Der Kreml-nahe Biker-Club "Nachtwölfe" ist laut eigenen Angaben auch in den Krieg in der Ukraine involviert. In welchem Umfang, ist unklar.

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Der tierische Eingang in die "Wolfshöhle" in Kaljasin.

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Wjatscheslaw steht in einem Wolfsschlund. Der graue Rachen des Tieres ist halb geöffnet, die weißen Reißzähne blitzen links und rechts von dem etwa 50-jährigen Kraftprotz. Das rote Auge über dem Rachen schaut böse auf die Besucher. Wjatscheslaws Blick aus den blaugrauen Augen hingegen ist fest und aufmerksam, aber nicht aggressiv. Die "Wolfshöhle" ist sein Revier, und Wjatscheslaw ist stolz auf das stilechte Ambiente der Bar am Stadtrand von Kaljasin, auch wenn deren Vorgängerin seiner Ansicht nach noch besser aussah. Als sie vor Jahren abbrannte, hatte eigentlich niemand aus dem Biker-Club Lust darauf, noch einmal etwas aufzubauen. "Doch Chirurg hat uns dazu angehalten, und so haben wir uns drangemacht", so Wjatscheslaw.

"Chirurg" ist das Pseudonym von Alexander Saldastanow, dem Chef des Kreml-nahen Biker-Clubs "Nachtwölfe" und Anführer der sogenannten Antimaidan-Bewegung, die Oppositionelle in Russland als "fünfte Kolonne" ausländischer Geheimdienste betrachtet und gezielt gegen sie vorgeht. Im Donbass-Konflikt waren ebenfalls Mitglieder der "Nachtwölfe" involviert.

Und auch jetzt "kämpfen einige von uns in der Ukraine", verrät Wjatscheslaw. Natürlich aufseiten der russischen Streitkräfte. Von ihnen sei noch keiner getötet worden, aber was sie erlebt haben, will er nicht erzählen: "Militärgeheimnis". Ansonsten nimmt Wjatscheslaw kein Blatt vor den Mund. Während der Kreml verschämt von einer "Spezialoperation" spricht, nennt er die Dinge beim Namen. "In der Ukraine herrscht Krieg", sagt er. Für ihn ist es ein Krieg gegen die Faschisten, so wie es das russische Fernsehen predigt. Auf dem Regierungssender OTR beispielsweise fordert gerade der Vertreter einer patriotischen Organisation, dass alle Russen zusammenhalten müssten und sich "um den nationalen Leader scharen" sollten – gemeint ist natürlich Präsident Wladimir Putin.

Teleskop und Maschinenfabrik

"Kundgebungen hat es hier glücklicherweise nicht gegeben, was sollten die auch bringen", meint Jekaterina. Sie ist Souvenirverkäuferin in Kaljasin. Die Kleinstadt an der Wolga liegt fast 200 Kilometer nördlich von Moskau im Gebiet Twer. Der Weg dorthin führt ab der Hälfte der Strecke über löchrige Asphaltstraßen, die die Stoßdämpfer aufs Ärgste strapazieren. Es gibt ein riesiges Radioteleskop für die Weltraumbeobachtung und eine Maschinenfabrik, die eine Zweigstelle des Rüstungsproduzenten MiG ist.

Wahrzeichen der Stadt ist aber der Glockenturm des Dreifaltigkeitsklosters, das beim Bau eines Wasserkraftwerks unter Stalin zusammen mit einem Großteil der Altstadt vom Stausee der Wolga geflutet wurde. Einzig der Glockenturm schaut als Ruine aus dem Wasser, beziehungsweise jetzt im Winter thront er über dem Eis. 25.000 Menschen wurden damals aus der Region umgesiedelt. Gefragt wurde niemand, ob er oder sie wollte.

Es gibt Parallelen zur heutigen Zeit. Jekaterina jedenfalls seufzt schwer, als sie zum Krieg befragt wird. "Ich schaue kein Fernsehen mehr, das regt mich zu sehr auf", sagt die alte Frau. Sie könne nicht einmal mehr die sowjetischen Kriegsfilme sehen, ohne zu weinen. Ihrem Enkel Matwej habe sie auch verboten, Nachrichten zu schauen. "Der ist immer so emotional", sagt sie. Mitleid äußert sie dabei vor allem für die "armen Buben", also die russischen Soldaten, die in der Ukraine kämpfen und sterben. Die Entscheidung für einen Kriegseinsatz an sich will sie aber nicht grundsätzlich diskutieren. Das ist ihr zu weit weg.

Mehr mit sich selbst beschäftigt

Tatsächlich scheint Kaljasin sehr weit weg vom Krieg. Öffentliche Diskussionen, wie sie zumindest teilweise in den Millionenstädten stattfinden, gibt es hier nicht. Die Menschen haben genug damit zu tun, mit ihrem eigenen Schicksal zu kämpfen, und keine Zeit, sich um einen Konflikt zu kümmern, der hunderte Kilometer weiter südlich ausgefochten wird.

Und doch sind dessen Folgen auch in Kaljasin schon zu spüren: Der Preis für Buchweizengrütze – ein in Russland beliebter Brei – habe sich verdoppelt und verdreifacht, klagt Jekaterina. "Wenn überhaupt noch welche da ist, wenn ich nach Hause komme", Hamsterkäufe haben auch in Kaljasin zugenommen.

"Wir kommen schon durch"

Doch darüber reden wollen die wenigsten. "Wir kommen schon durch", meint Irina, eine Pensionistin. Sie ist von der Richtigkeit des Einmarschs überzeugt. Ihre Informationen entnimmt sie dem Fernsehen. Dort wird ihr die Invasion als Befreiung der Bevölkerung von faschistischen Unterdrückern verkauft. Die Methode wirkt, nicht nur bei Irina. Tief ist in den Russen das Selbstverständnis verwurzelt, Europa vom Faschismus befreit zu haben. Darauf spekuliert die Kreml-Propaganda, die die Führung in Kiew als Anhänger des Nationalisten Stepan Bandera darstellt. 71 Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM jüngst an, die "Operation" zu unterstützen.

Die Russen seien im Recht, die Sanktionen ihnen daher völlig egal, meint so auch Wjatscheslaw. Mit seinem Biker-Club unterstützt er einen Fonds für patriotische Erziehung. Seine nächste Aufgabe sieht er aber darin, die kaputten Straßen in Kaljasin für den Sommer in Ordnung zu bringen. Dann will er wieder auf sein Motorrad steigen. Es ist eine BMW. (red, 9.3.2022)