Wenn der menschliche Körper eine Immunantwort gegen Infektionen startet – seien sie bakteriell, viral oder von Pilzen verursacht –, dann spielen die sogenannten CD4+T-Lymphozyten eine gewichtige Rolle. Ein Teil dieser Zellen attackiert direkt den Eindringling, ein anderer Teil wird zu Gedächtniszellen.

Die Haut gilt als größtes Organ des menschlichen Körpers und verfügt im Kampf gegen Infektionen über eine wesentlich ausgeklügeltere Abwehr, als bisher in der Fachwelt angenommen worden ist.
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Letztere dienen dazu, den Erreger in Zukunft wiederzuerkennen, und sorgen so für eine verbesserte Immunantwort bei erneuten Infektionen. Lange Zeit galt es in der Fachwelt als ausgemachte Sache, dass diese Gedächtniszellen stets genau an der Stelle des Organs verbleiben, die als Erstes von der Infektion befallen wurde, also zum Beispiel in Schleimhäuten, Lunge, Darm oder Haut. Man spricht deshalb auch von sogenannten gewebsresidenten Gedächtniszellen.

Zellen auf Wanderschaft

Der österreichischen Immunologin Iris Gratz von der Universität Salzburg ist es allerdings gelungen, diese Überzeugung am Beispiel der Haut zu widerlegen. Für ihre Arbeit erhielt die Wissenschafterin den mit 10.000 Euro dotierten Kurt-Zopf-Förderpreis.

"Wir haben festgestellt, dass gewebsresidente Zellen das Hautgewebe der Infektionsstelle verlassen und in andere Geweberegionen eindringen können und diese dann mit einem Immungedächtnis ausstatten", erklärt Gratz.

Konkret bedeutet das, dass Gedächtniszellen von einer Stelle der Haut zu einer anderen wandern können, um dort bei künftigen Infektionen eine raschere Immunantwort geben zu können.

Den empirischen Nachweis für das Phänomen konnte Gratz gemeinsam mit der Forschungsgruppe von Dan Campbell vom amerikanischen Benaroya Research Institute in Seattle liefern.

Dazu haben die Forschenden ein humanisiertes Mausmodell verwendet: Sie transplantierten einer Maus ohne eigenes Immunsystem menschliche Blut- beziehungsweise Hautzellen. Da sich keine weiteren menschlichen Zellen in der Maus befanden, konnte so die "Wanderung" der Zellen bewiesen werden.

Gedächtniszellen der Haut können von einer Körperstelle zu einer anderen wandern und dort bei Infektionen eine schnellere Immunantwort bewirken.
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Blutbahn als Highway

Der Weg der Zellen von einer Organstelle zu einer anderen erfolgt über das Blut. Das hat eine unmittelbare Konsequenz für die medizinische Diagnostik: Um Infektionskrankheiten nachweisen zu können, muss man keine Biopsie mehr durchführen, also Gewebe aus der Infektionsstelle entnehmen, sondern man kann einfach das Blut auf das Vorliegen von Gedächtniszellen untersuchen.

"Anfangs war es schwierig, die internationale Fachwelt von der Entdeckung zu überzeugen", sagt Gratz. "Aber heute ist es Stand des Wissens, es hat sich sehr schnell etabliert." Ausgehend von der Entdeckung ergeben sich neue diagnostische Möglichkeiten. So gibt es zum Beispiel Hinweise darauf, dass sich die Analyse von Immunzellen, die aus Tumoren auswandern, dazu nutzen lässt, um den therapeutischen Erfolg neuartiger Krebstherapien zu messen.

Verzicht auf Biopsie

Gratz selbst beschäftigt sich unter anderem mit der Rolle des Immunsystems und chronischer Entzündungen bei der Entstehung und Therapie von Hauttumoren, die häufig bei Schmetterlingskindern auftreten. Diese leiden an einer genetisch bedingten Erkrankung, die ihre Haut enorm verletzlich macht und auch die Heilung erschwert.

"Hier kann man nicht sehr oft Biopsien nehmen, weil der Schaden den Wissensgewinn nicht rechtfertigen würde", sagt Gratz. "Der Zugang über das Blut bietet eine einzigartige Chance, um zu sehen, was die chronische Entzündung in der Haut antreibt, welche Zellen dabei relevant sind und wo man therapeutisch ansetzen kann." (Raimund Lang, 11.3.2022)