Anhänger des konservativen Kandidaten Yoon Suk-yeol ...

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... und seines liberalen Gegners Lee Jae-myung bei Abschlusskundgebungen in Seoul.

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Krisen gibt es überall, nicht zuletzt in der ostasiatischen Region: Nordkorea könnte an einem neuen Atomtest arbeiten, Nachbar Russland eskaliert in der Ukraine, Chinas Rolle in alldem ist unklar. Wenn also am Mittwoch in Südkorea ein neuer Präsident gewählt wird, steht womöglich viel auf dem Spiel.

Der Wahlkampf wurde trotzdem so unernst und emotional geführt wie schon lange nicht. Zwei Tage bevor am Mittwoch das Ergebnis der Präsidentenwahl feststehen wird, gab es noch einmal unschöne Szenen. In mehreren Wahllokalen wurden Unregelmäßigkeiten beobachtet, als Covid-19-Inifizierte nicht in die extra für sie eingerichteten Wahllokale vorgelassen wurden und einige sogar schon gebrauchte Stimmzettel vorgelegt bekamen.

In Seoul gab es gar einen Angriff auf den Chef der regierenden Demokratischen Partei, Song Young-gil. Kamerabilder zeigen, wie hinter dem Politiker eine Person in traditioneller koreanischer Kleidung erscheint und beginnt, ihm mehrfach mit einem Hammer auf den Kopf zu schlagen. Song soll sich danach in stabilem Zustand befunden haben, der Angreifer wurde festgenommen.

Enges Rennen

Song war auch Kampagnenmanager für einen der beiden Favoriten: Lee Jae-myung, der mit teils linken, teils populistischen Parolen um eine Fortsetzung des innenpolitischen Kurses von Amtsinhaber Moon Jae-in wirbt. Moon, der vor allem für seine Annäherungspolitik an Nordkorea bekannt ist, darf laut Verfassung kein zweites Mal antreten. Ob er noch einmal gewinnen würde, ist aber ohnehin fraglich, denn seine Zustimmungswerte sind gering. Das färbt auch auf Lee ab, der im Wahlkampf mit massivem Gegenwind kämpfte. Umfragen hatten zuletzt den Konservativen Yoon Suk-yeol leicht vorne gesehen. Glaubwürdige Hochrechnungen sind für Mittwoch zu erwarten.

Die Herzen der Menschen waren aber keinem der beiden Frontrunner zugeflogen. Der von Skandalen und Beschimpfungen überschattete Wahlkampf hat viele eher zum Abschalten bewogen. Die meisten Südkoreanerinnen und Südkoreaner, so sagt die Demoskopie, sind vor allem mit dem raschen Preisanstieg, den kaum leistbaren Wohnungen in den großen Städten und den geringen Chancen für gut ausgebildete junge Menschen unzufrieden.

Skandale und Schamanen

Lee hatte deshalb mit einem Grundeinkommen geworben und mit einer stärkeren Rolle des Staates beim Wohnbau. Nicht viele haben diese Versprechen geglaubt – immerhin sitzt Lees Demokratische Partei schon seit 2017 an den Hebeln der Macht, ohne die Situation maßgeblich verbessert zu haben. Zudem plagten ihn eine Reihe von Skandalen. Unter anderem geht es dabei um mögliche Vorteilsnahme seiner Frau und eine Affäre um Grundspekulationen unter seiner Aufsicht, deren Aufklärung durch eine Reihe von Suiziden erschwert wird.

Yoon wiederum setzt auf die Wechselstimmung und auf marktwirtschaftliche Lösungen für die aktuellen Krisen. Er ist Quereinsteiger, erst im vergangenen Sommer wechselte er von der Staatsanwaltschaft in die Politik. Zuvor war er Teil eines Ermittlungsteams gewesen, das unter anderem jene Affären aufdeckte, die zum Rücktritt der konservativen Präsidentin Park Geun-hye geführt hatten. Park war unter anderem Korruption rund um den ungebührlichen Einfluss einer engen Freundin und Schamanin auf ihre Politik vorgeworfen worden.

