Elk River in den USA auch exotischere Gewässer. Weitere Erhebungen sind an der Neretva in Bosnien geplant. In Kombination mit Laborversuchen und Computersimulationen sollen sich letztlich die Regeln zeigen, die dem biogeochemischen Geschehen in Flussnetzwerken zugrunde liegen.

Ebenfalls mit einer möglichst ganzheitlichen Sicht auf Fließgewässer arbeiten 25 Expertinnen und Experten aus elf Ländern, darunter auch Singer, an einem EU-Projekt mit dem Titel Dryver. Dieser steht für "Securing biodiversity, functional integrity and ecosytem functioning in DRYing riVER networks". Der Name ist Programm: Im Zuge des Klimawandels wird es nämlich vermehrt zu Dürreperioden kommen.

Gleichzeitig entziehen menschliche Eingriffe, wie Entnahmen und Stauhaltungen von Wasser, Fließgewässern zusehends den Lebensstoff. Unter diesen Umständen ist damit zu rechnen, dass immer mehr Flüsse zumindest phasenweise austrocknen. Schon jetzt hat mehr als die Hälfte aller Flussnetzwerke weltweit Abschnitte, die zumindest zeitweise trockenfallen, und die Tendenz ist – auch in Europa – steigend. Diese Entwicklung gefährdet ökologische Funktionen der Gewässer, von denen auch wir Menschen abhängen.

Lebensadern erhalten

Das Untersuchungsgebiet der Forschenden am Mara-Fluss in Kenia.
Foto: Gabriel Singer

Im Rahmen von Dryver werden an sechs europäischen und drei südamerikanischen Flüssen Basisparameter erhoben, wie etwa Abbauprozesse bei verschiedenen Wasserständen. Singer führt mit seinem Team Messungen an einem ungarischen und einem kroatischen Flussnetzwerk durch. Dabei werden der organische Kohlenstoff im Wasser und der Energieumsatz der Wasserorganismen vor, während und nach Trockenperioden gemessen.

Die erhobenen Daten dienen als Basis für die Modellierung von Kohlenstoffflüssen bei unterschiedlichen Klimabedingungen und sollen Empfehlungen ermöglichen, mit denen Biodiversität und Ökosystemleistungen der Flüsse aufrechterhalten werden können.

Bei aller wissenschaftlich strikten Methodik sieht Singer die Natur jedoch nicht nur als Lieferant bestimmter Leistungen für uns Menschen. Vielmehr plädiert er dafür, den "Wert der Wildnis" anzuerkennen. Eine wesentliche Herausforderung für die Zukunft sieht er dabei vor allem in Renaturierungen. (Susanne Strnadl, 15.3.2022)