Reinhard Kaiser-Mühlecker legt seinen achten Roman vor.

Jürgen Bauer

Er hat alles durchprobiert: Kühe, Schafe, Schweine, Masthühner, auch Fischteiche. Doch erst als Katja, die Kunststudentin aus dem Salzkammergut, auf den Hof zieht, scheint Jakobs Landwirtschaft in die Gänge zu kommen. Die junge Frau reißt den Grauschleier weg, der sich seit langem über den Familienbetrieb in Oberösterreich gelegt hat. Woher kommt die Düsternis? Sie hat in den Romanen von Reinhard Kaiser-Mühlecker fest Platz gegriffen und oft weitreichende, offenkundige, aber auch unerklärliche Gründe. So finster war es aber schon lange nicht.

Im neuen Roman Wilderer kulminiert das Unbehagen ganz in der Hauptfigur Jakob. Der Bauernsohn scheint die Fehler, Sünden und Unfähigkeit einer ganzen Sippe in sich zu spüren und wird diese auch nicht los: Mit den Eltern allein auf dem Hof und existenziell unter Druck lassen die Ennui-Empfehlungen aus dem Radio seine stille Wut nur noch mehr in die Höhe schnellen. Er hegt einerseits Suizidgedanken, andererseits aber wünscht er sich einen Krieg herbei, der alles unter sich begraben möge. Sein Hund ist der einzige treue Gefährte, bis eben über Tinder und dann bald in echt Katja am Horizont auftaucht.

Spröder Jungbauer

Es beginnt hier aber keine Rosamunde-Pilcher-Heimatromantik, auch wenn die junge Ehe, das baldige Vaterglück und der wirtschaftliche Aufschwung des Hofs äußere Anzeichen dafür wären. Der düstere Blick, der gedämpfte, mechanisch-kalte Tonfall, die reservierte, spröde Art des Jungbauern bleiben wie festgesetzt. Kaiser-Mühlecker pfeffert auch knallhart drüber: "diese Schlampe", "diese Zauch", "die Schnepfe", "halt dein Maul, du". Misogynie hat den jungen Mann erfasst, seit ihn seine letzte Freundin hintergangen hat.

Wilderer, der inzwischen achte Roman des heuer 40-jährigen Schriftstellers und Landwirts, umkreist erneut die eng zusammenhängenden Themen eines landwirtschaftlichen Lebens: dynastisches Denken, Familienwirtschaft, Sprachlosigkeit, Bindungsunfähigkeit, Einsamkeit, Stadt-Land-Ressentiments. Zwischen den Menschen fallen keine schönen Worte. Das ist auch das Erschütternde an diesem Buch: Es hantiert mit unerklärlicher Verachtung, ja Hass, der sich festsetzt und dem scheinbar niemand gewachsen ist. Die Eltern gelten generell als unfähig, der Vater als unzuverlässig, die Mutter erscheint als stummer Haushaltsmensch, und die Großmutter droht ihr "Judengeld" einer "rechten Partei" zu vererben.

Eschentriebsterben

Zur grassierenden Empathielosigkeit kommen noch die vielen handfesten Probleme: Verlustgeschäfte, Eschentriebsterben, kranke oder sterbende Tiere. Katja tritt in diesem Wahnsinnsagglomerat weniger wie eine große Liebe in Erscheinung, sondern wie ein idealer Coach mit guter Energie, die hier alle bitternotwendig haben: der in Wien verheiratete Bruder, die früh nach Deutschland gezogene Schwester und Jakob selbst, auf dessen unversehrtes Innenleben man keine Wetten abschließen sollte. So zerfallen wie der Dorfkern ("nur mehr eine Bank") ist auch die Familie.

Dass Jakob seit jeher nur vier Stunden Schlaf benötigt, sollte einen hellhörig machen. Zu welcher Tat er nächtens fähig ist, darf hier nicht gespoilert werden. Aber so viel: Wilderer blickt in enorme Abgründe eines Menschen. Wenn dieser Blick am Ende voll ausgeleuchtet ist, wird man gewahr, nicht nur einen Bauernhofroman gelesen zu haben, sondern einen Thriller. (Margarete Affenzeller, 9.3.2022)