Ungünstig für Yoon war daher, als im Zuge des Wahlkampfs bekannt wurde, dass auch er und seine Familie engen Kontakt zu Schamanen pflegen. Entsprechende Vorwürfe der Demokraten verstummten erst, als bekannt wurde, dass auch deren politisches Personal bei Treffen Yoons mit Geistheilern anwesend gewesen sein soll. Späten Rückenwind erhielt er, als der unabhängige Kandidat Ahn Cheol-soo sich am Wochenende zurückzog und seine Anhängerinnen und Anhänger zur Wahl Yoons aufrief.

Außenpolitisch geringe Unterschiede

Außenpolitisch unterscheidet die beiden Kandidaten relativ wenig. Yoon setzt etwas mehr als Lee auf die Kooperation mit den USA, beide aber wollen auch ein gutes Verhältnis zu China pflegen. Über den aktuellen Ukraine-Konflikt sind sie eher gestolpert: Lee, als er Yoons politische Unerfahrenheit mit jener des Quereinsteigers Wolodymyr Selenskyj verglich und dies unvorteilhaft meinte. Und Yoon, als er in Reaktion auf den russischen Einmarsch in sozialen Medien das Foto einer Mandarine mit aufgemaltem ärgerlichem Gesicht postete. Bezug nehmen wollte er damit auf die demokratische Orange Revolution in der Ukraine von 2004. Später löschte er sein Posting wieder.

Zentral dürfte für den Wahlsieger aber ohnehin nicht die Ukraine, sondern erneut Nordkorea werden. Der schwer bewaffnete totalitär-kommunistische Nachbar hat zuletzt häufig von sich hören lassen. Von der Ukraine-Krise überschattet, testete das Land in der vergangenen Woche gleich zwei Raketen, am Dienstag nahm die südkoreanische Marine vorübergehend gar die Besatzung eines angeblichen Fischkutters fest, der in die eigenen Hoheitsgewässer eingefahren sei. Weil an Bord auch mehrere Uniformierte waren, stellen sich einige Fragen, die Südkorea vor einer Rücküberstellung der Festgenommenen klären will.

Bewegung auf Atomtestgelände

Vor allem aber hat Machthaber Kim Jong-un mehrfach anklingen lassen, dass er sich nicht mehr an das Moratorium für Atomwaffentests gebunden fühlt, das er 2018 einseitig dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump angeboten hatte. Anfang März haben Fachleute des US-Netzwerks Arms Control Wonk auf Satellitenaufnahmen Bewegung auf dem früheren Atomtestgelände Punggye-ri ausgemacht. Dieses war 2018 im Zuge der Annäherung vor den Augen internationaler Journalistinnen und Journalisten gesprengt worden. Allerdings ist nicht klar, wie tiefgreifend die Schäden an den Tunnelanlagen wirklich waren. Nun ist dort Wiederaufbau zu beobachten. Man geht allerdings davon aus, dass bis zur Einsatzfähigkeit noch Monate vergehen würden.

Der Analyst Ankit Panda äußerte via Twitter die Vermutung, Kim könnte den Test eines taktischen Atomsprengkopfs vorantreiben. Ein solcher verfügt, anders als strategische Nuklearwaffen, über eine relativ geringe Sprengkraft. Er könnte theoretisch auch auf dem Schlachtfeld in einem konventionellen Krieg eingesetzt werden. Nordkorea verfügt bisher nicht über einen solchen Sprengkopf, allerdings hat Kim im Vorjahr dessen Bau vorgeschlagen.

Dass die Welt derzeit vom Ukraine-Krieg abgelenkt ist, könnte Kim als Ermunterung für weitere Aufrüstung und Waffentests sehen. Zudem steht am 15. April der Geburtstag seines Großvaters, des Staats- und Dynastiegründers Kim Il-sung, an. Dieser wird in Nordkorea häufig mit Paraden und aufsehenerregenden Demonstrationen militärischer Stärke begangen. (Manuel Escher, 8.3.2022)